SOYUZ, 05.02.2025, Manufaktur, Schorndorf

SOYUZ, 05.20.2025, Manufaktur, Schorndorf | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Auf diesen Abend freue ich mich schon lange. Schließlich landete Force Of The Wind von Soyuz, oder besser Сила ветра von СОЮЗ, 2022 in meinen Top Ten Lieblingsalben. Nach Polen emigrierte Belarussen (anscheinend lebt es sich unter Putins Einflusssphäre doch nicht so paradiesisch wie FCKAFD und Wagenknechts Kader glauben machen), die opulent orchestrierte 70er-Jahre Brazil Avantgarde Pop machen, man kennt’s. Die Vorfreude wird nicht dadurch gemindert, dass wir eine düstere Zeit durchmachen, in denen hierzulande die bürgerliche Mitte sich gerade hübsch macht, um mit offenem Rechtsradikalismus eine stabile Liaison einzugehen, während die USA sich in einen faschistischen Krypto-Tech-Bro-Albtraum verwandeln. Alte Weisheit: Musik verschafft Trost, und wenn es nur für die Dauer einer Konzertabends ist.

SOYUZ, 05.20.2025, Manufaktur, Schorndorf | Foto: Holger Vogt
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Von vornherein war für mich ziemlich klar, dass Soyuz nicht in einer Formation auftreten werden, welche die reich orchestrierten Arrangements der Platte wird wiedergeben können. Finanziell nicht darstellbar so eine Live-Band. Tatsächlich können die Belarussen aber heute Abend sogar nur als Duo auftreten, da der Bassist grippeerkrankt ausfällt. Ein Bass-Wunderkind, das sich die teils hochkomplexe Musik Soyuz‘ in paar Stunden draufschafft, war komischerweise auch nicht sofort zu finden.

SOYUZ, 05.20.2025, Manufaktur, Schorndorf | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Der Auftritt gestaltet sich bühnenshowmäßig natürlich sehr reduziert. Alex Chumak sitzt die ersten Songs mit dem Rücken zum Publikum am Klavier und singt. Auf der rechten Bühnenseite sitzt der Schlagzeuger Albert Karch. So unspektakulär der Look, so spektakulär gut die Musik, die einem vom ersten Moment an in diese besondere Atmosphäre bestimmter brasilianischer Musik der Anfang 1970er versetzt. Es findet sich noch das federleichte und harmonisch-jazzige des Bossa Novas, der aber weiter gesponnen wurde Richtung moderner Klassik, bzw. Richtung Avantgardistisches dekonstruiert. Schwerelose Melodien und Akkorde, die wirken wie in die Luft geworfen, aber im Gegensatz zur Popmusik nicht auf den Boden zurückschweben. Als ob ein Rätsel nicht aufgelöst wird.

SOYUZ, 05.20.2025, Manufaktur, Schorndorf | Foto: Holger Vogt
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Beeindruckend wie der Drummer das Ganze begleitet. Durch die fehlenden Mitmusiker*innen bleibt natürlich viel mehr Raum, den man gestalten könnte. Den nutzt er extrem geschmackssicher und immer interessant klingend. Schlagzeugsoli können, wie Kontrabass-Soli, eine die Geduld herausfordernde Angelegenheit sein. Hier ist es nur faszinierend zu beobachten, wie gekonnt um den tatsächlichen Beat herum gespielt wird. „Das muss doch jeden Moment auseinanderfallen, der kann doch unmöglich wieder in die Spur finden“ befürchtet man. Manchmal klingt es für mich wie das Echo eines entfernten brasilianischen Karnevalszug, von dem man nur noch Fragmente wahrnimmt. Beeindruckend.

SOYUZ, 05.20.2025, Manufaktur, Schorndorf | Foto: Holger Vogt
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Alex Chumaks Spieltechnik am Piano sieht für mich Unbedarften aus, als ob der junge Mann eine Klavierausbildung genossen hat, wie es meiner Klischeevorstellung von einem osteuropäischen Klassik-Musiker entspricht. Extrem filigran und geschult sieht das aus, auch wenn er mal gleichzeitig das oben auf dem Klavier platzierte Keyboard bedient. Dass er gleichzeitig auch noch fehlerfrei komplizierteste Melodien auf (bela?-)russisch und brasilianisch singt, muss er als nicht ausfüllend genug betrachtet haben. Denn als er zur Gitarre wechselt, zeigt sich, dass er auch dieses Instrument sehr gekonnt zu bespielen weiß.

SOYUZ, 05.20.2025, Manufaktur, Schorndorf | Foto: Holger Vogt
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Akkordgriffe, als ob eine gigantische Meereskrabbe ihre filigranen Beine über das halbe Gitarrengriffbrett ausbreitet, werden vom fehlerfreien Fingerpicking der rechten Hand zum Klingen gebracht. Dass dann nicht jeder Wechsel dieser hochakrobatischen Akkorde sofort sitzt, beruhigt den Hobbydilettanten in mir eher, als dass ich es als wirklich Kritikpunkt wahrnehme.

SOYUZ, 05.20.2025, Manufaktur, Schorndorf | Foto: Holger Vogt
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Der Abend fliegt nur so dahin zwischen, auch in Ansagen erwähnten, Milton Nascimento Referenzen und kurzen, disharmonischen Einsprengseln. Letztere betonen durch ihren Kontrast wiederum, wenn die Musik zu supersoftem Brazil-Pop zurückkehrt. Schwer zu sagen, ob das Publikum oder die Band verzückter sind von dem jeweils anderen. Auf jeden Fall bekommen wir sehr dankbar wirkende Zugaben. Und jede*r im Publikum dürfte sich auf das angekündigte, in São Paulo aufgenommene neue Album freuen.

Ein Gedanke zu „SOYUZ, 05.02.2025, Manufaktur, Schorndorf

  • 10. Februar 2025 um 20:35 Uhr
    Permalink

    Wie wäre es mit einem Bewerbungsschreiben als Pressemitteilungsschreiberling für Annalena Baerbock? Egal, ob es zum Thema oder nicht, Hauptsache Putin ist erst einmal schuld (was nicht heisst, dass er per se ein Unschuldslamm ist).
    Sorry, aber politische Ansichten in einem Konzertbericht müssen nicht sein, solange der/die Künstler*In nicht selbst zitiert wird.

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