AMENRA, 21.04.2025, Im Wizemann, Stuttgart

Ich bin überrascht, dass wir noch keinen Bericht über die aus Belgien stammenden Post-Metaller Amenra im Blog haben, sind sie doch ständig auf Tour, nicht zum ersten Mal in Stuttgart, mehrmals in Karlsruhe, heute überfällige Premiere. Die bereits erwähnten regelmäßigen Touren, Veröffentlichungen, allein in Europa zwei Online-Shops – ich wage zu behaupten, dass die Mitglieder von dem Dasein als Band leben können, zumindest überwiegend. Das zeigt sich schon beim Betreten der Location – eine Schlange zum Merch, wie ich sie noch bei keinem Konzert in dieser Szene gesehen habe. Lang und ausdauernd, die Fans, die Freaks, scheinen ausgehungert. Ansammlung von sehr hart tätowierten Menschen, selbst tätowierte Augäpfel werden präsentiert. Der Merch in fast allen möglichen Varianten, diverse Bücher, High-End-Schmuck, spielt eine wichtige Rolle für die Jünger der „Church of Ra“, mit der ich mich noch nicht näher beschäftigt habe, aber scheint eine Art Kiss-Army oder Turbojugend zu sein – Band-Kvlt. Die verschiedenen Logos, das Artwork der Alben, muss man sagen, sieht gut aus, da fließt viel Zeit, Schweiß und Kreativität ein. Es ist die erste Show der Tour, ausverkauftes Haus.

Was man über die Band oft hört – „Neurosis-Kopie“, hat sicher einen wahren Kern, aber die Belgier haben ihr eigenes Ding daraus gemacht. Der große Einfluss der US-Amerikaner, nicht nur musikalisch, sondern insgesamt, DIY-Kultur, Artwork, etc. lässt sich in der Doku (von und mit Amenra) „A Flood Of Light“ sehen und hören, in der den Vorbildern gehuldigt wird. In einem Interview mit Neurosis war vor vielen Jahren zu lesen, dass sie eines ihrer Aushängeschilder, die Visuals bei Shows, eingestellt haben, nachdem man gemeinsam mit Amenra auf Tour war, und feststellen musste, dass die Belgier das besser können.

Vor der Tour, also vor Kurzem, nach der Veröffentlichung der beiden aktuellen EPs „With Fang And Claw“ und „Dee Toorn“ war zu erfahren, dass der langjährige Bassist und Produzent Tim De Gieter nicht mehr direkt der Band zur Verfügung stehen wird. Kurz habe ich die Tour in Gefahr gesehen, aber man hat sich zu helfen gewusst, in Form der Supportband Year Of The Cobra. Diese ist mir unbekannt und lässt sich kurz zusammengefasst wie folgt beschreiben: Power-Duo aus Seattle, nur Drum & Bass plus Gesang der Bassistin, an den Drums ein Mann. Sie spielt den Bass mal gezupft, mal mit dem Pick, auf gut schwäbisch „schebbert“ sie amtlich, und singt dazu mindestens so schön wie Lady Gaga, mindestens. Sludgy, groovy, für Freunde von Helms Allee z.B., kommen gut an, die zwei, eine gute Wahl als Support.

Amy Tung Barrysmith, die Sängerin und wie gesagt Bassistin kommt mit Amenra auf die Bühne, man wusste sich also zu helfen, Doppelschicht, Respekt. Ansonsten ist keine Veränderung bei den Belgiern zu erkennen, außer dass Sänger und Frontmann Colin H van Eeckhout seinen Look verändert hat, Vollbart ab, dafür statt rasiertem Kopf etwas längere Haare. Das erste Stück ist von der EP „With Fang And Claw“, die ich zwar noch nicht angehört habe, heute am Merch mitgenommen, aber gefällt mir auf Anhieb. Die Formel Amenra könnte ungefähr lauten: Entweder sofort auf die Zwölf oder zunächst mit viel ruhiger Atmosphäre aufbauend auf die Zwölf. Sänger Colin steht die meiste der Zeit der Show mit dem Rücken zum Publikum, und schreit überwiegend die zuletzt häufig in der Landessprache verfassten Texte. Was keine Rolle spielt, denn auch die englischen Texte sind absolut nicht zu verstehen, da muss man sich schon hinsetzen und die Texte lesen, die auch in der Übersetzung beiliegen.

Weitere Elemente der Show sind das nach und nach obenrum Entkleiden von Colin, und die bereits erwähnten, top-tier Filme via Beamer hinter der Band. Ich bin nicht der größte Fan vom Gesang, aber die Mischung macht es aus, ziemlich beeindruckend. Vor allem das Spiel von sanft zu roher Stärke beherrschen sie perfekt. So gut wie keine oder nur minimale Leads, keine Synthies. Die Setlist geht quer durch das Schaffen seit 2005, „Razoreater“ ein älteres Stück, das lange „Heden“ ganz aktuell. Highlights für mich sind „De Evenmens“ vom Relapse-Records-Debut „De Doorn“, ein echter Ohrwurm mit dem melancholischen Riff, und natürlich „A Solitary Reign“ – große Kunst. Keine Interaktion mit dem Publikum, auch das kennt man, hier meint man es ernst, gehört dazu, macht die Erfahrung nicht ärmer. Schön war’s, heavy war’s, zum Glück haben wir noch eine Location für diese Nische in Stuttgart.
