EFTERKLANG, TITANIC, 28.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart

EFTERKLANG, TITANIC 28.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
Foto: Steffen Schmid

Als ich las, dass Efterklang in Stuttgart spielen würden, war ich zugegebenermaßen überrascht, weil ich sie absolut nicht mehr auf dem Schirm hatte; obwohl Modern Drift immer wieder auf Wohlfühl-Playlists als einer dieser Indiepop-Folk-Kracher von „damals“ auftauchte, hatte ich sie nach ihrem Konzeptalbum Piramida aus dem Auge verloren. Nach einer Unterbrechung mit dem Projekt Liima nahmen Efterklang mit Altid Sammen und Windflowers tatsächlich zwei wunderschön atmosphärische, aber abseits meiner Wahrnehmung erschiene Alben auf. Noch 2010 erlebte ich sie auf dem Haldern Pop Festival, die Erinnerung an das damalige Konzert zugegebenermaßen verschwommen mit anderen sonnengetränkten Erlebnissen auf den Feldern am Niederrhein. 2010 dürfte auch das Jahr gewesen sein, in dem Efterklang zuletzt in Stuttgart spielten, damals noch im Schocken. Möglicherweise sahen manche der heute im Wizemann Anwesenden sie dort, oder zuletzt 2021 auf dem Maifeld Derby. Ich nicht. Beste Voraussetzungen für einen Abend mit Vorfreude und ohne große Erwartungen. Zur Tour des 2024 erschienen Albums mit dem plakativen Titel „Things We Have in Common“ versammelt sich junggebliebenes und reifgewachsenes Publikum im Studio, es wird auch dänisch gesprochen. Es irritiert etwas, dass diese Band die kleinste Bühne des Hauses bespielt, mehr war wohl in Stuttgart an einem Dienstagabend nicht zu holen.

EFTERKLANG, TITANIC 28.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Auf der Website des Veranstalters war keine Support-Band angekündigt. So darf man überrascht sein, als ein Herr im Hoodie die Keys und Synthesizer links auf der Bühne übernimmt und sich rechts eine Dame mit Cello und einem sonnigem Pullover auf einen Stuhl setzt. Ohne Worte beginnt das Duo und bettet uns in eine mäandernde Tieftonfolge, darüber legen sich jazzige Pianoflächen und kraftvoll gesungene spanische Zeilen. Die ausdrucksvolle Stimme der Sängerin füllt mit jedem Hall-Effekt den Raum Schicht um Schicht. Wohlige Melodien wabern, türmen sich auf, nur um wieder zu brechen. Sie umarmen im ersten Moment – und verstören im zweiten.

Anoníma
Anoníma
Anoníma

EFTERKLANG, TITANIC 28.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Die beiden auf der Bühne tauschen Blicke, schmunzeln, nicken sich zu, und nach dem ersten Stück begrüßen sie das Publikum herzlich: Das Duo stellt sich als Titanic vor, bestehend aus der Cellistin und Sängerin Mabe Fratti und Héctor Tosta alias i.la Católica. Neben ihrem eigenen Auftritt freuen sie sich, auf der Tour als Teil der Liveband von Efterklang dabei zu sein. Schöne Überraschung, nachdem meine frührere Begegnung mit Titanic eher beiläufig war: auf dem Le Guess Who?-Festival in Utrecht, wo sie nicht nur mich im Vorbeigehen neugierig machten. Umso dankbarer bin ich, sie heute als Vorband in voller Aufmerksamkeit zu erleben. Als Kuratorin des Le Guess Who eröffnete mir Mabe Fratti nicht nur eine neue Welt voller hörenswerter Musiker*innen aus Mexico, sie gehört für mich mit Künstlerinnen wie L’Rain, Lucrecia Dalt oder Astrid Sonne zu einer Generation junger Musikerinnen, die keine Genre-Grenzen kennen und ihre jeweils ganz eigenen, dennoch irgendwie verbundenen und allesamt zutiefst bewegenden Klangwelten schaffen.

EFTERKLANG, TITANIC 28.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Nicht alle im Publikum lassen sich auf die fordernde Intensität von Titanic ein. Manche Gespräche werden zur unfreiwilligen Klangkulisse, Rückkopplungen stören hin und wieder den sonst klaren Sound – Irritationen im Klangspektrum, die uns im Weiteren begleiten, aber das Bühnengeschehen nicht ernsthaft trüben. Die Stücke des Albums Vidrio haben in Kritiken euphorische Reaktionen hervorgerufen, und heute bekommen wir fast alle acht Kompositionen als Live-Interpretation zu hören. Manche Stimmläufe und unerwarteten Wendungen in den Stücken lassen an Björk denken. Eine Referenz, die man sich erst recht zu notieren wagt, als Fratti später die Bühne in einem Homogenic-Era-Shirt betritt. Für einen kurzen Moment wirkt es, als würden Elfen über die Bühne tanzen, während draußen der Januar in Grau ersäuft. Die Texte erzählen jedoch – soweit mein rudimentäres Spanisch reicht – eine andere Geschichte:

Siento una avalancha
que cae sobre mí

EFTERKLANG, TITANIC 28.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Die Bühne bekommt noch einen Gast: Efterklang-Frontmann Casper Clausen tritt mit Sonnenbrille und exzentrischem Klangerzeuger – der PIPE – ins Rampenlicht. Die Metallbox, deren Form an ein Saxofon erinnert, liefert Sounds, die irgendwo zwischen Blasinstrument und futuristischer Klangskulptur liegen. Ein Song lang bleibt Clausen noch begeistert am Bühnenrand stehen, bevor Titanic zum Abschluss ihres Sets einen „very cheesy song“ ankündigen. Definitionssache: Bei Balanza steht das Overdrive-Pedal am Cello auf 11, Synthflächen bauen sich auf, branden und zerklatschen wie Wellen an Klippen. Ein kraftvoller Schlusspunkt – eigentlich könnte man jetzt beseelt nach Hause gehen. Doch wir sind ja eigentlich wegen Efterklang hier.

EFTERKLANG, TITANIC 28.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Das Studio im Wizemann bleibt luftig gefüllt. Wer will, kann sich jederzeit nach vorne durchschlängeln, und so findet jede*r den perfekten Platz, bis die Bandmitglieder dann, teilweise barfuß, die Bühne betreten. Es wird heimelig, die sechsköpfige Liveband setzt mit Animated Heart einen besinnlichen Einstieg. Sänger Casper Clausen – nun ohne Sonnenbrille, aber ganz in Rot – umarmt seine kleine Gitarre und sucht mit innigen Blicken den Kontakt zum Publikum. Dann rüttelt eine Kakophonie wach und leitet über zum nächsten Song, getragen von einer satten Drumroll des Finnen Tato Rünkkü, der ebenfalls lediglich in der Live-Besetzung Teil der Band ist. Im zweiten Song Ambulance, auch vom aktuellen Album, lässt Clausens Gesang nicht zum letzten Mal an Chris Martin denken. Blinkende bunte Armbänder bleiben uns hier erspart, dafür setzt wieder die PIPE – der rätselhafte Synth-Sax-Hybrid – Akzente in einer Atmosphäre, die gleichzeitig fasziniert und irritiert.

EFTERKLANG, TITANIC 28.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Musikalisch bleibt es durchwegs vielschichtig: Stücke wie Vi er uendelig wecken mit postrockigen Ausläufern die Gedanken an Sigur Rós, während Supertanker mit krautigen Rhythmen den Raum durchpflügt. Die Band jongliert mit Gitarren- und Drumsoli, die sich niemals in den Vordergrund drängen, sondern den Gesamtsound bereichern. Clausens Gründungskollegen Mads Brauer an den Tasten und Rasmus Stolberg an Bass und Gitarre liefern das solide Fundament, auf dem sich Clausen mit exzentrischen Bühnenbewegungen und gelegentlichen Bodengymnastik-Einlagen austobt. Seine Stimme moduliert er nicht nur mit der PIPE, sondern im Song Sedna mit einem Autotune, der soulige und nachdenkliche R’n’B-Momente erzeugt:

Your way
Taking me over
Bottom talked to the hook

EFTERKLANG, TITANIC 28.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Gerade wenn man glaubt, die Musik durchschaut zu haben, biegt sie mit Songs wie Black Summer plötzlich in eine neue Richtung ab. Funkige Rhythmen und die Harmonie aus Casper Clausens und Mabe Frattis Gesang schaukeln sich mit ungeahnter Intensität nach oben, während die Songs fließend ineinander übergehen. Klatschpausen sind selten, Kunstpausen dagegen umso häufiger bewusst gesetzt und vom Publikum mit gespannter Stille angenommen. Clausen nennt sein Gegenüber eine „beautiful audience“ und so intensiv, wie seine Blicke die Menschen in den vorderen Reihen treffen, nimmt man ihm das ohne Zweifel ab. Nicht nur einmal erkundigt er sich nach dem Wohlbefinden seiner Gäste. Ein umsichtiger Gastgeber. Er erklärt auch, dass Mabe Fratti die Band nicht nur auf der Tour dabei hat, weil man sich vorzüglich versteht, sondern weil sie an der Albumproduktion und einigen Songs als Co-Writerin beteiligt war. So markiert Plant einen Höhepunkt der wunderschönen Harmonien zwischen Fratti und Clausen, aber auch ein vorläufiges Ende des Sets.

Arms reach out
We’re not belonging
Este amor el que quieres

EFTERKLANG, TITANIC 28.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Der anschließende Zugabenblock aus fünf Songs hebt die Atmosphäre im Raum auf ein neues Level. Die Folge der Publikumslieblinge aus 20-jähriger Bandgeschichte von Cutting Ice to Snow, The Ghost bis Living Other Lives kulminiert mit Modern Drift. Es wird ausgelassen getanzt und im Takt geklatscht. Wieder mal nix los in Stuttgart an diesem Dienstag. Das Wizemann-Studio wird endgültig zum Wohnzimmer, als die Band den letzten Song des Abends inmitten des Publikums performt. Glühbirnen werfen warmes Licht, und die Band weckt mit Getting Reminders – auf dem Album featuring Conor Oberst – nochmal unterschwellig melancholische Erinnerungen an den Pop-Folk der 2010er-Jahre. Viel ehrlicher und nahbarer kann Livemusik kaum werden, alle stimmen in die (selbst hier alles andere als unterkomplexe) Melodie des Refrains mit ein. Die Welt hat sich weitergedreht, die Musik von Efterklang weiterentwickelt – doch die Message am Ende klar: „Things we have in Common.“ Das Credo auf der Flagge, die mitschwingt, ist größer als der Raum, in dem sie weht. Wenn Konzerte die Menschheit versöhnen könnten, wäre dieser Abend ein Anwärter dafür.

EFTERKLANG, TITANIC 28.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Steffen Schmid
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Efterklang

Titanic

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