HERRENMAGAZIN, 12.04.2025, clubCANN, Stuttgart

HERRENMAGAZIN, 12.04.2025, clubCANN, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Anfang 2016 verkündete die Hamburger Band Herrenmagazin, dass sie auf unbestimmte Zeit pausieren werden. Fast eine Dekade später sind sie nun zurück, doch so ganz weg waren sie in den neun Jahren nicht: Die Pause wurde nur drei Jahre später, 2019, für eine Jubiläumstour vom Debütalbum „Atzelgift“ unterbrochen, die offizielle Rückkehr hatte sich dann spätestens in den letzten zwei Jahren angebahnt, als es bereits 2023 wieder vereinzelte Konzerte gab. Die Rückkehr kommt also zugegebenermaßen nicht wirklich überraschend.

In der Zwischenzeit waren die einzelnen Herrenmagazin-Mitglieder mit anderen Projekten beschäftigt, Sänger Deniz Jaspersen vor allem mit Kindermusik (in der Indie-Bubble immer beliebter werdender Geschäftszweig), das am Merchstand erhältliche Wombat-Buch von ihm und Rasmus Engler zeugt davon. Paul Konopacka und König Wilhelmsburg gründeten die Band Trixsi um Love A-Sänger Jörkk Mechenbier. (eher was für Erwachsene)

HERRENMAGAZIN, 12.04.2025, clubCANN, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
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Nun also ein neues Kapitel Herrenmagazin. Vor wenigen Wochen erschien das neue Album „Du hast hier nichts verloren“, exakt 10 Jahre nach dem Vorgänger „Sippenhaft“. Mit der Platte ist man jetzt auf Tour und sogar auf Platz 20 in den Charts, zwischen Linkin Parks „Meteora“ (?) und King of Latin Trap und Calvin Klein-Unterwäschemodel Bad Bunny. Für Herrenmagazin läuft das Comeback so gut wie nie, möchte man meinen.

Das heutige Konzert in Stuttgart ist der zweite Tourstopp, urspünglich im kleineren Juha West geplant, zog man nach Ankündigung der Tour äußerst fix in den clubCANN. Hochverlegt, wie man so schön sagt. Der beliebteste Begriff der Branche. Auch der heutige Abend ist ausverkauft. (ähnlich beliebter Begriff)

HERRENMAGAZIN, 12.04.2025, clubCANN, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
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In vielen Dingen ist der Abend natürlich eine Zeitreise, die meisten der heute ca. 400 Anwesenden vermutlich in erster Linie für das Frühwerk der Band erschienen, Charts hin oder her. Diese sonderbare Zeit um 2010 und früher, in der so einige deutschsprachige Indiebands aufgekommen sind und für diesen gewissen Sound und Attitüde steht, quasi die Generation nach Sterne, Blumfeld, Tocotronic, die die 90er dominierten und nach wie vor für anspruchsvolle deutschsprachige Musik stehen, vor allem was die Texte betrifft. Bands wie eben auch Herrenmagazin, ebenfalls aus Hamburg, spürbar geprägt von eben jenen. Mit einem ähnlichen Ansatz zwar, dennoch ein ganz eigener Vibe, den diese Band umströmt. So sympathisch die vier Herren sind, so super-sad die Texte und die Aura ihrer Songs, diese ganz eigener Mischung aus Schwermut und Desillusion mit dem einen kleinen Hoffnungsschimmer. Melancholische Durchhalteparolen und intensive Ausbrüche zwischen feinen Pop-Nuancen und schrammeligem Punk. “Inzwischen bin ich ziemlich müde” über 15 Jahre später immer noch sowas wie ein Lebensgefühl und dauernde persönliche Gemütslage in einer auch krisengeplagten Welt. Manches ändert sich halt nicht.

Man hat uns nicht gefragt, als wir noch kein Gesicht,
ob wir leben wollten oder lieber nicht.

Mit dem Gesang von Marlene Dietrich betritt die Band die dunkle Bühne, mit diesen Zeilen kommt natürlich die unweigerliche Erinnerung an Blumfelds „Eine eigene Geschichte“ auf, vor allem in eben erwähntem Kontext.

HERRENMAGAZIN, 12.04.2025, clubCANN, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
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Auf „Wütende Gespenster“, mit dem das Set startet, folgt direkt „In den dunkelsten Stunden“, der Opener der zweiten Platte. Das 15 Jahre alte Stück ist damit sozusagen ein Klassiker. „Alter Debütant“, wiederum das erste Stück des neuen Albums, schließt daran an. Die neuen Songs fügen sich sehr gut ins ansonsten äußerst fanfreundliche Set ein. „Fahne“ und „Atzelgift“ sowie weitere ältere Stücke werden früh gespielt, zur großen Freude der Fans.

„Ich verlier meinen Glauben, diese Welt verdient keinen Glauben“, wie es Deniz Jaspersen in „Alle sind so“ singt, im Original eine Kollaboration mit Gisbert zu Knyphausen, eines der Highlights an diesem Abend, soll hier neben u.a. „Keine Angst“ exemplarisch für eben diese großen Songs der Band stehen. Die nachhaltige Stärke der ersten beiden Alben „Atzelgift“ und „Das wird alles einmal dir gehören“. Diese Songs zu hören, es ist für die „ganzen Leute hier im Saal“ („Keine Angst“) besagte Zeitreise zurück in die sad Indie (teen) years.

HERRENMAGAZIN, 12.04.2025, clubCANN, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

„Früher war ich meistens traurig“, kurz vor Ende im Set, umfasst das Wesen der Songs allein aufgrund des Titels kaum treffender. Mit mittlerweile weit über 5 Millionen (!) Plays auf Spotify zweifellos ein Indie-Hit, auch wenn diese Zahlen wenig bedeuten sollten. Vor 20 Jahren hatten sie das definitiv nicht, heute sind sie das Maß aller Dinge in der Musikindustrie. Bezeichnend in diesem Kontext, lässt die Band zwischendrin verlauten, man sei seit heute auf Tiktok, charmant wie immer, nur halt vier Jahre zu spät.

JOE ASTRAY, 12.04.2025, clubCANN, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Heutiger Support Joe Astray ist da beinah der Gegenentwurf jenes Business. Extra aus Portugal angereist sei er, wie er erzählt. Momentan lebt er aus einem Hackenporsche unter einer Brücke in Lissabon und von der Straßenmusik. In seinem knapp halbstündigen Akustikset spielt der ehemalige Sänger der Hamburger Band Fluppe u.a. „Am Ende denk ich immer nur an dich“ von Element of Crime. Ein weiterer großer Name neben Blumfeld und Marlene Dietrich, sozusagen Grundpfeiler jüngerer und älterer deutscher Musikgeschichte, die diesen Abend abstecken.

HERRENMAGAZIN, 12.04.2025, clubCANN, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
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Herrenmagazin lassen in eineinhalb Stunden kaum wesentliche Stücke aus, auch „Lnbrg“ wird natürlich gespielt und markiert mit „Kein bisschen aufgeregt“ das Ende des Konzerts. Zwei beinah ungeprobte Extra-Zugaben, „Frösche“ und „Gold für Eisen“ folgen noch, sowie „Ein Wind“, das Deniz Jaspersen solo spielt. Diese Resonanz nach der Rückkehr – dass die Band damit wirklich nicht gerechnet hatte? Schwer zu glauben. Dieses Tiefstapeln mag sympathisch wirken, aber gerade der große Zuspruch vorab spricht doch eine eindeutige Sprache. Auch wenn es als Band weiterhin kein Zuckerschlecken im Kulturbetrieb ist, macht sie sich hier vielleicht kleiner als sie ist. Als hätten binnen weniger Jahre alle Fans kurzerhand kein Interesse mehr. Diese Bodenständigkeit zeichnet sie natürlich aus – weniger dazu passt nur das mehrmalige Animieren zum Mitklatschen und eine eher penetrante Lightshow. Diese leichten Rockshow-Anleihen sind doch etwas over the top, wo doch die Songs alleine gerade bei Herrenmagazin genug für sich sprechen.

Herrenmagazin

Joe Astray

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