TOKIO HOTEL, 04.03.2025, MHP-Arena, Ludwigsburg

Malou Lovis, 2023er-Siegerin der 13. Staffel der Castingshow The Voice of Germany, eröffnet um 20. Uhr den Abend. Besinnlichkeitsdringlichkeitspop auf Englisch. Gute Stimme, gut produziert. Ihr erstes Album erscheine am Freitag, erzählt sie uns. Sie steht umrahmt von ihrer Bassistin Pia und ihrem Gitarristen Herbert, Beats und Backvocals vom Band (natürlich digital, aber 3 x B gleich schöne Alliteration).

Sie alle stehen förmlich im zurückgezogenen Tokio-Hotel-Frontvorhang und bauen nach ihrem 25- Minuten-Gig selbst ab. Demontage zum Tourstart Hilfsbegriff.
Umbaupause. Es wird „Let It Happen“ von Tame Impala im Soulwax-Remix gespielt. Irgendwer hat hier Geschmack. Superspannungsaufbautrack.

21 Uhr, der Kabuki-Vorhang mit Tokio-Hotel– und Vodafone-Logo fällt, auf riesigen mit LED-Bühnenelementen spielen rechts Bass (Georg Listing, Gründungsmitglied), Mitte Gustav Schäfer (Schlagzeug, Gründungsmitglied), links Tom Kaulitz (Gitarre, Synthesizer, Gründungsmitglied). Engelsgleich, mit ausladenden Federflügeln steigt Bill Kaulitz (Gesang, Gründungsmitglied) auf einer sich erhebenden Plattform empor, weit über seine Mitmusiker. „Miss It (At All)“ heißt der techno-hibbelige Eröffnungssong, alles an Licht, LED und Lautstärke wird aufgefahren, was die – beeindruckende – State-Of-Art-Veranstaltungstechnik hergibt. Es muss hervorgehoben werden: Das Motion-Design auf den LED-Elementen ist abwechslungsreich und sehr schön gestaltet: matrixartige fließende Sterne, zitternde Gasflammen wie aus der Badezimmertherme, regenbogenfarbene Schlierenschönheiten und und und.

Mit diesem Voll-auf-die-Zwölf-Start wird das überwiegen Twenty- bis Thirtysomething-Publikum genau da abgeholt, wo es sich emotional befindet. Fetter Einstieg. Nach Bills Abstieg wird von zwei Fachkräften seine blondierte Mähne entflochten, dann tritt er an den Bühnenrand in den Ventilatorluftstrom:
Hallo ihr Mäuse!
Sie seien etwas aufgeregt, heute ist der Start der Europatournee. Und gleich präsentieren sie als Weltpremiere ihren neuen Song „Hands Up“. Jeder Satz wird mit großem Publikumsjubeln (manche sagen Gekreische) garniert. Weiter geht es mit der Überwältigungsmaschine.
Es wird eine 2. Staffel Kaulitz und Kaulitz geben.
Reaktion siehe oben. Jetzt Kostümwechsel von Rosaflatterhäs auf schwarzes Glitzerkleid mit Acrylhighheels, Haare werden gecheckt. Duett mit MalouLovisVoiceofGermany. Hier fließt alles zusammen: Live Instagram-Reel, Scripted Reality, Vermarktungsfernsehen, Werbung.

Der Backliner in weißen Satinshorts (bis vor kurzem waren die Girtarrenstimmer gern in unauffälligem Schwarz gekleidet) reicht Tom die Akustikgitarre. Tom streicht sich die prachtvollen, braunen Haare aus dem Gesicht. Kaulitz‘ Haare sind quasi Kaulitz‘ UU: zeigen, zeigen, zeigen heißt die Devise.
Auf einem Drehteller, Rücken an Rücken auf Barhocker sitzend, singen und spielen Bill und Tom acoustic das 2006er „Rette mich“. Hey, das machen die beiden richtig gut. Das Publikum singt jede Textzeile mit. Ein echter Konzert-Moment. Und weiter geht es mit dem launigen Kraftklub-Kollabo „Fahr mir mit (4×4)“ und dem Nina Chuba Song „Fata Morgana“. Die Hochglanz-Show wird zu einem anständigen Konzert. Vorläufiger Höhepunkt: „Careless Whisper“ von George Michael als Pathos-Pop-New-Metal-Ballade. Klingt komisch, ist aber: geiler Shit.

Bei all der medialen Überlagerung durch Heidi-Hochzeit, Senf aus Hollywood, Voice Of Germany und alle den Formaten, die der Ü50-Rezensent gar nicht kennt, zeigt sich, warum die Zwillinge und ihre beiden Bass- und Beat-Haudegen so erfolgreich wurden: Sie schreiben gute Mainstream-Songs und bringen sie live verdammt gut rüber. Tokio Hotel versucht, alles unter einen Hut zu bekommen: Glamour und Konzert. Angesichts dieser außergewöhnlichen Ausgangslage: yep, klappt.
Bill zeigt sich am Ende der Show außerordentlich dankbar: 20 Jahre Tokio Hotel, ausverkauft, gelungener Tourauftakt, Publikum begeistert. Man nimmt ihm die Erleichterung ab. In der Zugabenrunde kann nun nichts mehr schiefgehen: „White Lies“, „Durch den Monsun“ und „Great Day“ lösen angemessene Begeisterung aus. Alles richtig gemacht.

Die Set-List:
- Miss It (At All)
- Darkside of the Sun
- The Heart Get No Sleep
- Girl Got a Gun
- Love Who Loves You Back
- Hands Up (new unreleased song, world premiere)
- Feel It All
- Home
- Easy
- Just a Moment (with Malou Lovis)
- In Your Shadow (I Can Shine)
- Rette mich
- Fahr mit mir (4×4) (Kraftklub cooperation)
- Fata Morgana (Nina Chuba cover)
- World Behind My Wall
- Spring nicht
- Careless Whisper (George Michael cover)
- What If
- Colors of the Wind (Alan Menken & Stephen Schwartz cover)
Encore:
- White Lies
- Durch den Monsun
- Great Day
Sehr schön, Artikel wie Bilder. Und scheinbar ja auch das Konzert. Minimale Korrektur: „Fahr mit mir“ ist kein Kraftklub-Cover, das war eine Kollabo zwischen beiden Bands.
Danke für das Lob, danke für den Hinweis, ich habe den Artikel angepasst.
Schön geschrieben, Bertram. Ich freu mich, dass hier kein Tokio-Hotel-Bashing betrieben wurde. Ich hab die mal als Begleitperson für eine 12-Jährige gesehen, da war Monsun grade der Hit. Es war mir zwar irgendwie fad, weil ich halt in Bezug auf die Text nicht die Zielgruppe war (Scheidung der Eltern z.B.) und die Musik auch nicht so meins, aber dennoch war ich beeindruckt. Eine superjunge Band, die selbst ihre Songs schreibt und ihre Instrumente gut spielt. Das ist doch was. Jetzt sind sie älter und ich werde wohl niemanden mehr zum Konzert begleiten müssen, aber es gibt Tokio Hotel noch. Find ich gut!