ΣTELLA, 16.04.2025, Merlin, Stuttgart

ΣTELLA, 16.04.2025, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

„Fast ausverkauft“, verkündet die Website des Merlin an diesem grauen Aprilabend. Das Café füllt sich früh mit vorfreudigen Gästen, der Altersdurchschnitt im Publikum ist außerordentlich jung – ein klarer Hinweis darauf, dass prominente Platzierungen auf Spotify oder im Werbespot einer Modehauskette ihre Wirkung nicht verfehlen. Die griechische Musikerin Stella Chronopoulou hat sich seit ihrem ersten Album 2015 zu einem äußerst erfolgreichen Indiepop-Export gemausert. Ihren Künstlernamen schreibt sie mit dem griechischen Buchstaben Sigma Σ, ausgesprochen wie ein einfaches S. Einmal mehr beweist das Merlin-Booking Geschick, ein ausverkaufter Laden wartet darauf, dass Σtella ihr erstes Konzert in Stuttgart spielt.

Zunächst folgen wir aber noch dem bis heute leider ungebrochenem Gesetz, dass der Gigblog über Martha Rose nur als Support-Act berichtet. Über ihr letztjähriges Klinke-Konzert schrieb hier leider niemand – sie selbst hat den Sommerabend jedoch in bester Erinnerung, wie sie später am Merch erzählt. Martha Rose kommt also gerne zurück ins Merlin und spielt an diesem Abend freudestrahlend ein wohliges halbstündiges Set. Besonders die vorderen Reihen, in denen alte Freunde stehen, sorgen für spürbare Unterstützung. Ihre ersten beiden Alben, „Undress & Dive After“ und „Spit“, erschienen auf dem Stuttgarter Label Treibender Teppich.

Martha Rose, 16.04.2025, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Den Referenzen früherer Gigblog-Kolleg*innen darf ich nach diesem Abend noch Julee Cruise (Iron Age Daydream) und Anne Clark hinzufügen. Letztere vor allem bei Bleu, der wie die meisten Songs des Abends vom jüngsten Album „Close to Close“ stammt. Songs wie The Love in Your Heart und Heart Still Beats U 4 quellen über vor New-Wave- und Lo-Fi-Synth-Vibes, die zumindest bei mir ähnlich heimelige Gefühle auslösen wie der Gedanke an gemütliche Kuscheldecke und warme Teetasse auf dem Sofa. Ein Großteil des Publikums ist daran an diesem Abend leider nicht weiter interessiert, man überbrückt sich die Zeit bis zum Hauptact lieber mit lauten Gesprächen und ausgelassenem Antrinken. Martha lässt sich davon jedoch nicht beirren, lacht oft und sprüht durchweg vor guter Laune. Schade, dass ein Großteil des Publikums diese Energie nicht erwidert.

In der kurzen Umbaupause wird zu Queens of the Stone Age’s funky Banger Make It With Chu gewippt, lange nicht gehört. Warum eigentlich auch nicht. Dann betritt Σtella im sommerlich-luftigen, grün-weiß gestreiften Hemd die Bühne. Mit ihrer vierköpfigen Band eröffnet sie das Set schwungvoll und zieht sofort alle Aufmerksamkeit auf sich. „My best friend lives in Stuttgart“ verkündet sie, der Fotograf des Albumcovers sei auch da, die Connection wird intensiviert, der warme Bass umhüllt alle, es wird Sommer im Raum. Σtellas Bühnenpräsenz ist einnehmend: sie wirft innige Blicke ins Publikum, tänzelt über die Bühne und trommelt im Takt auf ihre Oberschenkel. Diese Leichtigkeit überträgt sich schnell – das gesamte Merlin scheint beseelt mitzuwippen. Tropicalia, Disco und eine Prise Yé-Yé lassen das graue Wetter des Tages schnell vergessen. Auch unserem Gigblog-Fotografen schaut Σtella mit dem Song Black and White sehr direkt in die Augen.

You took my picture
In black and white
You show it to your friends

ΣTELLA, 16.04.2025, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Der schnauzbärtige Keyboarder hat seinen ersten großen Moment, als die eingängige Pfeifmelodie von Titanic für mich unerwartet nicht aus Σtellas Mund, sondern aus dem Synth kommt. Immer wieder werfen Keyboarder und Gitarrist sich catchy Melodien hin und her. Der Gitarrist am rechten Bühnenrand zieht mit wundervoll kopfstimmigen Backing Vocals und gniedelnden Gitarrenzwischenspielen meine Aufmerksamkeit auf sich, ansonsten drängt sich die Band mit (Schnurr-)bärtigen Herren an Bass und Schlagzeug wenig in den Vordergrund, sondern garantiert das verlässliche Fundament für Σtellas Gesang, der glasklar durchs Merlin hallt.

Bisweilen wirken die Songs wie der perfekte Soundtrack einer Romcom zu sein, wundervolle Popsongs, gespickt mit griechischen Folkmusik-Zitaten. Für das aktuelle Album wagt sich Stelle erstmalig an griechischsprachige Songs, Ta Vimata ist dabei das Cover eines griechischen New-Wave-Kultklassikers von Litsa Sakellariou. Da steckt vieles drin, womit Bands wie Altin Gün oder Khruangbin ein großes Publikum begeistern. Hin und wieder muss ich im Popstrudel voller Funk-, Jazz- und Folkzitate unweigerlich an die Talking Heads denken – aber zwischen allen instrumentalen Finessen bleibt Σtella als Chansoneuse im Mittelpunkt. Während Baby Brazil strahlt sie mit den sonnengelben Scheinwerfern ins Publikum, selbst mit geöffneten Augen wähnt man sich zwischen Kalimba-Klängen und wohligen Bassläufen in einem Beach Club. Mit Kessler auf Eis.

ΣTELLA, 16.04.2025, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

You and me, me and you
We’re Shining

Findige Fans haben die Setlist vor dem Konzert abfotografiert und lesen während des Konzertes mit, das ist Leidenschaft – vielleicht sollten wir uns einmal über Theaterzettel für Livekonzerte unterhalten. Für letteredsheets lief es an diesem Abend indes nicht so glücklich, da mir nach dem Konzert flinke Langfinger am Bühnenrand zuvorkamen. (An dieser Stelle sei S. für die Beweissicherung gedankt, ihm und allen anderen sei die Trophäe dieses Abends vergönnt.) Mit gereckten Smartphones wird dokumentiert was das Zeug hält. Stellas Aufforderung, bei Nomad die Lichter zu dimmen, schafft einen besonders intimen Moment – wäre da nicht der ein oder andere Kamerablitz. Drumherum wird es mir etwas zu beschaulich, so schön Stücke wie The truth is sind, schaue ich in der ersten Hälfte des Konzertes doch öfters auf die Uhr und frage mich, ob noch genug Zeit für eine Wendung der Dramaturgie bleibt.

ΣTELLA, 16.04.2025, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Diese folgt tatsächlich nach dem sehnsuchtsvollen Charmed und einer herzlichen Band-Vorstellung: Σtella greift beherzt zum Schellenkranz und schaltet mit Maneros in den Alt-Psych-Rock-Modus, die Gitarre trällert wie eine griechische Bouzouki, man könnte nun auch Servietten in die Luft werfen oder Ouzo durch die Reihen gehen lassen. Im Merlin bleibt’s beim ausgelassenen Tanz und taktvollem Klatschen bis zum Abschluss des Sets mit dem Titelsong des aktuellen Albums Adagio. Unter euphorischem Applaus lässt die Zugabe lässt nicht lange auf sich warten, es folgt mit Up and Away ein weiteres Zeugnis dafür, dass diese Künstlerin mit ihren jüngsten Veröffentlichungen bei Sub Pop ein angemessenes Zuhause gefunden hat. Girl Supreme – produziert von Edmund Irwin, Sänger der Band Glass Animals, und erschienen lediglich als Single – verschiebt zum Abschluss mit flirrenden Synth-Arpeggios und und wummernder Kickdrum die Grenzen popmusikalischer Erkundungen griechischer Folklore bis in den Elektro-Club. „I’ll be back!“ ruft Σtella dem jubelnden Publikum zum Abschied zu. Darauf dürfen wir uns alle freuen, während zum Abschied noch die Label-Kollegen Nirvana und Soundgarden vom Band laufen. Keine neuen Triebe ohne gesundes Wurzelwerk. Jámas!

Setlist Martha Rose

The Love in Your Heart
The Same Feeling
Heart Still Beats 4 U
Bleu
Reflective Hands
Never Love Enough
Iron Age Daydream
Spit
Gateway Drug

Setlist Σtella

80 Days
Can I Say
Is It Over
Titanic
Black and White
Who Cares
Baby Brazil
Samba
Ta Vimata
The Truth Is
Nomad
Too Poor
Caravan
Charmed
Maneros
Another Nation
Omorfo Mou
Adagio

Up and Away
Girl Supreme

Σtella

Martha Rose

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