ANTILOPEN GANG, MOLA, 12.02.2025, Im Wizemann, Stuttgart

Mola hatten/hatte es mit ihrem wunderbaren ersten Album im Jahr 2023 in meine gig-blog Jahrescharts geschafft. Aber wie es der Konzertteufel heute will, treffe ich direkt hinter dem Eingang zum Im Wizemann-Foyer einen ganzen Tisch voller lieber bekannter Gesichter und komme viel zu spät vor in die große Halle. Da hat der Support-Act schon Einiges geleistet für die wartenden Fans! Der hotte Disco-Look der Sängerin Isabella und ihrer Band würde auch an einem heißen Sommerabend irgendwo an der Adria perfekt funktionieren und die großartigen Songs sowieso. Ich nehme mir vor, eine ganze Show dieser Gruppe dringendst nachzuholen, denn nicht nur das Leben ist schön, sondern auch Mola!
Sommerlich lakonisch startet auch die Show der Antilopen Gang. „Junimond“, nicht von Rio, sondern von Echt, erklingt in voller Länge und bei gleißenden Scheinwerfern aufs Publikum aus den Boxen. Genug Zeit, um in unserer kleinen Runde rumzufragen, ob womöglich jemand die Super-Doku von Kim Frank über seine Band, seine Jugend und damit auch das im Sterben liegende Milliarden-Musikbusiness Ende der 90er/Anfang der Zweitausender noch nicht gesehen hat? Wenn ihr die noch nicht kennt, unbedingt ansehen!
Zu „Nichts ist für immer“ vom neuen Album kommt die Antilopen Gang, bestehend aus den drei Rappern Koljah, Panik Panzer und Danger Dan, jetzt auf die Bühne. Der Song handelt davon sich treu sein, aber niemals „hängengeblieben“ und so kann man sich auch im Jahr 16 der Bandgeschichte einen unterhaltsamen Abend erwarten, an dem es ordentlich abgeht. Aber trotzdem wird es auch kuschelig und vertraut: Ganz offiziell von den Dreien in der ersten Ansage so gelabelt, findet hier heute Gruppentherapie gegen die Gegengesellschaft da draußen statt. Wie kommt man klar, wie bleibt man sich treu, wenn die Welt sich kontinuierlich dem Abgrund entgegen bewegt? Solidarität im Alltag ist wichtig, die Anarchie zu lieben und zu leben, genau wie der nicht allzu große Respekt vor dem Eigentum.
Wobei mit dem Pre-Order des aktuellen Albums „Alles muss repariert werden“ gleich eine ganze Rolle Klebeband mitgeliefert wurde, die bei mir sehr regelmäßig in Verwendung ist! Hätte ich die nicht, gäbe es von den Antilopen vor „Army Parka“ auch eine Erlaubnis zum Tape- und Lebensmittel-Diebstahl. (Von) irgendwas muss man ja (k)leben! Die Setlist springt derweil fröhlich durch die das Antilopen-Gesamtwerk, die Fans – es wären wahrscheinlich gerne noch einige mehr gekommen, aber die Halle ist ausverkauft – springen mit. Der Backdrop mit dem Bandlogo wechselt hinter den Musiker*innen immer mal wieder per Abwurfsystem von Schwarz auf Weiß. Die Lichtshow ist bunt und mir teilweise fast zu grell – was aber auch daran liegen kann, das ich es nicht allzu weit vor schaffe.
Mit „Oberbürgermeister“, dem Song über Boris Palmer und andere (nur bedingt) alte weiße Männer, kommt der Konzertabend dann endgültig im Schwäbischen an und Koljah fragt, wer denn damals alles im 0711-Club bei Schowi und Friction war? Die anderen beiden haben aber nicht so richtig Bock auf die alten Geschichten und die „Benztown“-Stories werden auf später vertagt. Zu „Enkeltrick“ wird die tatsächlich anwesende Schwiegeroma Ilse freundlichst begrüßt und wippt mit weiterer Verwandtschaft am FOH mit. Der letzte Bericht über die Antilopen Gang auf diesem Blog ist übrigens unglaubliche zehn Jahre alt, also eine richtige Blog-Oma!
Am Klavier in der Mitte der Bühne spielt Danger Dan nun „Mir kann nichts passieren“. Sein Outfit dazu ist auch über den Antilopen-Kosmos hinaus längst bekannt: Bordeauxfarbige Bomberjacke und passende Springerstiefel. Darunter durfte es heute ein Trojan-Skins-Shirt sein. Die beiden anderen tragen Schwarz und die obligatorischen Adidasstreifen.
„Wünsch dir was“ von den Toten Hosen, bei deren Label die Antilopen einst ihren Erstling veröffentlichten, schallt danach durch den Saal, im Publikum singen ein paar zögerlich mit. Denn hier ist ja eigentlich die Band auf der Bühne, bei der „Wünsch dir nix“ gilt, das nun auch als Nächstes performt wird. (Im dazugehörigen Video wird übrigens ein Leih-E-Scooter umgekickt, was man sich hier in aller Pracht zehn Stunden am Stück ansehen kann.)
„Das Leben ist schön“ (… da ist er wieder, der Grundsatz, den auch Mola zum Auftakt des Abends besang) beweist, dass auch diese Musikgruppe mal für etwas sein kann und nicht immer nur anti. Zu „American Fitness am Hermannplatz“ müssen die Konzertgäste beweisen, dass sie keine „Lappen“ sind und schaffen das mittels exzessivem Crowdsurfen auch.
Panik Panzer übernimmt anschließend als „Romantischer Mann“ im feinen Zwirn und mit roten Rosen den Part, in dem der Abend am meisten an die Hitparade mit Dieter Thomas Heck erinnert. Und dann sind es nur noch ein paar wenige Takte bis „Beate Zschäpe hört U2“. So sehr zeitgeistig das antilopische Gesamtwerk mit diesem und anderen Songs auch nach wie vor ist, es fällt auf, dass an diesem Abend kein Tagesgeschehen kommentiert wird – kein Wort zur Bundestagswahl oder Trump. Dass in dem Kreis, der hier heute zusammengekommen ist, niemand Faschisten wählt, ist einfach gesetzt. Nur ein kleiner Seitenhieb, dass Panik Panzer die Halftime Show von Kendrick Lamar a cappella nachrappt, könnte später neben dem ohnehin auf dem Smartphone-Video verzeichneten Datum und Uhrzeit als Beweis dienen, dass dieses Konzert kurz nach dem Superbowl 2025 stattfand.
Zu „Verliebt“ leuchtet die Bühne in Regenbogenfarben. „Der Goldene Presslufthammer“ ist der letzte Song vor den Zugaben. Und die finden auf einer eher ungewöhnlichen Second Stage statt: Ein knallroter Minivan wird mit viel Gehupe ins Publikum geschoben – Koljah platziert dazu dann doch noch ein „Wir sind die Coolsten, wenn wir cruisen“ von den Massiven Tönen.
In „ALG“-Warnwesten steigen die drei Bandmitglieder aus dem Schiebedach des Wagens und rufen zu einer Spendenaktion für Opferperspektive e.V. auf. Die dafür rumgereichten Dosen seien bisher bei jeder Show gut gefüllt am Merch-Stand angekommen und so wird es sicher auch heute in Stuttgart sein. „Sympathie für meine Hater“ ist der erste Song aus dem roten Auto mitten in der Menge. „Wenn das hier vorbei ist“ der wuchtigste Reggae-Tune des Abends.
Danach geht es nochmal auf die Bühne und die sehr gute Antilopengang Band um DJ Jenny Sharp – die inzwischen auch an der Flying V-Gitarre versiert ist – drehen nochmal mehr auf, als ohnehin über das ganze Set hinweg schon. Die funky Live-Musik hat über die Konzertdauer von knapp zwei Stunden genau so viel Freude gemacht wie der Rap und der Punk!
Zu „Pizza“ und „Anti Alles Aktion“ samt Knochenfabrik-Hook geht ein wunderbarer Abend zu Ende. Wobei, halt! Die letzten Töne im Wizemann gehören dann tatsächlich doch noch Rio Reiser und Ton Steine Scherben: Zu „Wir müssen hier raus!“ geht das Licht an und garantiert niemand mit dem Gefühl nach Hause, ganz alleine auf der Welt zu sein, sondern – egal wie schlimm alles scheint – immer getragen von der Antilopen Gang und ihren Songs.