SEX IM DUNKELN, TEMPERS, ENDLESS WELLNESS, TRENTEMØLLER, About Pop Festival, 16.05.2025, Im Wizemann, Stuttgart
Sex im Dunkeln

17 Uhr, mein erster Konzertbesuch auf dem About Pop 2025 steht an, Sex Im Dunkeln spielen im Studio. Wenig bekannt ist bisher über die Newcomer aus Stuttgart, die sich im Frühjahr 2023, damals zu viert, zusammenfanden. Die Band selbst beschreibt ihren Sound wie folgt:
„wir vermitteln mit unseren Songs ein Gefühl, das sich am besten mit dröhnend drückenden Heimfahrten im Morgengrauen und dem Bedürfnis, literweise Tee zu inhalieren, beschreiben lässt; die Stimmung, mit denen dabei die tagebuch-esquen Texte anmuten, ist gleichermaßen tobsucht-wütend wie tieftraurig“

Das Publikum ist in gut gelaunter Erwartung, als die Band um 17 Uhr die Bühne im sehr gut besuchten Studio betritt. Und was für eine Überraschung, so massiv und heavy hätte ich die ersten Takte nicht erwartet! Das Schlagzeug, metal-like, die dissonante Gitarre, Noise! Hier wird gleich mal eine Ansage gemacht. Das Dissonante steht im Vordergrund, inklusive der von Felicitas Kaiser sehr gut gespielten Geige. Die Sängerin Leona Efuna ist überwältigt, wie begeistert schon zu Beginn das Publikum ist und erzählt, dass sie Angst hatten vielleicht gar nicht auftreten zu können, da vor kurzem Schlagzeuger und Bassistin die Band verlassen hatten. Glücklicherweise hatten sie adäquaten Ersatz mit Feli Utz an den Drums und Raphaela Okle am Bass gefunden. Erstaunlich, dass trotz dieser kurzfristigen Änderung im Line-up, das Zusammenspiel sehr tight ist.

Ziemlich nach vorne geht das Set, angetrieben durch das zwischen Noise und Grunge changierenden Gitarrenspiel von Dario Volpp und Efunas voluminösem Gesang. Das ist Party und das Publikum feiert die fünf Musiker*innen ab. Aber trotz all dem Spaß und der hervorragenden Stimmung, gibt es auch Ernstes, Queerness und Akzeptanz werden angesprochen und zu Recht eingefordert. Schon beim ersten Gig geht das Konzept des Festivals auf, man sieht, wie eng verflochten gesellschaftsrelevante Themen und Popkultur sind.

Gegen Schluss crowdsurft die jungfräuliche Pia dazu gelassen über das Publikum, das lautstark eine Zugabe einfordert. Mit dem punkig lärmenden „Climax Toilette“ geht dieser, trotz der noch geringen Bühnenerfahrung von Sex Im Dunkeln, souverän und mit viel Spaß gespielte Gig zu Ende. Man darf auf die sich in Arbeit befindenden Debüt-EP gespannt sein.
Nun aber schnell rüber in den Club zu
Tempers

Das in New York beheimatete Musikprojekt der Sängerin und Songschreiberin Jasmine Golestaneh, musikalisch eklektisch zu bezeichnen, wäre leicht untertrieben. Reichen die Einflüsse von Tempers doch, wie Golestaneh selbst sagt, von Fleetwood Mac, über Kraftwerk bis zu Joy Division. Bei so unterschiedlichen Musikstilen bin ich doch sehr gespannt, wie sich das live zusammenbringen lässt, ohne dass das Set zerfasert, gar beliebig wird.
Die Bühne wird von extra aufgestellten Lichtstelen minimalistisch beleuchtet und zusammen mit den minimalen und intensiven Beats und der fast schon ätherisch zu nennenden Bühnenpräsenz von Jasmin Golastaneh und ihrem Begleiter an Gitarre und diversen elektronischen Geräten, entsteht eine ganz eigene, fast schon Lynch-esque zu nennende Atmosphäre und der Meister des surrealen Kinos ist wohl auch eine der großen Inspirationsquellen der Musikerin.

Langsam wummernd fließt der Sound hypnotisch durch den Konzertraum. Augen schließen und sich fallen lassen in die wohlige Kälte des Klangs, ein Verstecken in der Düsternis der Musik; Musik zur Bewältigung des Dystopischen und somit von zeitgenössischer Relevanz. Esoterisch schlafwandlerisch ist das mit einer eskapistischen Sogwirkung. Doch nach geraumer Zeit wird genau dies zum Problem des Konzerts, wird es doch zu gleichförmig und ermüdend. Nach einer halben Stunde werden die Beats der Bassdrum etwas treibender und fast schon clubtauglich, doch nach wenigen Minuten kippen diese reduzierten Dance-Tracks wieder in die gewohnte Monotonie. Was auf den Alben von Tempers stark ist, funktioniert für mich live nicht wirklich, wirkt die Musik in dieser Form der Bühnendarbietung leider etwas blutleer und emotionslos.
Nach einer kurzen Pause und einer Stärkung am wirklich sehr guten Catering (wie immer toll organisiert, trotz großem Andrang geht es an der Bar sehr flott voran) kann es, zurück im Studio, mit …
Endless Wellness

… weitergehen.
Obwohl die aus Wien stammende Band sich bereits 2021 gründete (die vier Musiker*innen sind allerdings schon seit 13 Jahren befreundet und spielten schon als Jugendliche gemeinsam in Bands), erschien erst diesen Januar ihr Debüt-Album „Was für ein Glück“, das in die Österreichischen Albumcharts auf Platz 7 einstieg.
Musikalisch lässt sich Endless Wellness im klassischen Indierock der 1990er Jahre verorten, allerdings mit einem 2025er-Update. Und wie beschrieb die Wiener Zeitung „Der Standard“ die Musik des Debüts doch so schön:
„zwischen Glücksbärchi-Seligkeit und dem Gefühl, dass alles gerade noch einmal gutgegangen ist, spannt sich der Bogen, den das Quartett beackert, beschrammelt und beschabt“

Okay, hier gibt’s wohl das Kontrastprogramm zu Tempers: verzerrte Gitarrenflächen, mehrstimmiger Gesang und direkte Emotionen. Das ist von Anfang an perfekt gemachter Alternative-Rock mit Grunge-Einlagen und Post-Punk-Reminiszenzen. Der Funke springt sofort über, nicht nur wegen der Dynamik, sondern auch dank des handwerklichen Könnens von Philipp, Adele, Hjörtur und Milena.
Und die Band hat auch was zu sagen, politisch wird Position bezogen. Wie schon bei Sex Im Dunkeln ist auch bei Endless Wellness Pop mehr als nur Musik.
Lasst uns für eine menschliche Gesellschaft einstehen, in der alle gleichberechtigt einen Platz haben, ist eine der Aussagen, die direkt ans Publikum gerichtet sind. Popkultur als Widerstand gegen den rechten Backlash und Faschismus. Musikalisch wird diese Haltung kongenial umgesetzt, hat diese doch ihre Wurzeln in den unterschiedlichsten Subkulturen, die sich immer schon durch Widerstand gegenüber tradierten Normen, auszeichneten. Angefangen bei Velvet Underground mit seinem sägenden Violinen-Sound, bis zum wütenden (Post-) Punk.

Ernste Musik, die Spaß macht und ganz ohne peinlich zu sein, zum Mitsingen einlädt. Und trotz des ganzen thematischen Ernsts sind die vier auch noch verdammt sympathisch und witzig in ihrer direkten Kommunikation mit dem Publikum.
„Ich möchte kein Eisbär sein, ich möchte eine Zukunft haben,“
singen sie frei nach Grauzone, aber damals war die Zukunft ja auch noch verheißungsvoll.
Aber mögen die Aussichten auch düster sein, heute Abend darf man mit Endless Wellness einfach auch Spaß haben. Spielfreude, Sound und Energie, hier passt wirklich alles und die laut skandierten Rufe nach einer Zugabe, sind mehr als berechtigt.
Nach dem mehr als schweißtreibenden, hochenergetischen Gig von Fat Dog (der Kollege berichtet), geht es in der Halle unvermittelt mit dem letzten Band-Act …
Trentemøller

… weiter. Tiefe Beats des aus Dänemark stammenden Musikers, der aktuell mit vierköpfiger Band unterwegs ist, wabern durch die nebelverhangene Halle, die auf atmosphärische Ambient-Klänge und halligen Gesang treffen. Das ist etwas weniger körperlich als gerade eben, was meinen leicht in Mitleidenschaft gezogenen Knochen aber auch ganz guttut.

Feiner, in den Achtzigern wurzelnder New Wave Synthpop. Die üblichen Verdächtigen wie zum Beispiel Joy Division oder Depeche Mode kommen einem bei Trentemøller in den Sinn. Elegant und zwingend zugleich ist Trentemøllers Sound. Das hat streckenweise etwas breitbandhaftes, überwältigendes, mit Basslinien, die den Brustkorb in Schwingung versetzen. Dem gegenüber steht der in einzelnen Tracks eingewobene feine Gesang der Isländerin Disa.

Elektronisches Knarzen und Crescendo hafte Beats bringen die Menge in Bewegung. Soundmäßig gibt es durchaus Parallelen zu Tempers, wobei Trentemøller für mich live wesentlich besser funktioniert. Intensiver und deutlich emotionaler, bedingt durch wesentlich abwechslungsreichere Klangmodulationen und das Live-Drumset. Ein würdiger Abschluss für diesen ersten Festivaltag!