DIE NERVEN, FUTSCH, 27.03.2025, LKA, Stuttgart

DIE NERVEN, 27.03.2025, LKA, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Mal wieder Die Nerven live in Stuttgart, endlich, obwohl ich keine andere Band häufiger gesehen habe, ist die Vorfreude riesig. Bisher hat mich die Stuttgarter Post-Punk-Institution nie enttäuscht. Nein, ganz im Gegenteil waren sie immer ein Live-Ereignis ganz besonderer Güte, also erwarte ich auch heute Abend Großartiges.
Auch gegenüber dem Support Futsch (dem neuen, heißen Scheiß aus dem Kessel) habe ich nicht gerade kleine Erwartungen, wussten sie mich doch vor wenigen Wochen im Merlin, als Support von Andreya Casablanca, der sie etwas die Show gestohlen hatten, absolut zu überzeugen. Nun heute auf der großen Bühne im Longhorn; ich bin gespannt, ob sie auch diese auszufüllen wissen.

FUTSCH, 27.03.2025, LKA, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Ein Feedbackgewitter schallt durch das ziemlich volle Longhorn, um kurz darauf von Josefin Feilers wuchtiger Stimmgewalt durchbrochen zu werden. Feiler stand am Sonntag noch als Dora in der gleichnamigen Oper auf der Bühne der Staatsoper Stuttgart, um als Solistin zu brillieren. Nach der Aufführung wurde die Inszenierung noch mit einem Kritikerpreis als beste Uraufführung ausgezeichnet. Doch zurück ins LKA. Das sehr gemischte Publikum (vom Zwanzigjährigen bis zum Mittsechziger reicht das Altersspektrum) ist augenblicklich gebannt. Schon nach diesen wenigen Takten ist klar, Futsch können auch die große Bühne problemlos bespielen, ja, es scheint als dies die Band noch zu beflügeln. Ihr Sound erscheint mir heute Abend noch zwingender, treibender und intensiver.

FUTSCH, 27.03.2025, LKA, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Musikalisch ist alles auf den Punkt gebracht, ein perfektes Zusammenspiel von Matthias Krebser und Reinhold Buhr an den Gitarren, Dennis Ströbele am Schlagzeug und Jonas Bolle am Bass. Unsicherheiten sind keine auszumachen, als ob die 5 Musiker*innen schon ewig gemeinsam auftreten würden.
Post-Punk und frühe Neue Deutsche Welle à la Xmal Deutschland gehen eine mitreisende Liaison ein. Das begeistert einfach, ebenso wie Feilers theatrale Bühnenpräsenz, die aber nie ins overacting abdriftet. Das Energielevel ist durchgehend im oberen Bereich der Skala, auch wenn es gegen Ende, mit dem Instrumental „Mein Song 2“, noch hypnotisch wird. Nach 30 Minuten und dem Song „Irgendwas ist immer“ verabschieden sich Futsch mit voller Wucht. Die Band hat gerade bewiesen, dass mein erster Eindruck im Merlin richtig war, hier hat sich eine wirklich starke Band formiert.

DIE NERVEN, 27.03.2025, LKA, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Doch nun zu Die Nerven. Etwas Angst habe ich ja schon, heute Abend über sie zu schreiben. Viel wurde schon über sie berichtet. Werde ich dem noch etwas hinzufügen können? Na ja, ich werde es versuchen. Begleitet von sakralen Tönen schreiten Die Nerven die Treppe zur Bühne herunter. Trommelwirbel Kevin Kuhn. Jubel brandet auf, die Hände hoch. Mit dem Opener „Als ich davonlief“ gibt es ohne Verzögerung eine auf die Zwölf!

„Auf der Flucht vor der Ewigkeit ist mir kein Weg zu weit.“

DIE NERVEN, 27.03.2025, LKA, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
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Ist das, Eskapismus? Nein! Bei Die Nerven wird sich schonungslos mit dem Jetzt auseinandergesetzt. Aber nie vereinfacht in Slogans, immer mit einer literarischen Qualität, wie man sie in der Musik nur selten findet. Text und Musik ergänzen sich kongenial, gehen eine unauflösbare Verbindung ein, bedingen sich einander.

Welche eine Energie brandet von der Bühne ins Publikum, der Moshpit tobt. Die Musik ist körperlich und intellektuell zugleich; spürbar, bewegend und nachdenklich machend. Fallen lassen und sich verausgaben, wie auch die drei Musiker, die mit begeisternder Spielfreude vollen Einsatz zeigen. Das ist echt, Die Nerven brauchen keine aufgesetzte Show, keine Effekte, sie zelebrieren einfach ihre Musik auf höchstem Niveau. Das mag sich banal anhören, ist aber alles andere als selbstverständlich, kaum eine andere Band schafft es ein solches Energielevel auf die Bühne zu bringen. Beschreibbar ist das nur sehr schwer, man muss es erleben. Große Musikalität wird dargeboten mit dem Mut zur Dekonstruktion und Neustrukturierung. Fein austarierte Songstrukturen, transformiert durch brachiale Dynamik in Kakophonie, um danach in atmosphärische Soundscapes zu münden. Max Rieger, Julian Knoth und Kevin Kuhn destillieren aus Musik reine Energie.

DIE NERVEN, 27.03.2025, LKA, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Lärmig ist es, laut und aggressiv wie und doch nie das Melodische vergessend, wie im melancholisch, reflexiven „Achtzehn“.

„Ich will nie mehr Achtzehn sein, mein Körper ist ein Tempel, ich reiß ihn ein, nichts wie weg, wenn ich bleibe geh ich ein, ich weiß es besser, hör mir zu und lern, nie mehr war ich näher, nie mehr so fern.“

Ein wahres Klanggewitter erschüttert das Longhorn. Die Körper der Musiker in Ekstase. Die Nerven als Meister der Dynamik, der Spannung. Laut und Leise, noisig wird es und kumuliert in einer wahren Urschreitherapie Kevin Kuhns, die ihren Widerhall im Publikum findet. Was will ich jetzt noch schreiben, gerecht werden kann ich dem, was auf der Bühne abgeht, nicht wirklich. Nur eines noch, Die Nerven waren live schon immer ein Ereignis und trotzdem habe ich das Gefühl, dass sie jedes Mal besser sind. Was mag da noch kommen?

DIE NERVEN, 27.03.2025, LKA, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
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Die Nerven

Futsch

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