ANDREYA CASABLANCA, FUTSCH, 30.01.2025, Merlin, Stuttgart

Mit dem im letzten Herbst erschienenen Solodebüt hat sich Andreya Casablanca vom Indie-Sound ihrer ehemaligen Band GURR (im Duo mit Laura Lee) recht weit entfernt. Freigemacht hat sie sich von dem manchmal doch recht engen Korsett des Indie-Gitarren-Rock-Pops. Experimenteller und offener ist ihr neues Material, elektronische Beats treffen auf laute und schnelle Gitarrenriffs und poppige Melodien. Textlich zeigt sich Andreya Casablanca sehr persönlich, politische Statements und Gesellschaftskritik gibt es nicht. Rein gefühlig introspektiv ist das, aber das darf gut gemachter Pop durchaus auch sein.

Als Support ist eine noch ziemlich neue Band aus dem Kessel am Start: Futsch. Sie sind mir erst seit wenigen Tagen bekannt und außer ihrem recht übersichtlichen Instagram-Account, mit ihrer Selbstbeschreibung
HALLO WELT! Wir sind FUTSCH! Wir stoppen zwischen Alltagsabsurditäten und verrückten Träumereien – irgendwo zwischen Kopfstand und Katerfrühstück. Hauptsächlich suchen wir unseren Punk.
gibt es auch noch nicht viel zu sehen und zu erfahren. Mal schauen, ob sie heute Abend fündig werden.

Los geht es, sehr beschwingt und melodisch, mit einer Coverversion des Songs „Crimson and Clover“ von Tommy James & The Shondells aus den 1960er Jahren, um dann unvermittelt durch den gesuchten Punk transformiert zu werden. Wow, das beginnt aber schon richtig geil, musikalisch auf dem Punkt und was für eine Stimme! Was für ein Set erlebe ich da gerade? Das ist schon ganz schön groß und das Publikum feiert den Auftritt der 5 Musiker*innen richtig ab, das ist von der ersten Minute an einfach mitreißend. Nach vorne geht das, getragen vom schnellen und präzisen Drumset, dem akzentuierten, wummernden Bassspiel von Jonas Bolle und den energischen Gitarrenriffs. Postpunk mit Noise Elementen und einer Prise frühe Neue Deutsche Welle, als diese noch cool war.

Stimmlich wird das komplette Spektrum, von narrativem Sprechgesang, über Melodie und Schreien abgedeckt (zwischendurch garniert mit exaltierten Einlagen, die mich an Nina Hagen erinnern) und das in einer seltenen Klarheit und Kraft, aber das verwundert dann auch nicht, ist doch Josefin Feiler Solistin an der Staatsoper Stuttgart und singt in der Spielzeit 2024/25 die Titelpartie der Oper Dora. Aber auch die anderen Musiker sind keine Unbekannten, die beiden Gitarristen Matthias Krebser und Reinhold Buhr kennt man unter anderem von Laserboys, beziehungsweise Wolf Mountains und den Schlagzeuger Dennis Ströbele von der Ska-Punkband Ezzo.

Es ist kaum zu glauben, dass dies heute Abend erst der dritte Gig von Futsch ist, so intensiv und selbstverständlich ist die Bühnenpräsenz und fein abgestimmt das Zusammenspiel. Futsch suchen ihren Punk? Nein, ich glaube, den haben sie schon gefunden. Ich hoffe, und da spreche ich wohl für das gesamte Publikum, sie bald wieder auf einer Bühne erleben zu dürfen!

Andreya Casablancas Set beginnt im Vergleich zurückhaltend, so nervös sei sie, wie sie sympathisch offen bemerkt. Hallig und dreamy sind die ersten Takte, das Ephemere von Julee Cruise kommt mir in den Sinn, um dann vom noisigen Elektro-Pop-Punk Sound zerlegt zu werden. Mit Musik über „Menschen, mit denen man nur einmal Sex hatte“ geht es energisch tanzbar weiter, raviger Neunziger Indie-Sound à la Republica. Eine schwer einzuordnende Stilmixtur ist das, schon etwas arty (von mir absolut positiv gemeint), wie auch Casablancas Outfit, bestehend aus Rock mit Op-Art-Muster und neongelbem Oberteil.

Ich mochte ja Gurr, doch Andreya Casablanca finde ich solo spannender, auch wenn Sie vielleicht keine locker flockigen, sich im Gehörgang festsetzende Indie-Hits wie „Moby Dick“ hat. Mutiger, offener und unkonventioneller ist sie, sie hat mehr Ecken und Kanten und dass dieser wilde Eklektizismus funktioniert, beweist sie heute Abend mit einer selbstverständlichen Ungezwungenheit; schräg ist das manchmal, Melodiöses trifft auf Disharmonisches und irgendwie passt es dann doch.

Aber nicht nur musikalisch überzeugt mich ihr Auftritt, auch als Entertainerin hat sie ihre Qualitäten, erzählt, was sie auf TikTok lustig findet und lacht sich dabei halb schlapp. Bei den poppigeren Songs tanzt sie wild über die Bühne, um dann bei den punkigeren Stücken mit energischer Körperlichkeit voll in der Musik aufzugehen. Der letzte Track „Children“ beginnt mit fast schon zarter Zurückhaltung, geht in ein anschwellendes Crescendo über, um dann in einer lärmig verzerrten Feedbackschleife zu enden. Zur Zugabe wirft sich Casablanca, nach kurzer Absprache mit dem geneigten Publikum, rücklings zum Crowdsurfen in die Menge, um danach im letzten Song „Talk About It“ Dance-Punk mäßig zu eskalieren. Das Publikum ist begeistert!
