THE LEGENDARY PINK DOTS, 16.02.2025, Secret Location, Stuttgart

Dieses Wochenende konnte man in Stuttgart eine mögliche Zukunft des Konzertangebots ausgiebig erleben. Sie heißt DIY, selber machen, Bands einfach privat einladen, wenn es in den verbliebenen Live-Locations in der Landeshauptstadt nicht klappt – aus welchen Gründen auch immer. Jedenfalls war das Angebot der letzten Tage exquisit: Am Freitag verzauberten die Wiener*innen beauchamp*geissler die Anwesenden im IndieWohnzimmer in Feuerbach, am Samstag präsentierten die 7Flöten ihr erstes Album im privaten Rahmen in den Stuttgarter Outskirts und schließlich lud ein umtriebiger Stuttgarter Livemusik-Enthusiast die, äh, legendären Legendary Pink Dots auf Spendenbasis in seine leergeräumten Geschäftsräume ein.

Die britische Band existiert schon seit 1980, einzige Konstante ist der charismatische Edward Ka-Spel – Sänger, Musiker, Komponist, Texter, Produzent. Für mich seit bald 40 Jahren eine Lieblingsband, in den späten 80ern durfte ich sie auch noch in der Röhre und in der Leonberger Beatbaracke live erleben (falls ich mich recht erinnere) – damals noch mit künstlichen Spinnweben als Deko und mit einer recht dominanten Violine.
Vorab bin ich allerdings nicht sicher, ob die bis heute unverdrossen produktive Band anno 2025 auf der Bühne noch so gut funktioniert wie in den darkwavigen 80ern. Denn schon damals passte der versponnene Gothic-Artrock in keine stilistische Schublade. Seinerzeit konnten sie zwar auch tanzbare Dunkeldisco-Hits scheinbar locker aus dem Ärmel schütteln („Under Glass“), sich aber auch über komplette Albumseiten in kunstvoll-abstrakte, lyrisch avancierte Paralleluniversen verlieren.

Ich bin also sehr gespannt und freue mich gleich mal, dass der Laden prächtig gefüllt ist – einzelne Gäste sollen sogar aus dem Ausland angereist sein. Das loftartige Ambiente ist liebevoll mit Pflanzen dekoriert, die Hausanlage ist vom Feinsten. Denn was das quasi vierte Bandmitglied Joep Hendrikx am Mischpult aus den Boxen zaubert, ist fulminant – was für ein mächtiger und blitzsauberer Sound, würdig jeder amtlichen Profi-Konzertlocation.
Die drei nicht mehr blutjungen Herren entern die nicht vorhandene Bühne, die Augen richten sich auf Edward Ka-Spel, der sich exakt wie vor 40 Jahren milde schamanisch inszeniert: barfuß und mit einem Mäntelchen, das eher einem grauen Laborkittel gleicht. Auch die getönte Brille wirkt so Vintage wie damals schon. Dann fängt er zu singen an und ich bin allein von dieser Stimme immer wieder sofort gefangen.

Denn zweifellos ist Ka-Spel kein großer Sänger, weiß aber seine zeitlos-coole Stimme sehr gekonnt einzusetzen. Statt auf wie auch immer gearteten Soul setzt er auf kühle Nonchalance, was mich immer an Größen wie Lou Reed, Peter Parrett (Only Ones) und Steve Kilbey (The Church) erinnert. Dazu ruft er vom Rechner Samples und Einspielungen ab, bleibt aber meistens im Zentrum des Geschehens und liefert eine lässig-hippieske Performance ab, die perfekt zur Musik passt.
Die kommt von Tastenmann und Electro-Wizard Randall Frazier, der den aktuellen Sound der Legendary Pink Dots mit digitalen Beats und Synthie-Lines eine gute Spur härter und digitaler macht, was dem zeitlosen Geist auch der älteren Songs aber kein bisschen schadet. Die teils lauten und hart rockenden Kontraste kommen von Gitarrist Erik Drost, dessen Linkshänder-Gitarre mächtige Akzente fast in Richtung Spacerock setzt. Dabei klingt er so kristallklar wie David Gilmour, wie überhaupt der Sound in seiner druckvollen Perfektion beeindruckt – so laut war es hier jedenfalls noch nie.

Meine Bedenken wegen der Songauswahl verschwinden schon früh, Lyrisch-Introspektives gibt es heute kaum, stattdessen wird mit straightem Beat und satten Gitarrenriffs überraschend gradlinig gerockt. Was den oft einfach nur großartigen Songs von Ka-Spel sehr guttut, denn in all der Vielschichtigkeit seiner Kompositionen und Ideen gelingen ihm in allen Schaffensphasen auch diese typischen, fast hymnisch eingängigen, suggestiv-surrealen und dezent darkwavigen Rock- und Popnummern. Wenn die Gitarre so richtig beherzt über den hypnotischen Maschinenbeat bratzt, fühle ich mich sogar mehrfach an New Order erinnert.
Mich packt der Sound von Anfang an, auch wenn ich – wie fast schon erwartet – keinen einzigen Song aus der zweiten Hälfte der 80er höre. Die Typen haben ein ebenso enzyklopädisches wie qualitativ hochwertiges Repertoire, aus dem sie schöpfen können (an die 50 LPD-Alben plus ausuferndes Soloschaffen).

Der eher introvertierte Meister scheint auch beachtlichen Spaß am Konzert zu haben, erweist sich hinterher als volksnaher Plauderer und bedankt sich via Insta sehr erfreut über die besonders herzliche Aufnahme. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor muss noch herausgestellt werden, denn für die perfekte Inszenierung der Show sorgt die Stuttgarter Licht-Crew Light Of The Lampyre, die gleich zu fünft mit Flüssigprojektionen per Overheadprojektor für farbenfrohe Psychedelik sorgen – und das besser denn je.
Der enorme Aufwand hat sich für alle Beteiligten gelohnt – hoffen wir auf weitere mit Liebe und Leidenschaft organisierte Privatkonzerte, um so vielleicht dem Verschwinden weiterer Konzert-Locations zu trotzen. Und komme mir jetzt niemand damit, dass dies die Ursache sein könnte.
Wer sich der Band jetzt erst recht widmen will: Auf der Website gibt es die sehr hilfreiche Rubrik „Recommended Listening“, die Orientierung schafft. Oder man beginnt einfach am Ende und hört das nagelneue Album „So Lonely In Heaven“. Das ist nämlich richtig toll geworden und klingt gar nichts so viel anders als in den frühen Jahren.
