MAIFELD DERBY, Tag 3, 01.06.2025, MVV Reitstadion, Mannheim

(Chris) Es ist so weit, der letzte Tag des Maifeld Derby und um es an dieser Stelle nochmals deutlich zu machen: Eine ganze Reihe von musik-begeisterten Menschen aus Stuttgart und Umgebung haben dieses Festival geliebt. Natürlich hat das Popbüro inzwischen mit der About Pop etwas wirklich Tolles aufgebaut, aber in drei Tagen auf vier Bühnen so viele interessante, persönlich noch unentdeckte und tolle Musiker:innen und Bands quer durch die Genres zu buchen, das hat dieses Festival (auch aufgrund der verhältnismäßigen geringen Distanz der beiden Städte) so beliebt gemacht. Dazu war es immer ein Ort, an dem fröhlich, respektvoll und offen die Musik gefeiert wurde und an dem wir aus der gig-blog-Blase immer wohlgefühlt haben.
Station 17

Station 17 aus Hamburg gibt es als Band bereits seit 1989, doch kennen- und schätzen gelernt habe ich sie erst mit ihrem vorletzten Album „Oui, bitte“. Die Formation hat sich in diesen 35 Jahre schon oft geändert, aber die musikalischen Ambitionen sind immer auf hohem Niveau geblieben. Und auch live weiß die fünfköpfige Band zum Auftakt des sonntäglichen Programms voll zu überzeugen: Drums und Bass treiben die krautigen Popsongs gut nach vorne, zwei Gitarren und Synthie sorgen für manch glitzernde Melodie, Bongos und die sich manchmal abwechselnden, manchmal ergänzenden Gesangsstimmen fügen sich in den Gesamtsound wunderbar ein.
Songs wie „Hausmann“, „Push“ oder „Dinge“ bringen die schon Anwesenden vor der Bühne ordentlich in Bewegung. Letzt genannter Song wurde mit Andreas Spechtl zusammen aufgenommen und auch andere Gäste, wie der kürzlich im Park der Villa Reitzenstein aufgetretene Andreas Dorau, tauchen über die Jahre hinweg immer wieder bei Station 17 auf. Wer einen Einblick in die Aufnahmen zu ihrem Album „Oui, bitte“ erhalten möchte, dem empfehle ich die unaufgeregte kurze Dokumentation „Forellenhof Sessions“.
Ugly

(Max) Während der Vortag für mich voller All-Time-Favourites war, standen heute viel mehr Neuentdeckungen oder Noch-Nie-Live-Gesehenes auf dem Plan. Nach dem wunderbaren Tagesauftakt mit Station 17 betreten sechs recht junge Menschen die Open-Air-Bühne als Ugly, der Ankündigungstext verspricht mit „kunstvollem und mutigen Indierock“ nicht zu viel. Die gut vierzig Minuten sind abwechslungsreich, einnehmend und tragen mich mit musikalischer Vielfalt durch unzählige Stimmungslagen. „The Wheel“ ist kein Song, sondern ein verdammtes Epos, wie viele der Songs weit über fünf Minuten lang. Labyrinthisch und mäandernd thematisieren Ugly mit „Icy windy Sky“ die Welt in Flammen um uns herum; aber immerhin haben wir noch uns und die Musik. Bei wundervollen Gesangs-Harmonien denke ich an Dirty Projectors, bei vertrackten Songstrukturen und zappeligen Schlagzeug-Läufen an Foals und Battles – ebenjene Bands, die mich zu Hochzeiten des Indierock-Revivals der Noughties in experimentellere musikalische Gefilde zogen. Obwohl es Ugly seit 2016 gibt, erschien bisher nur die EP „Twice Around The Sun“ und nach diesem Konzert freue ich mich auf alles Weitere und hoffentlich eine Tour mit längerem Konzerten. „Why the hell is this festival finished?“ fragt Sängerin Jasmine Miller-Sauchella zum Ende. Ja, wo zur Hölle sollen wir in Zukunft solche Bands neu entdecken und lieben lernen?
Suck

(Holger) Nach zwei Festivaltagen als bewährt anerkannte Strategie: Sich erstmal in der „Arena“ die Ohren freipusten lassen. Und mit der Punk-Band Suck aus Kassel gelingt das hervorragend. Erst kürzlich hatte mir einen Kollege ihren aktuellen Song „Gimme Gabba Gabba“ empfohlen, und ich war hocherfreut, diesen Uptempo-Song, der schon fast Richtung Hardcore geht, live zu sehen. Und, meine Fresse, die Band um Frontfrau Isabell (Deutschlands Antwort auf Amy Taylor?) hat in der frühen Nachmittagssonne wirklich alles im Griff. Überaus druckvolles, tightes Zusammenspiel und für das Genre erstaunliche Gitarrenskills, dazu die rotzige Stimmgewalt der Sängerin. Da ist es kein Wunder, dass sich schon zu früher Stunde ein freundlicher Pogo-Zirkel entwickelt. Nur der Kollege Fotograf nörgelt ironisch: „Hey, das ist ja gar kein Punk. Die beherrschen ja ihre Instrumente.“
Porridge Radio

„I’m sick of the blues, I’m in love with my life again“
(Max) Mit den lebensbejahenden Zeilen ihres ersten Songs reihen sich Porridge Radio aus Brighton in energiegeladenen Indierock ein, der mich durch diesen Nachmittag schiebt. Ich wollte diese Band schon lange live sehen, hatte es auch zuletzt nicht in die Manufaktur geschafft (Holger berichtete). Dass sie auf Abschiedstour sind, erfahre ich im Laufe des Konzertes. Gut, dann eben auch hier noch „one last ride“. In den Pausen wird Wasser getrunken und Sonnencreme aufgetragen, die Sonne brennt unaufhörlich und geht mit starken Windböen einher mit der Intensität des Sets: bei „Lavender, Rasperries“ von der jüngst zum Abschied erschienenen EP „Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me“ türmen sich Gesang und Instrumente so kraftvoll auf, dass ich mich kurz umsehen und versichern muss, ob noch alles am rechten Fleck steht. Ja, entgegen aller Schwermut strahlt der Aperol-Stand noch ebenso apricot-farben wie das Hemd von Sängerin Dana Margolin, die sich auf der rechten Seite der Bühne bisweilen wirklich alles verfügbare aus dem Leib zu singen scheint. Obwohl ich weit links stehe, zieht die Sängerin meine Aufmerksamkeit am Rest der Band vorbei auf sich, auch als sie in feinster Slacker-Manier mit Gitarre auf dem Bühnenrand klampft. Beschlossen wird das Set dann ausgelassen mit dem Hit „7 Seconds“. Was für eine Wucht von Konzert.
Ich hole Luft und ruhe mich auf einem Schalensitz im Schatten des Parcours d’amour aus, wo ich noch das Ende von Béatrice Graf sehe. Wir besprechen sie hier mangels Fotos hier nicht weiter, aber ihre Powerperformance zwischen allerlei DIY-Instrumentarium und Geräuschen aus Alltagsgegenständen ist unbedingt eine Erwähnung wert. Mit Zeilen wie „Fight for water, Fight for peace“ tritt die Schweizerin auf der Bühne als Klimaaktivistin in Erscheinung und erinnert uns daran, dass die Anreise des Publikums auf Festivals ein nicht unerheblicher CO²-Faktor ist. Ich freue mich auf die Heimfahrt mit Faltrad und Zug, nippe an meinem Bier aus dem Plastikbecher und streichle mir im Geiste über meine fadenscheinige weiße Weste. „No Music on a Dead Planet“ stand auf dem Shirt des Porridge-Radio-Drummers Sam Yardley. Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.
Über Efterklang schrieb ich hier Anfang des Jahres in aller Ausführlichkeit, so übergebe ich an dieser Stelle wieder an Chris:
Efterklang

(Chris) Efterklang aus Dänemark kann man getrost als feste Institution auf dem Maifeld Derby bezeichnen und ihre Ansagen lassen dann auch klar erkennen, dass sie immer gerne auf den verschiedenen Bühnen des Festivals gespielt haben. Eine weitere Band ohne Gitarre und eine weitere Band, die meine momentane Neigung zu entspannter Popmusik durchaus zu bedienen weiß. Daher ist es für mich auch nicht weiter störend, dass ich vom Schaffen der Band bisher kaum etwas aktiv mitbekommen habe und keinen einzigen Song kenne. Diese Gemengelage und der transparente Sound ergeben in Summe einen optimalen Sonntagnachmittag-Set, dessen Besonderheit, dass die Band am Ende inmitten des Publikums vor der großen Open-Air-Bühne musiziert, dann doch aus Gründen des Weiterziehens zu einem anderen Act, nicht mehr mitbekomme.
(Max) Ich koste derweil den Abschluss von Efterklang mit „Getting Reminders“ bis zum letzten Moment aus, der hier auf dem Maifeld noch größere Gefühle weckt als noch im intimen Wizemann – unter der Flagge mit den Worten „Things we have in Common“ vereint Efterklang hier heute sehr viele mitsingende Menschen auf der großen Fläche vor dem Palastzelt hockend. So abgedroschen und cheesy diese Geste á la Delacroix (und, ja, Coldplay) in der Nachlese klingen mag, sie kriegt mich an diesem Tag erneut.
Olli Schulz

Die Quote an Menschen mit gig-blog-Bezug war beim Auftritt von Olli Schulz im Palastzelt auffällig niedrig. Und ja, auch ich als langjähriger Hörer des Podcasts „Sanft & Sorgfältig“ bzw. „Fest & Flauschig“ bin vor eineinhalb Jahren ausgestiegen. Ich war manche Diskussion der beiden Herren etwas leid und zudem war ich tatsächlich massiv verärgert über das Verhalten der Redaktion des ZDF Magazins Royal gegenüber dem Podcast „Neues vom BallaBallaBalkan“, aber ich schweife ab.
Die Musik von Olli Schulz ist auch aufgrund der Tatsache, dass er sich schon ziemlich gut in einigen Genres auskennt, doch relativ unspektakulär gestrickt: Akustik-Gitarre, nette Melodien, Strophe, Refrain, nette Texte. Aber es funktioniert bei diesem Set richtig gut und auch ich wippe zunächst lose mit dem Fuß und erhöhe konstant meinen Bewegungsdrang zu einem lockeren Schwofen.
Auch der ein oder andere Song weiß wirklich zu überzeugen: „Und dann schlägt dein Herz“ oder „Jetzt gerade bist du gut“. Auch die Ansagen halten sich, entgegen manchen Befürchtungen, in Grenzen und ich freue mich sowieso immer, wenn Musiker:innen sich sichtbar auf Bühnen freuen und das war bei Olli Schulz absolut zu merken.
Nilüfer Yanya

(Max) Den Platz hätte ich nun glückselig verlassen können, aber es wartete mit Nilüfer Yanya noch eine Lieblingsband auf mich, die ich seit dem im Herbst erschienenen „My Method Actor“ noch nicht live gesehen hatte – zuvor mehrmals, und ich wurde nie enttäuscht. An diesem Tag nimmt es mich dagegen nicht ganz so mit, obwohl die Stimmung in der Abendsonne kaum angemessener sein könnte. Im Mittelpunkt flirrende Gitarrensounds und Nilüfers Stimme durch sämtliche Tonlagen, zur Linken an den Synthesizern Jazzi Bobbi mit heute eher zurückhaltenden Saxophonpassagen, die Coolness am Bass Beth O’Lenahan mit Sonnenbrille und zwei Jungs zur Rechten als solide Basis an Gitarre und Schlagzeug. „L/R“ grooved wie gewohnt, aber zwischendurch scheint mir das Set fad, irgendwo zwischen „Wingspan“ und „Binding“ plätschert für mich alles dahin, vielleicht liegt es auch an den Grenzen meiner Aufnahmefähigkeit. Zum Ende hin zieht die Energie auf der Bühne und im Publikum nochmal an, das PJ Harvey-Cover „Rid of me“ wird euphorisch angenommen und bei „midnight sun“ finde ich mich im Kreise umarmt und wippend mit langjährigen Crew-d’Amour-Mitgliedern, die in den letzten Live-Momenten der Open-Air-Bühne des Maifeld Derbys zunehmend die Wehmut überkommt. Dagegen scheint sich Nilüfer Yanya dieser Situation überhaupt nicht bewusst und verabschiedet sich unemotional mit „Have a great festival“. Als würde es einfach immer weitergehen. Man wünscht es sich nach diesen Tagen. Ich blicke noch von der Seitenlinie der Arena auf Fat Dog, erkenne aber meine ausgeschöpften Energiereserven an und verlasse endgültig das Gelände – glückselig und erfüllt. Danke, Maifeld Derby.
Bilderbuch

(Chris) Das Finale Furioso bleibt Bilderbuch im Palastzelt vorbehalten und ich hätte nicht gedacht, dass ich nochmals für achtzig Minuten soviel Kraft zum Tanzen zusammenkratzen kann. Aber die fünf Österreicher füllen dieses Zelt mit dem ersten Akkord mit einer Energie, die sämtliche bisherigen Auftritte, die ich von ihnen gesehen habe, übertrifft. Maurice Ernst pusht das Publikum zusätzlich immer wieder mit großen Gesten an. Das mag auf manche übertrieben wirken, verfängt bei mir aber sofort. Diese klassischen Rock-Posen wirken auch nicht aufgesetzt oder aus der Zeit gefallen, sondern werden mit kleinen Details gebrochen und mit musikalischer Qualität vom Allerfeinsten gerechtfertigt.
Allerspätestens bei den Hits „Bungalow“ und „Maschin“ fliegt dem Zelt fast das Dach weg. Nach dem Unwetter am Samstag, zum Abschluss der Orkan auf und vor der Bühne. Bilderbuch überzeugen aber auch, den Schalter gekonnt umzulegen, z.B. bei „Nahuel Huapi“, das wunderbar vor sich hinfließt.
Sänger Maurice Ernst nimmt für seine kurze Ansage gegen Ende die Sonnenbrille ab und plötzlich sind alle Posen und Rock-Attitüden verschwunden, aber eben nicht seine positive Ausstrahlung. Da steht jemand, der wahnsinnig viel Freude ausstrahlt bei dem, was er und seine Bandkollegen veranstalten und dem es sehr wichtig zu sein scheint, was er dann sagt, bevor die Band nochmals mit einem einem Feuerwerk an Gitarrenriffs und der unnachahmlichen Mischung aus Rock und Pop knallend die Bühne verlassen und ein euphorisiertes und wehmütiges Maifeld-Publikum hinterlassen:
„Passt’s auf solche Festivals bittschön auf!“
Bei allen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen brauche man genau solche Veranstaltungen und da kann ich nur zustimmen. Natürlich auch aufgrund einer Prise Eskapismus. Aber auch, weil es gut tut, eine Veranstaltung zu erleben, bei dem es ein aufrichtiges und umsichtiges Miteinander gibt – und die Liebe zur Musik.
