KING DIAMOND, PARADISE LOST, ANGEL WITCH, 14.06.2025, MHP-Arena, Ludwigsburg

Oft benutztes Wort, aber heute Abend trifft es wirklich, wirklich auf alle drei Bands zu: LEGENDÄR. Legendär bedeutet ja aber nicht zwangsläufig kommerziell immens erfolgreich. Alle drei Bands waren zu unterschiedlichen Zeiten, v.a. in ihren jeweiligen Anfangsjahren wichtig für das Genre „Metal“. So ist die MHP-Arena nicht ausverkauft, aber doch sehr gut gefüllt. Viele Fans nicht mehr ganz taufrischer Jahrgänge (mich eingeschlossen). Viele tragen T-Shirts von so Auskenner-Bands wie „Omen“ und artverwandten, legendären (schon wieder das Wort) Musikgruppen der 80er. Beschallt werden wir mit einer guten Auswahl an alten Black Sabbath, bevor Punkt halb Acht Angel Witch starten.

Obwohl die Briten seit ihrem Comeback 2012 zwei sehr respektable Alterswerke veröffentlicht haben, greifen sie heute alleine auf das gleichnamige Debütalbum zurück. Kann man verstehen, denn was war das für ein Debütalbum? Aufgrund von Management und Pech bekam die Band zwar danach nie richtig ein Bein auf den Boden. Aber man kann durchaus behaupten, dass das 1980 erschienene Werk zusammen mit dem Iron Maidens das beste Debütalbum der NWOHM war.

Gründungsmitglied, Sänger und Leadgitarrist Kevin Heybourne macht einen sehr fitten Eindruck. Stimmlich ist er zu 95% top auf der Höhe, und nur an ganz wenigen hohen Stellen minimal am Straucheln. Für mich herausragend sind seine melodiösen Gitarrensoli. So wird die halbe Stunde zu einem kurzweiligen Vergnügen, da auch der Rest des Quartett auf den Punkt und mit ordentlich Verve abliefert. Nachdem vor ein paar Tagen im Schwarzer Keiler bei Onslaught schon der Plural dran kam, gibt es hier die Einzahl: Das düstere „Angel Of Death“ ist für mich eines der Highlights des Sets. Und apropos Schwarzer Keiler, da könnte man sich ein Konzert von Angel Witch extrem gut vorstellen. Abschluss ist natürlich der von der ganzen Halle gesungene NWOBHM-Hit „Angel Witch„. Eine Melodie, die auch in einer J-Pop Version funktionieren würde. Groß!

Fünfzehnminütige Umbaupause im Zeitslot der Tagesschau, und schon kommen 20:15 Uhr Paradise Lost auf die Bühne. Um mal wieder auf das Wort „legendär“ zurückzukommen. Den Briten kann man schon eine Vorreiterrolle für das Subgenre „Gothic Metal“ zu schreiben. Nach zwei death-doomigeren Alben, wurde man melodischer, Nick Holmes veränderte seinen Singstil und immer mehr Keyboards kamen hinzu. Gute Wahl, denn damit traf man den Zeitgeist wie Type O’Negative oder (poppiger) Him bewiesen. Und aus dieser Zeit werden dann auch sogar mir bekanntere Töne im Set auftauchen.

Standesgemäß ganz in Schwarz ist die Band gekleidet, aber das ist es auch schon mit Bühnenausstattung. Ansonsten fällt optisch nur noch Rhythmusgitarrist Aaron Aedy auf. Der vollführt, an Ort und Stelle bleibend, ziemlich aufwendige Bewegungen, die im Kontext der oft getragenen Musik drollig wirken. Man könnte von overperformen sprechen, aber sympathisch. Was musikalisch gleich auffällt ist, wie sehr Paradise Lost nach Paradise Lost klingen. Soll heißen, sie haben es tatsächlich geschafft einen ureigenen Stil und Sound zu kreieren. Bemerkenswerterweise gehen diese Merkmale über alle verschiedene Phasen der Band nie verloren.

So steht ein 90er-Hit wie „Embers Fire“ in keinem Kontrast zu „No Hope In Sight“ aus dem sehr gelungenen und harten 2015er Album „The Plague Within“. Das reißt mich jetzt zwar nicht über die ganzen 45 Minuten vom Stuhl, aber zu 80 % schon, da auch mir unbekannte Songs schnell ins Ohr gehen. Das Publikum geht auf jeden Fall gut mit, obwohl hier keine Partymusik geboten wird. Der krönende Abschluss ist dann der 97er Hit „Say Just Words„. Was will man da sagen? Ein guter Song ist einfach ein guter Song und funktioniert auch knapp 30 Jahre später noch wunderbar. Ein gelungener Abschluss einer Lehrstunde in Gothic Metal in der Länge einer Schulstunde.

King Diamond ist bekannt für seine sehr aufwendigen Bühnenspektakel. Insofern sind die 30 Minuten Umbaupause sehr ok. Die Halle wird von 70er Musik beschallt, die Kim Bendix Petersen aka King Diamond maßgeblich beeinflusst hat. Deep Purple, Black Sabbath, Uriah Heep, etc,. Keine Überraschungen bei der Bandauswahl, aber die Songauswahl ist gut. Zeit, um nochmal darüber nachzudenken, was an King Diamond denn die Bewertung „legendär“ rechtfertigt. Nun:
- mit Mercyful Fate prägte er textlich und imagemäßig den Black Metal
- die Horrorfilmästhetik seiner Bühnenshow, selber beeinflußt von Alice Cooper, prägte die von Bands wie z.B. Ghost
- die Musik King Diamonds kann man sowohl weiterspinnen zu bestimmten Power Metal Bands, als auch wiederum Ghost

Doch sssssssssht, das Licht geht aus, „The Wizard“ von Uriah Heep erklingt, es geht los. Zu den eingespielten Klängen von „Funeral“ steht King Diamond vor dem Kindersarg Abigails und murkst Abigail ab. Kleiner sachdienlicher Hinweis: King Diamonds Studioalben sind meist Konzeptalben mit Horrorgeschichten. „Abigail“ war sein erstes Konzeptalbum und sein populärstes. In der Show werden viele Geschichtenelemente über die Alben hinweg aufgegriffen werden. Ich kenne mich leider nicht gut genug aus mit King Diamonds umfassenden Werk, um dazu viel Exaktes sagen zu können.

Nach diesem Intro steigt die Band mit den zwei Abigail Songs „Arrival“ und „A Mansion In Darkness“ ein. Was für ein Druck da von der Bühne runterkommt. Und um gleich die bange Frage am Anfang zu beantworten: Wie geht es denn dem berühmt-berüchtigten Falsett des 69-Jährigen? Es geht ihm prächtig, dem Falsett. Schon gleich zu Anfang wird die Band vorgestellt. Das sollte noch ein paar Worte wert sein. An Keyboards und Background Vocals hilft die Nervosa-Bassistin Hel Pyre aus. An einer der zwei Gitarren Mike Wead, der die Mitwirkung an u.a. folgenden Bands in seinem Curriculum verbuchen kann: Mercyful Fate, Hexenhaus, Candlemass. Wow! Und den größten Applaus greift natürlich der zweite Gitarrist, besser Gitarrengott Andy La Roque ab. Er prägte nicht nur die Musik King Diamonds seit den Anfangszeiten, sondern spielte auch noch auf dem komplexen Death-Album „Individual Thought Patterns“.

Was wir 90 Minuten geboten bekommen, ist eine Vollbedienung aller Sinne. So melodischen, wie auch harten und immer wieder spooky klingenden Metal, der von zig Breaks durchsetzt wird und immer wieder neue Wendungen nimmt. Ich bin erstaunt, was für eine enge Verbindung das Publikum zu solch komplizierten Songs hat und wie sie mitsingen. „Halloween“ kenne ich aus irgendwelchen Gründen aber auch, und „Voodoo“ bleibt gleich beim ersten Mal hängen.

Über die Show verteilt kommt öfters eine Schauspielerin auf die Bühne, um verschiedene Rollen der Diamond’schen Horrorstorys zu übernehmen. King Diamond hat anfangs sein bekanntes Outfit an samt Mikrohalter-Kreuz aus menschlichen Gebeinen. Aber zwischendurch verkleidet er sich auch mal als langhaariger Gruselopa ohne Hut. Obwohl die vielen Grusel- und Horrorelemente durchaus dunkelgarstige Stimmungen verbreiten, ist alles immer noch tongue in cheek genug, um nicht lächerlich ernst zu wirken. Dazu tragen auch King Diamonds entspannte Ansagen bei. Geburtstag hat er auch noch, und muss sich von der Halle ein Happy Birthday vorsingen lassen.

Musikalisch wird über die Länge des Abends ein Potpourri der verschiedenen Schaffensphasen präsentiert. Immer wieder gibt es kleine Übergänge zwischen den Songs, gerne mit sinister klingenden Spieluhrensounds. Als nach dem letzten Song vor der Zugabe King Diamond zu uns spricht, und mit Nachdruck sagt, wie „awesome“ er die Publikumsresonanz findet, wirkt das null eingeübt und routiniert. Die Zugabe „Abigail“ ist dann der Sargnagel (sorry!) auf einen unfassbar reichen Abend. Man dürfte zurzeit für das verlangte Geld keinen vergleichbaren Abend mit soviel toller und wichtiger Musik, und gleichzeitig solch einem optischen Spektakel woanders geboten bekommen.
