AUTOBAHNS, POINT NO POINT, 26.03.2025, Sunny High, Stuttgart

Von diesem Konzert in Cannstatt erfahren wir nicht im Stadtmagazin oder Konzertkalender, sondern über direkte Empfehlungen oder die Social-Media der Bands und Veranstalter*innen. Wer heute hier ist, weiß warum, oder kennt eben jemanden. Das Veranstaltungskollektiv NO SHOWS lädt ein zum Underground-Abend im ersten Stock der Schwabenbräu-Passage. Zum zweiten Mal findet eine Show hier statt, wie gewohnt mit handverlesenen Bands. Wer zum angekündigten Beginn im Sunny High ankommt, erlebt noch das Ende des Soundchecks, die Leiter steht noch – DIY or die. Dementsprechend mischen sich Musiker*innen und Publikum, man kennt und grüßt sich.

Als Point no Point aus Berlin auf die Bühne treten, ist der Laden bereits gut gefüllt und am Ende werden es über hundert Gäste sein. Bühne ist in dem Fall Interpretationssache: Das Schlagzeug und die Verstärker stehen erhöht auf dem Treppenansatz, andere Musiker*innen davor auf dem selben Boden wie das Publikum, Effektketten und Synthesitzer markieren den Bühnenraum. Das Soloprojekt der Berliner Musikerin Jana Sotzko ist auf Tour zusammen mit der Band, mit der sie auch die jüngste EP „Haus ohne Schatten“ (Ichi Ichi) aufnahm. Zusammen mit der Bassistin Karen Thompson konnte man Sotzko im vergangenen Jahr noch als Halfsilks im Café Galao sehen. Während dort Glamrock-Anleihen verzückten entführend Point no Point heute in vielschichtige Klangsphären und labyrinthische Songstrukturen, die nicht selten zu eingängiger Auflösung kommen: Synth-Sounds, die an charakteristische 80er-Klänge aus einem Yamaha DX erinnern, machen Songs wie „Hoch leben die Moneren!“ zu kleinen Pop-Hymnen.

Sotzko bemerkt erfreut, dass trotz des miesen Wetters so viele ihren Weg ins Sunny High gefunden haben. Passend zu den Regentropfen draußen plätschern drinnen die Synthsounds. Songs fließen ineinander über und manchmal wechseln Stimmungen, Tonarten oder Tempi inmitten der Stücke: „Infant Sun“ startet mit funky Bassläufen und Rhodes-Sounds und gedeiht im letzten Drittel zu einem wavigen Pop-Epos. „Take a swim in the Sea of Crises,“ die Welt geht unter, aber immerhin klingt sie schön. Es krautet, es groovt, es pluckert, mal verträumt, mal tanzbar. Der Gitarrist Robin Harder und Drummer Simón Castro Gana agieren im Zusammenspiel wie anderswo die Rhythmussektion, während Sotzko und Thompson sich mit ihren Stimmen im Wechsel gegenseitig anschieben oder harmonisch die Songs zum Höhepunkt treiben.

Im heutigen Set überwiegen die schnelleren und lauteren Nummern, viele davon von der neuen EP, die ohnehin extrovertierter klingt als die früheren Veröffentlichungen. Die Songs enden immer dann, wenn man gerade richtig hineingefunden hat, und das gilt auch für das gesamte Set: nach einer halben Stunde ist Schluss, mit „Suavecito!“ kommt der musikalische Flohzirkus rund um Jana Sotzko nochmal auf Hochtouren, ein Schwall schräger Töne mäandert hypnotisierend durch den Raum, Atemstöße im Stakkato zum zuckenden Schlagzeug. Ein angemessener Vorbote für die zweite Band des Abends, die das Panorama der Genre- und Referenzschubladen dieses Abends noch weiter auffächert.

Autobahns aus Leipzig haben sich unter denjenigen schon einen Namen gemacht, die man bei Crust-Shows im Juha-West sehen würde, in der Umbaupause erfährt man von begeisterten Erinnerungen von einem letztjährigen Konzert am Nordbahnhof. Versprochen wird ein Synth-Punk-Garage-Mix mit Lofi-Charme. DIY bleibt Programm, das Schlagzeug ist mit drei Steinen vor dem Wegrutschen gesichert und der Soundcheck findet zwischen dem sich um die Bühnensituation drängenden Publikum statt. Der stattliche Odyssey-Synthesizer unterstreicht, dass Punk mehr ist als drei Akkorde, nämlich eine komplexe Welt mit vielen Facetten. Die vom schweizerisch-italienischen Musiker Giuliano Iannarella selbst produzierte „First LP“ ist sowohl im Katalog des deutschen Noisepunk-Labels Phantom Records als auch dem austalischen Label Legless Records zu finden, das mit Bands wie Split System das Credo „Punk’s Not Dead“ aufrechterhält.

Autobahns stürzen vom Soundcheck aus direkt ins Geschehen. Giuliano Iannarella ist ein charismatischer und einnehmender Charakter, von dem man die Augen kaum lassen kann. Die Bassistin, der Gitarrist und der Schlagzeuger tragen mit ihrer Spielfreude dazu bei, dass die Menge zunehmend in Bewegung gerät. Zu dem Geschehen auf der Bühne entwickelt sich im Publikum statt schubsendem Pogo nur ausgelassene Freude und achtsame Tanzbewegungen. Ein filmendes Handy in der ersten Reihe wird vom Iannarella lächelnd beiseite gewischt, die Interaktion direkt, die vierte Wand von Sekunde eins an eingerissen. Iannarella tigert unentwegt über die Performance-Fläche oder hämmert in seinen Synth. Wer die Songs noch nicht kennt, versteht kaum ein Wort, was wohl nicht am Soundtechniker, sondern den bewusst übersteuerten Delay- und Distortioneffekten liegt. Wenn Giuliano nicht singt, ist er zeitweise damit beschäftigt, den Raum mit dem Mikrofonständer zu vermessen oder den Traversen, Lüftungsrohren oder Trommelkörperm Geräusche zu entlocken. „This is Live Music“ ist der mehr als treffende Kommentar, als ein Song mehrmals neu angesetzt wird, weil Bandmitglieder ihre Einsätze verpassen — das stört heute niemanden, es tut der Energie im Raum keinen Abbruch, die Luft wird zunehmend dicker. „Fuck shit up“ skandiert Iannarella standesgemäß im Song Oppressive Pressure.

Zwischendrin verlassen wenige den Raum, weil sie frische Luft brauchen oder den Ton nun doch etwas zu rau finden. Es ist ein Wagnis, aber letztlich großer Verdienst von No Shows diese beiden Acts zusammenzubringen. Auf den ersten Blick könnten sie kaum unterschiedlicher sein, doch sie verbindet mehr, als es zunächst scheint: die DIY-Einstellung, Musikszenen-Verbindungen zwischen Berlin und Leipzig sowie das Augenzwinkern gegenüber musikalischen Vorbildern. Die eindringliche Musik von Autobahns ist einerseits bitterernst und nimmt sich andererseits selbst auf die Schippe, wenn schräge Synthmelodien die Momente zerfetzen, in denen man sich kurz in einem fast klassischen Punksong wähnte. Dabei blitzen melodischer Garagerock und Skatepunk-Singalongs immer wieder durch die Nebelmaschinenschwaden. Nach mehr als 15 Songs in gut 30 Minuten verabschiedet die Band ihr Publikum mit einem Surren aus dem Verstärker, das jeden Ruf nach Zugaben unterbindet.

So hinterlässt der Abend mit zwei kurzen und intensiven Sets einen bleibenden Eindruck und liefert hörenswerte Beweise, wie wertvoll und nachgefragt ein Angebot jenseits ausgetretener Pfade ist. Dafür muss eine Stadt Orte, Strukturen und vor allem engagierte Menschen unterstützen, die solche Abende vom liebevoll gestalteten Poster bis zum erschwinglichen Einlass betreuen. Das gilt es umso mehr zu betonen an Tagen, an denen Waggons und Container umziehen oder Orte wie die Rakete bis auf weiteres ruhen müssen. Die Kulturlandschaft einer Stadt braucht Vielfalt und Räume, in denen auch kleine Bands aus anderen Städten Impulse setzen – und wie mit den einst von No Shows veranstalteten Cava bald auf eine größere Bühne zurückkehren könnten.