IRGEND, SEVENTEEN SILVER NAILS, PALES, FUTSCH, BETTEROV, LEVIN GOES LIGHTLY, About Pop Club Festival, 17.05.2025, Div. Locations, Stuttgart

Schon letztes Jahr habe ich den Club-Samstag der About Pop im Park der Villa Reitzenstein begonnen. So war es auch dieses Jahr geplant, aber dann hat der Kollege Whirlypop noch den Gig des Chansonniers Albert Jung dazwschen geschoben. Und da man im Institut Français den Zeitplan nonchalant interpretiert, komme ich ins Schwitzen. Mit dem E-Bike im Sprint hoch in die Richard-Wagner-Straße – und mit hängender Zunge komme ich gerade noch rechtzeitig in der Mitte des dortigen Eröffnungsgigs an.
Irgend

Der Kretschmann’sche Rosengarten ist ein unfassbar schöner Ort und bei bestem Sonnenschein eröffnen die Stuttgart Retro-Wave-Popper Irgend das dortige Programm. In ihrem Set mischen sie eigene NDW-Originale aus den 1980ern mit ihren aktuellen Songs, die den Retro-Style aufnehmen und modern auslegen. Ein sommerlich-fröhlicher Soundtrack für die Besucherschar, die es sich mit Picknickdecken auf dem englischen Rasen bequem gemacht hat.
Und während vor der Villa die Vorbereitungen für den Gig von Andreas Dorau getroffen werden, rase ich hinunter in die Stadtbibliothek, wo der Schweizer Mario Batkovic mit seinem Akkordeon angekündigt ist. Ein umwerfend intensiver Gig, den die Kollegen hier in Wort und Bild würdigen.
Von der Stadtbibliothek geht es wieder bergauf, dieses Mal zum Laboratorium, wo ich mich darauf freue, wie letztes Jahr für den Club untypische Sounds zu hören.
Seventeen Silver Nails

Im altehrwürdigen „Lab“, das sich eigentlich eher den gut abgehangenen Genres Blues, Americana und World Music verschrieben hat, treten die absoluten Newcomer Seventeen Silver Nails auf. Es ist ihr erster Gig überhaupt, doch der Laden ist besten gefüllt. Ihr Publikum ist durchweg jung und modisch mindestens so stilsicher wie das Duo auf der Bühne. Und es feiert seine Stars, die ihr Debüt erstaunlich souverän angehen. Düstere, flächige Synthiesounds und Elektrobeats im Eighties-Gewand, darüber Martins lakonischer Gesang – das ist absolut auf der Höhe der Zeit. Holt Kinder der Achtziger ebenso ab wie aktuelle NNDW-Kids. Yves im Hintergrund hat außer ein paar Tastendrücken und Reglerdrehen nicht viel zu tun und übt sich derweil in eckigen Dancemoves.

Unübersehbar ist der Anspruch, nicht nur musikalisch, sondern auch optisch Eindruck zu machen. Ausdrucksvolle Posen, kombiniert mit geschmackssicheren Visuals, das ist ein wirklich stimmiges Gesamtpaket. Als Support für eine Cold- oder Darkwave-Band könnten sie sich sicher schnell weitere Meriten verdienen und ein breiteres Publikum erschließen. (Optional könnte ich mir auch einen Gig mit den Elektro-EBM-Punks Organisation – am besten hier im Lab – vorstellen)
Pales

Während die Fan-Bubble sich mit der Band in den Biergarten verzieht, bleibe ich im Lab, denn ich habe einige Erwartungen an die Straßburger Postpunker Pales. Und deren Gig ist dann ein derartiges Elementarereignis, dass nicht nur das Lab-Publikum zu bisher nicht gekannter Extase getrieben wird, auch für mich ist es der Höhepunkt der About Pop. Ja, der Begriff „Konzert des Jahres“ fällt in der Runde gleich mehrfach. Alles Weitere beschreibt der Kollege Joe hier. Ich kann nur hoffen, dass sich das Lab nach diesem fulminanten Gig entschließt, häufiger mal seine Genre-Grenzen zu überschreiten und jungen, wilden Bands ihre Top-Konzert-Location zur Verfügung stellt.
Futsch

Meine Radtour zum Kulturbunker endet spontan am Charlottenplatz, wo mir eine ganze About-Pop-Radelgruppe entgegenkommt. Das Stadtpalais ist deren Ziel. Ja, warum eigentlich nicht? Spontan disponiere ich um und entscheide mich für eine weitere Runde Futsch. Die Kombo um Fine Feiler hat mal wieder „ihren Punk verloren“ – was für ein Song! Cowbells gehen halt immer. Beim dritten Gig innerhalb kurzer Zeit machen Futsch wieder allergrößten Spaß, auch wenn der Überraschungseffekt der Erstbegegnung natürlich verflogen ist. Auf jeden Fall ist der Auftritt eine gute Werbung für ihren nächsten bei den „Littmann Sessions“ in der Staatsoper, wo ich insgeheim ein genre-übergreifendes Feiler-Heimspiel erhoffe.
Betterov

Offensichtlich kann man über Betterov geteilter Meinung sein. In meiner engeren Konzertblase ernte ich jedenfalls nur hochgezogene Augenbrauen, aber ich kann es mir selbst nicht erklären. Seine Songs packen mich einfach. Und da er auf seinen Bandkonzerten immer einen kleinen, ruhigen Solo-Part einbaut, war ich mir sicher: Die Ankündigung „Betterov spielt seine Songs solo am Klavier“ verspricht einen ganz besonders intensiven Gig. Und genau so kommt es auch. Ein sehr ruhiger Auftritt vor einem hochkonzentrierten Publikum; die eben noch vor lauter Punkrock bebende Halle des Stadtpalais ist kaum wiederzuerkennen.

Betterov plaudert über seine Songs, erzählt, dass er zum ersten Mal seinen Sohn auf einem Gig dabei habe, und dieser gerade Backstage schlafe (hoffentlich). Das Publikum besteht größtenteils aus harten Fans. Nahezu alle Songs werden mitgesungen und seinen Hit „Dussmann“ überlässt Betterov gleich komplett dem Publikum. Und beim verstohlenen Blick in die Runde sehe ich viele Stuttgarter Konzert-Urgesteine, die inbrünstig und mit wässrigem Blick mitsingen. Hach, wie schön! Eigentlich der ideale Schlusspunkt unter zwei Tage About Pop, ja, wenn da nicht das Goldmark’s direkt vor der Tür wäre …
Levin Goes Lightly

Und dort musste der Gig der Indierock-Urgsteine Robocop Kraus kurzfristig abgesagt werden. Was ein Glück, dass Levin Goes Lightly, der gestern noch bei einer Veranstaltung zur SXSW im Wizemann auf der Bühne saß, spontan einspringen konnte. Selbst das Minimal-Setup mit Schlagzeuger Paul Schwarz reicht locker, um dem Goldmark einen selten erlebten Füllungsgrad zu verpassen. Über den Gig selbst kann ich nicht viel sagen, da ich ihn nicht sehen konnte. Er war aber sicher toll wie immer.

Auf jeden Fall präsentiert sich unsere liebste Untergrund-Rock-Location als perfekter Rahmen für den Festivalabschluss. Nicht nur im Club, auch draußen im Biergarten ist die Hölle los. Und als dann zu vorgerückter Stunde das Festival-Orga-Team und die Künstler:innen aus anderen Locations eintrudeln, Pop-Legende Andreas Dorau am Tischkicker spielt, ist das Goldmark’s das Epi-Zentrum der About Pop.
In Sachen Nachhaltigkeit ward ihr sehr weit vorne auf euren Rädern und kapitalistisch gesehn sehr produktiv/effektiv bei der Vielzahl und Vielfalt der besuchten Gigs…es ist schön, hier noch mal mindestens 50% meines Samstags wiederzufinden inkl. FOTOS mit meinem Liebsten und anderen tollen Menschen, die Musik lieben.