GWEN DOLYN, 11.04.2025, Merlin, Stuttgart

Als Gwen Dolyn vor gut einem Jahr mit ihrem Projekt Tränen im Merlin war, war der Laden schon lange vorher ausverkauft und irgendwie fühlte sich die Rockshow damals „wie eine Nummer zu groß“ an für das kleine Merlin. Das ist heute anders: Der Saal ist etwa dreiviertel gefüllt und die Show wird kuscheliger ausfallen. Die Wahl-Chemnitzerin ist mit ihrem Debütalbum „X-RATED feelings“ unterwegs und dieses verspricht, eine Achterbahnfahrt aus intimen Balladen, NNDW und Elektropunk-Kloppern.

Zuerst entert aber Larasüß die Bühne. Im Slacker-Look mit Panenka-Trikot und Schlabberjeans. In Begleitung einer Kollegin am Laptop startet die junge Bedroom-Producerin ihren ersten Track „Raum“. Ein geschmackssicheres Cover der NDW-Heroen Grauzone. Bei ihr im zeitgemäßen NNDW-Synthpop-Gewand, mit entrückt-verhallter Stimme und lässigem Gesangsvortrag. Von der Stimmlage und mit ihrer verhuschten Intonation erinnert sie mich an Sophia Blenda, die schon mehrfach auf dieser Bühne stand. Mit der Auswahl des Covers setzt sie auch gleich ein Thema des Abends, denn Versionen von Achtziger-Jahre-Hits werden wir noch einige hören. Auch ihre eigenen Songs funktionieren bestens und mit „Geister“ in erhöhtem Tempo, mit schwerem Beat und markanter Synthie-Hookline übergibt sie dem Main Act ein bestens aufgewärmtes und begeistertes Publikum. In der Zugabe überrascht Larasüß dann noch außerhalb der Setlist mit „Zu spät“ von den Ärzten, was vom Saal lauthals mitgesungen wird. [Anm. d. Red: In einer früheren Version hatten wir dieses Cover versehentlich Gwen Dolyn zugeordnet. Das haben wir korrigiert]

Der Auftritt von Gwen Dolyn gestaltet sich da schon deutlich divenhafter. Umgeben von neonfarbener Gwen-Dolyn-Leuchtschrift und überdimensionalen, futuristischen Kunstblumen, bekleidet mit einem voluminösen Kunstpelz und klobigen, hochhackigen Stiefeln betritt Gwen Dolyn die Bühne. Begleitet wird sie von Henry Hamann an der Gitarre und dem in Stuttgart nicht unbekannten Thomas Zehnle am Bass. Mit „Lame Ghost“, einem veritablen Rocksong und einem der wenigen, die in Englisch gesungen werden, startet der Abend. Er markiert das eine Ende des musikalischen Spektrums von Gwen Dolyn, „Hände, getrocknet“ ist schon deutlich poppiger, mit einer funky Gitarre. Gwen hat sich inzwischen des Pelzmantels entledigt und plaudert mit dem Publikum über ihr Outfit und dass jetzt ein echt „cringer“ 80er-Rocksong käme. „Dein ist mein ganzes Herz“ entpuppt sich als Mitgröhl-Hymne – und ohne den Knödeltenor des Herrn Kunze ist er eigentlich sogar ganz hörbar.

Das Publikum ist übrigens im Durchschnitt eher älter. Für mich ein wenig erstaunlich, würde man doch erwarten, dass die beeindruckende und selbstbewusste Künstlerin mit ihrem mitreißenden Vortrag und ihrer klaren Haltung, die sie in ihren Ansagen immer wieder einstreut, ein perfektes Role Model für junge Mädchen und Frauen wäre.

Ein Höhepunkt des Sets ist der Mittelteil, in dem sie selbst zur Gitarre greift und nach „Well Educated Brat“ den Song „After you left my body“ bringt, der einen Schwangerschaftsabbruch thematisiert. Das ist ein ergreifender Blick hinter die grellbunte Pop-Fassade von Gwen Dolyn. Ihr Debütalbum, das übrigens von Thomas Zehnle und Max Rieger produziert wurde, kommt in Gänze und in seiner ganzen stilistischen Vielfalt zur Aufführung. Mit „Benzos & Blut“ und „F.u.K.“, die mich an die Elektropunk-Nummern von Prada Meinhof erinnern, wird das Tempo angezogen und bringen den Saal in Bewegung, bevor dann das Set mit dem Chaos-Z-Punk-Cover Duell der Letzten, einer „Wall of Love“ und wildem Getanze endet.

Setlist
Lame Ghost
Hände, getrocknet
Dr Murkes
Dein ist mein ganzes Herz
Kapitulation
Well Educated Brat
After You Left My Body
Reiner Wein
Blut auf dem Rasen
Mies präpariert
Ertrinken
Engelboy
Benzos & Blut
F.u.K.
Duell der Letzten
Girlscout
„Zu spät“? „Zu betrunken“?
Großartiger Auftritt von Gwen Dolyn. Den Tiefpunkt des Abends aber, das Cover von „Zu spät“ hatte nicht sie, sondern die „Vorgruppe“ zu verantworten.
Vielen Dank fürs aufmerksame Lesen und den Hinweis. Das hatte ich tatsächlich falsch abgespeichert und nun entsprechend korrigiert.