NAPALM DEATH, CROWBAR, FULL OF HELL, BRAT, 09.02.2025, Im Wizemann, Stuttgart

NAPALM DEATH, 09.02.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Wer hört sich eigentlich einen solchen infernalischen Höllenlärm an? Und warum überhaupt?

Sehen wir uns am frühen Sonntagabend im Wizemann um: Vorwiegend mittelalte Herren zwischen 40 und 60 dominieren das Geschehen. Der Look: schwarz, gerne mit kryptischem Logo auf dem Bandshirt. Frauenquote: keine 20 Prozent. Richtig junge Leute bleiben die Ausnahme.

Sind das gefährliche Typen? Oder wenigstens verkniffen unfreundlich? Martialische Musikextremisten im Kampf gegen den lauen Mainstream? Au contraire: Die, die ich treffe, sind es ganz sicher nicht – viel mehr schwätzt man in den Pausen mit den denkbar nettesten Leuten. Gutgelaunte, sonnige Gemüter erfreuen sich also an der Schönheit des Lärms, an Kraft und Energie von letztlich experimenteller oder zumindest sehr kühn gedachter Musik.

Etablierte Avantgarde zieht wenn überhaupt ein elitäres, vermutlich akademisches Hochkultur-Publikum an. An diesem Abend scheinen sich aber die sozialen Schichten komplett zu vermischen. Beziehungsweise: Keine Ahnung, was die Anwesenden sonst in ihrem Leben so tun.

NAPALM DEATH, 09.02.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Wir wohnen also gemeinsam der fortgesetzten „Campaign For Musical Destruction“ unter Federführung der notorischen Napalm Death bei. Sounds und Ästhetik lassen alle vier heute spielenden Bands irgendwo in der Grauzone zwischen Metal (Geschmacksrichtung Death) und Punk (in der Ausprägung Hardcore) verorten. Grindcore wäre ein hybrides Genre, ist aber – glaube ich – ein wenig aus der Mode gekommen. So oder so liegt der Reiz extrem lauter und schneller Musik ja oft nur in der Provokation: Beim Metal immer lauter, härter und schneller, beim Punk in der gewollt assigen Scheiß-Drauf-Haltung. Für mich beides sehr okay, solange dabei nicht Manowar, Rammstein oder die Toten Hosen herauskommt.

BRAT, 09.02.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
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Diese Gefahr besteht heute ganz sicher nicht. Der leicht verkleinerte große Saal im Wizemann ist gut gefüllt und der Abend beginnt Punkt 19 Uhr eher unerwartet. Denn die mir vorher unbekannten Brat aus New Orleans setzen gleich ganz eigene Akzente. Bei Discogs als Death Metal/Power Violence gelistet, finde ich die vier Amis gleich richtig super. Vor allem Sängerin Liz Selfish ist der Hammer – ein Cheerleader from Hell, mit cooler Sprechstimme – ihr Shouting ist dagegen Regan Mac Neil aus dem Exorzisten. Also derbes Gegrowle aus dem untersten Höllenschlund, das in lustigem Kontrast zu ihrer ironischen Aerobic-Performance steht. Der Gitarrist singt teils die hohen Töne der zweiten Stimme.

BRAT, 09.02.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Auch ihre Performance ist kühn: Gleich mehrere Songs werden mit Intro vom Band eingeleitet (Abba, Britney Spears, Kirmes-Techno), um dann mit Beat und Gitarreneinsatz brachial pulverisiert zu werden. Finde ich ausgesprochen unterhaltsam, auch das „Barracuda“-Cover von Heart.

FULL OF HELL, 09.02.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Fängt also gut an und geht mit Full Of Hell noch besser weiter. Schon vor Konzertbeginn signalisieren Auskenner, dass sie vor allem wegen der amerikanischen Ostküsten-Band gekommen sind. Das Genre: Hardcore bis Grind. Alleinstellungsmerkmal könnten die Electronics sein, die Shouter Dylan Walker vor allem für die Intros der atemberaubend explosiven Songs nutzt. Viel beeindruckender ist aber sein Gesang und seine sich völlig verausgabende Performance. Der grundsympathische und adrett frisierte junge Mann scheint von gleich mehreren (vokalen) Dämonen besessen zu sein. Später wird gemutmaßt, dass er für die schrillsten Obertöne einen Helium-Inhalator benutzt, ich konnte das von meiner Position nicht sehen, es klingt aber irgendwie tatsächlich so. [Anm. d. Red.: Ein aufmerksamer Leser hat uns darauf hingewiesen, das Gerät sei ein Kontaktmikrofon mit Stimm-Modulator]

CROWBAR, 09.02.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Nach diesem ultrakompakten Brett geht es mit Crowbar etwas gemächlicher zu. Die cool verwitterten Typen (wiederum aus New Orleans) zählen zu maßgeblichen Vertretern des Genres Sludge. Das heißt, dass ihre musikalische Brechstange etwas langsamer zum Einsatz kommt. Die Songs kommen mir bei aller tendenziell doomiger Heaviness aber doch recht zäh vor, der nur bei dieser Band recht matschige Sound lässt mich ebenfalls ein wenig ratlos zurück.

NAPALM DEATH, 09.02.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
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Dann endlich Napalm Death – für mich eine Band jenseits aller Kategorien, Genres und Konventionen. Musikalische Katharsis in Full Effect, ein reinigendes Gewitter für Ohren, Herz und Hirn. Schwer zu sagen, warum das der Band aus Birmingham so viel besser als anderen Noise-Extremisten gelingt. Vielleicht liegt es an der nach gut 40 Jahren eingetretenen Reife, die Albernheiten wie den Ein-Sekunden-Song „You Suffer“ aus der Setlist eliminiert hat? Heute spielen sie gut 20 Nummern von eher gängiger Länge. Der Sound ist sehr gut und für Wizemann-Verhältnisse auch ordentlich laut. [Anm. d. Red.: „You Suffer“ wurde doch gespielt, der Rezensent hat nur eine Sekunde nicht aufgepasst]

NAPALM DEATH, 09.02.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
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Sänger Barney Greenway finde ich jedesmal wieder phänomenal. Mit Mitte 50 ist seine Performance einfach nur bewundernswert. Wie ein Tiger im Käfig, mit pogopunkigen Moves, vor allem aber dieser unfassbaren Stimme. Bin ja kein großer Freund von schematischem Gegrowle, aber Barney holt aus seinen rostigen Stimmbändern über eine Stunde lang wirklich alles heraus.

NAPALM DEATH, 09.02.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
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Gründe für seinen auch politischen Zorn gibt es leider immer mehr und natürlich kommt kurz vor Schluss das aller Ehren werte „Nazi Punks Fuck Off“ von den Dead Kennedys. Ein versöhnliches Ende in harten Zeiten. Wir sind uns zumindest in diesem Moment sicher, dass kein Napalm-Death-Fan AfD wählt.

NAPALM DEATH, 09.02.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
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