30 YEARS OF E.S.T. – Tribute to Esbjörn Svensson Trio, 14.04.2025, Theaterhaus, Stuttgart

30 YEARS OF E.S.T. - Tribute to Esbjörn Svensson Trio, 14.04.2025 Theaterhaus, Stuttgart | Foto: Bettina Meister
Foto: Bettina Meister

Vom Weltall aus betrachtet ist die Erde ein Planet von anmutiger, einladender Schönheit; das weiß die Menschheit, seitdem das Foto »Blue Marble« der Apollo-17-Besatzung 1972 um den Globus ging. Der sowjetische Kosmonaut Juri Gagrin umrundete als Erster überhaupt bereits im Jahr 1961 die Erde – er hatte das Privileg, dieses Bild eine zeitlang als einziger Mensch in sich zu tragen.

Und so ist dem Schlagzeuger Magnus Öström ein Geniestreich gelungen: Er hat allen Instrumentalstücken des Esbjörn Svensson Trios (E.S.T.) ihre teils dadaistischen Titel gegeben, und den ersten Hit, mit dem die drei Schweden ihren Sound fanden, nannte er »From Gagarin’s Point of View« (1999) – treffender hätte man diese Musik nicht beschreiben können in ihrer anmutigen, einladenden Schönheit.

Das Trio war ein eng verwobener musikalischer Organismus, es dachte Jazz von den Melodien her und erfand ihn neu in kühler skandinavischer Klarheit. Seit Svensson 2008 beim Tauchen verunglückt ist, klafft eine Leerstelle zwischen Östrom und dem Kontrabassisten Dan Berglund.

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2023 fanden sie endlich einen Weg, Svenssons Oeuvre noch einmal einem Publikum zu präsentieren. Dieses Experiment haben sie nun bei den Theaterhaus-Jazztagen im ausverkauften Saal T1 wiederholt. »30 Years of E.S.T.« beginnt mit »Gagarin«, und Öström erzählt eine Anekdote dazu: »Wir waren dabei, ein Album aufzunehmen, und Esbjörn sagte: Ich habe da noch ein Stück, aber ich bin mir nicht sicher, ob es zu uns passt…« – der Rest ist Geschichte.

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Mit Gravitas streicht Dan Berglund seinen Kontrass, mit Verve zupft er blitzsaubere Töne übereinander, wie ein Uhrwerk erzeugt Öström die für ihn typischen rhythmischen Muster – wer E.S.T. noch komplett erlebt hat, dem könnte schwer werden ums Herz bei diesem Anblick, diesem Sound. Zum Glück war der junge schwedische Pianist Joel Lyssarides (32) unerschrocken genug, die unmögliche Einladung auf den vakanten Platz anzunehmen.

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Maximal einfühlsam spielt er Esbjörn Svenssons ergreifende Melodien, völlig unverfroren bricht er bei den Soli aus – virtuosenflink tollt er durch Modern Jazz-Einlagen, bei denen auch das abgebrühteste Publikum in einem schummrigen New Yorker Jazzclub wohlwollend nicken müsste. So entsteht gar nicht erst die Illusion, der Organismus E.S.T. könnte in der früheren Form wieder auferstehen.

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Es gibt nur Hits zu hören an diesem Abend. Die Titelsongs der Alben »Seven Days of Falling« (2003) sowie »Tuesday Wonderland« (2006), bei dem der schwedische Saxofonisten Fredrik Ljungkvist einsteigt und federleichte Klangwolken dazutupft. Bei »Eighthundred Streets by Feet« kommt noch der finnische Trompeter Verner Pohjol hinzu und setzt die Halle mit einem warmen Strom sinnlicher Töne unter Svenssonsche Magie.

Eine Sehnsucht nach Weite macht sich breit, wie nur Musik sie befriedigen kann – sofern gerade keine Weltraumkapsel zur Verfügung steht. Mit den Bläsern verschwindet der Purismus der Trio-Musik, verflüchtigt sich der letzte Rest Nostalgie. Stücke wie »Elevation of Love« beginnen auf neue Weise zu atmen, sie offenbaren unbekannte Räume und verlieren dabei nichts von ihrem Glanz.

30 YEARS OF E.S.T. - Tribute to Esbjörn Svensson Trio, 14.04.2025 Theaterhaus, Stuttgart | Foto: Bettina Meister
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Lyssarides hat seine Sternstunde bei »When God Created the Coffeebreak«. Auf die wilde Jagd nach Tönen, hier schön untermalt durch zweistimmige Bläser, folgt ein atemberaubender Solo-Piano-Teil. Darin mischt Lyssarides nach Belieben Jazzmotive, Klassik-Einsprengsel und filmmusikalische Dramatik, dass einem schwindlig werden kann. Joel wird nie Esbjörn sein, und das muss er auch nicht: Er ist auf dem besten Weg, sich selbst einen großen Namen zu machen.

Die Band badet im Applaus, spielt als Zugabe »Believe Beleft Below«, eine ergreifende Ballade, nahezu perfekt in ihrer Emotionalität und Stimmigkeit. »Wir schauen mal, ob wir durchkommen«, sagt Öström und wischt sich ein imaginäres Tränchen aus dem Auge. Danach gibt es Ovationen im Stehen, das Publikum im ausverkauften Saal johlt vor Begeisterung. Die Leerstelle bleibt – die Musik zum Glück auch.

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