JOHN CALE, 09.03.2025, Theaterhaus, Stuttgart

Mehr Mythos und Legendenstatus geht kaum: John Cale ist ein Überlebender der Rockgeschichte. Vor sechzig Jahren gründete er unter den Fittichen von Andy Warhol gemeinsam mit Lou Reed die in vielerlei Hinsicht wohl einflussreichste Rockband überhaupt: Velvet Underground. Schon drei Jahre später ist er wieder weg, startet seine bis heute dauernde Solo-Karriere, legt fulminante Alben vor – aber immer mal wieder auch mäßig geglückte Werke. Dazu erweist er sich als Produzent als der vielleicht wichtigste Pate von Punk. U.a. stehen Nico, Stooges, Patti Smith, Siouxsie & The Banshees und Jonathan Richman auf seiner Liste.
Beim heutigen Auftritt im klassischen Rockbandformat feiert er seinen 83. Geburtstag. Er hat eine ausufernde Drogenkarriere und drei Ehen überlebt und ist aktuell mit gleich zwei ambitionierten Alben in den letzten beiden Jahren wieder sehr präsent. Sein jüngstes Oeuvre ist ehrgeizig, ambitioniert und künstlerisch wagemutig – wie auch der heutige Auftritt. Es stehen sechzig Jahre Rockgeschichte auf der Bühne des großen Saals im Stuttgarter Theaterhaus – da ist die Spannung vorab mit Händen zu greifen.

Der gebürtige Waliser und Wahl-New Yorker präsentiert sich von Beginn an in erstaunlicher Form: körperlich fit, lässig und stylish gekleidet, instrumental topfit (an Tasten und Gitarre) – und mit dieser unglaublichen Stimme gesegnet. Die zeigt tatsächlich keinerlei Verschleißerscheinungen, klingt laut, sonor und majestätisch. Das liegt auch am vorzüglichen und erstaunlich lauten bis wuchtigen Sound im bestuhlten Saal.
Allein Cales Präsenz ist reine Grandezza, was das in ehrfürchtiger Erwartung verharrende Publikum natürlich zu schätzen weiß. Was für eine Bühnenpräsenz – mit verzückten Gesichtern wird andächtig gelauscht. Zum Glück ist schon nach wenigen Minuten klar: John Cale ist ganz sicher nicht auf Abschiedstour, bietet auch kein risikoloses Hit-Programm, obwohl das Repertoire locker vorhanden wäre. Seine Ansagen sind knapp, seine Mitspieler erweisen sich als kompetente Routiniers. Der Bassist zaubert trotz Unmengen virtuoser Töne einen federnden Groove, der Drummer sorgt für druckvollen Punch, der Gitarrist spielt flächendeckend und effektreich. Dazu gibt es einige eingespielte Digitalsounds und trotz allem steht Cales Performance ganz im Vordergrund.

Sein variationsarmer, aber doch expressiver und angenehm warmer Bariton füllt den Saal und sorgt für intensive Konzertmomente. Und das, obwohl die Songauswahl auf naheliegende Highlights fast komplett verzichtet. Es gibt keine Hits von Velvet Underground (nicht mal als Zugabe), kein „Heartbreak Hotel“, kein „Buffalo Ballet“ und kein „I Keep A Close Watch“ oder „Fear Is A Man’s Best Freiend“. Stattdessen kommen eher unerwartete und auch einige neuere Songs. Erstes Highlight: Cale greift zur Stromgitarre und zelebriert mit seiner hier hart rockenden Band eine krachige Version von „Helen Of Troy“.
Klassisches wie „Cable Hogue“ „Guts“ und „My Maria“ kommen dann doch noch. Die Fans in überwiegend reiferem Alter wissen es zu schätzen, mit leuchtenden Augen wird applaudiert. Der kantige Querkopf gibt sich heute entspannt und souverän, hat seine folgsame Band fest im Griff. Auch die gebeamte Lightshow passt perfekt zu einem gelungenen Auftritt des alten, aber ungebrochen kreativen Meisters. Man darf sich fast sicher sein, dass dies nicht der letzte Auftritt von John Cale in Stuttgart gewesen ist. Denn eines steht fest: Er hat sich seine kreative Energie bewahrt und geht bis heute seinen ganz eigenen Weg zwischen avanciertem Post-Punk und kühnem Art-Rock.

Ja wäre schön denn war leider ausverkauft