ANDREAS DORAU, SLOE PAUL, EUROTEURO, About Pop Club Festival, 17.05.2025, Div. Locations, Stuttgart

Ausgerechnet am Abend des größten Popmusik-Contests der Welt, the greatest night in Pop, dem Eurovision Song Contest, breitet sich die About Pop am zweiten Festivaltag in der gesamten Stadt aus. Kurz vorher kam noch Friedrich Merz vorbei, dann lädt Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu mehreren About Pop-Konzerten im wunderschönen Garten der Villa Reitzenstein.
Andreas Dorau
In der Nachmittagssonne singt hier Andreas Dorau mit zweiköpfiger Band, Zwanie Jonson und Tim Lorenz an Schlagzeug und Elektronik, heute vor allem über Wien in vertraut fröhlicher Traurigkeit. Das Album „Wien“ sein neuestes Werk, es zeigt Doraus Blick auf die österreichische Hauptstadt mit dem wahrscheinlich schönsten Namen, allein der Klang sei Musik, wie er zitiert wird.

Zunächst ein eher mühsam zu beackerndes Feld, alles fläzt sich behäbig im weitläufigen Garten in etwas zu unaufdringlicher Distanz zur zu Bühne umfunktionierten Terrasse. Aber Dorau funktioniert gleichwohl bleischwer liegend im Gras. Im Eindruck des neuen Albums vielleicht die einzig richtige Art, denn in Wien lässt mans ja bekanntlich gemächlich angehen.
„Der Regen in Wien“ eröffnet das Konzert bei bestem Wetter. Dorau präsentiert heute vornehmlich aktuellere Titel. In Erinnerung an die leider viel zu früh verstorbene Francoise Cactus gibt es direkt folgend „Ein trauriger Tag“ zu hören, der begnadete Storyteller Dorau besingt eine wahre Begebenheit eines Streits zwischen Punks und Polizisten und einem Punkerhund namens Hitler. Und weiter von Schweinebullen, Polizeistaat und Faschistenfotzen – im Garten des Ministerpräsidenten. So auch nur bei einem Pop-Festival möglich.

Da wirkt die plötzliche sonderbare Erscheinung am Himmel weniger irritierend, als die Special Guests Mondo Sangue für drei Songs in silbernen Raumanzügen am rechten Balkon hervorblitzen und über Dorau und der Parkanlage thronen. Zusammen singen sie den Mondo Sangue-Titel „Zero Gravity Love“ – Liebe in der Schwerelosigkeit und der Synthesizer weint so schön dazu. Ein deutsch-italienisches Duett und von Dorau mit den Zeilen „Keiner weiß was im All passiert, weil es niemand interessiert“ ergänzt. Auch die Dorau-Songs „45 Lux“ und „Ich kann nicht schlafen“ vom Wien-Album werden gemeinsam performt. Mondo Sangue-Sängerin Yvy Pop ist auf besagtem Dorau-Album im Backgroundgesang zu hören, das heutige Zusammentreffen also kein Zufall.

Am Ende tanzt beim gewohnten dorau’schen Hit-Dreiklang „Stoned faces don’t lie“, „Girls in love“ und „So ist das nun mal“ dann auf einmal die ganze Wiese, der Garten der Villa Reitzenstein ein gräserner Dancefloor. Spätestens jetzt wippt Kretschmann oben auch mit.
Quer durch die Stadt, vom Osten runter in den Westen spielen Sloe Paul quasi direkt anschließend im Merlin. Ganz andere Szenerie, aber auch hier angenehm gefüllt.
Sloe Paul

Fast nur neue Songs werden gespielt, die sich zwischen den wenigen „älteren“ vom noch aktuellen Album „Remote“ (2021) wunderschön ins Set einflechten, als wären sie immer da gewesen, z.B. das vor wenigen Wochen erschienene „What I dream at night“ gleich zu Beginn. Vergangenes Weihnachten erschien zeitgleich zum Konzert bei Second Hand Records die aktuelle Doppelsingle „Good Swim“/“On a train“, letzteres der Opener am heutigen Abend. Verblüffend, wie kein einziger Song vom Debut „Paul Abbrecht‘s Album“ im Set zu finden ist, dessen Titel viel über die Arbeitsweise verrät und komplett von „Sloe Paul“ himself aka Paul Abbrecht geschrieben wurde – aber schon damals mit der gleichen Band wie heute live präsentiert wurde. Die neuen Songs sind erstmals gemeinsam als Band entstanden, die interne Harmonie deutlich anzumerken, aber war es das nicht schon immer? Auch Marius Moses Alsleben an Gitarre, Synth und allerlei kleinteiligeren Instrumentarium (nahezu Signature-Pfeifen) bekommt bemerkbar mehr Raum, singt „True Places“ und „Good swim“, ergänzt ansonsten Paul Abbrecht in der Bühnenmitte durchweg wundervoll. Gitarrist Marcus Schreiter, Drummer Tim Bohner und Bassist Marius Schwingel viben mit und komplettieren graziös.

Sad, dreamy, joyful und traumhaft entschleunigend. Dream Pop made in Schorndorf im wahrsten Sinne. Zwar sind die meisten Bandmitglieder der Daimlerstadt schon lange nach Berlin entschwunden, nimmt man Sloe Paul immer noch als Stuttgarter Band wahr. So ist man weiterhin beim hiesigen Liebhaberlabel Treibender Teppich Records ansässig und jedes Konzert vor Ort gleicht einer Homecoming-Show, wie auch heute. Großes Hallo, viele Freunde und Familie im Publikum. Immer schön, wenn Sloe Paul wieder in der Stadt sind, die nach exakt einer Stunde mit dem herrlich malerisch anmutendem „Winter in Vegas“ und Saxophon-Solo von Marius Schwingel ihr Konzert beenden. Erdend und heilsam an solch einem hektischen Festivaltag voller Reizüberflutung.
Die folgt zugleich, zurück in den Osten ins Werkstatthaus, statt Eurovision also Euroteuro aus Wien. Wenige Stunden nach deren Konzert soll Österreich diesen sogar noch gewinnen.
Euroteuro

Sang Dorau noch vor wenigen Stunden und etwas weiter oben am Berg über Wien, sind Euroteuro einer der vielen aktuellen Vorzeige-Popacts der österreichischen Hauptstadt. Momentan als Duo unterwegs, nahm das Soloprojekt von Florian Seyser-Trenk (aka Peter T.) über die Jahre schon einige Formen an. Heute gemeinsam mit Partnerin Katarina Maria Trenk (KMT) am Synthesizer und deren Tourabschluss in Stuttgart. Euroteuro sollen hier exemplarisch für die spannende Wiener Musikszene stehen und was sie hervorbringt: Allein Sex Jams und Mile me deaf, in denen sowohl Peter T. als auch KMT jahrelang spielten, hervorstechend im Wiener Underground mit Touren bis in die USA. Am gleichen Wochenende (festival-unabhängig) zudem auch Bruch in Stuttgart zu Gast, der sowohl mit seinem Musikprojekt als auch mit Label Cut Surface für exzellenten Pop-Output sorgt. Farce, Siluh Records, Fauna, Klitclique, Wandl, Trost Records, Fettkakao … die Liste fernab von Wanda, Yung Hurn und Bilderbuch ist lang.
Das Projekt Euroteuro entwickelte sich über die Jahre zu einer kontinuierlichen Ohrwurm- und Hitfabrik, mit „Autogrill“ gelang schon früh ein bis heute stark angesagter italophiler Überhit mit gleicher Strahlkraft wie Erobiques „Urlaub in Italien“ (mitsamt ähnlichen good vibrations). Heute zwischen Azzurro, Felicità und Sarà perché ti amo kaum mehr aus Italien-Playlists wegzudenken.

Euroteuro von Beginn an extrem tight und –Tourvorteil – extrem gut eingespielt mit minimalem Set-Up. (Die Band reist seit einiger Zeit nur noch mit dem Zug, Nachhaltigkeit sicher auch ein Thema bei den gestrigen Panels) Ein durchgehender Flow ohne Pause, ein irre dichtes Set, discotronisch, leicht psychedelisch und im besten Sinne sowas wie die Wiener LCD Soundsystem. So kann man die aktuelle Single „NYC Vape“ (auch thematisch streifend) oder auch „Mond“ in einer Reihe mit „I can change“ sehen. Beide gleichermaßen unwiderstehlich dancy und sympathisch entrückt, wenn der NDW-Dada abwechselnd auf wienerisch, deutsch und englisch durchblitzt.
„Tagada“, das eine Fahrt auf dem gleichnamigen Karussell im Wiener Prater beschreibt, schließt thematisch an Doraus „Runde um Runde“ an. „Es dreht sich, im Kreis, im Kreis, wir drehen uns, überall sind Lichter und überall sind wir“ – sinnbildhafter Schwindel für den dauernden Festivalexzess und den schönen Rausch eines Euroteuro-Konzerts.
Der hyperaktive Inflationsbanger „Teuer“ knüpft in den Zugaben an und preist augenzwinkernd den Bandnamen, besagter Überhit „Autogrill“, lautstark vom Publikum eingefordert, zum Schluss ein Geschenk an die Fans. Die Bühne wird im gleichen Atemzug zum Merchstand umfunktioniert, während der ganze Keller singend vor den Autogrill rollt und im nächsten Augenblick schon weiter in die Stadt zieht.