ORGANISATION, LYING TO CHILDREN, 25.01.2025, Merlin, Stuttgart

Fleißigen Konzertgänger*innen muss man das winterliche Pop Freaks-Festival im Kulturzentrum Merlin nicht mehr vorstellen: Alljährlich gibt es hier Neues, Spannendes, Aufregendes aus dem deutschsprachigen Raum zu entdecken. Dabei findet sich oft ein interessant gemischtes Publikum ein – auch heute treffen viele Youngster auf reifere Konzerthäsinnen und -hasen. Dass die erfreulich zahlreich vertretene Gigblog-Blase hier den Altersdurchschnitt anhebt, ist dann auch keine Überraschung – treten heute doch zwei vielversprechende junge und komplett elektronische Acts auf.

Mit einem etwas volleren Laden hätten wir allerdings schon gerechnet, geht doch vor allem dem Hauptact Organisation der Ruf voraus, live krass zu eskalieren. Das tun sie dann tatsächlich auch – der Abend wird aber zunächst vom Girl/Boy-Duo Lying To Children eröffnet, die letzten Sommer auch schon beim Klinke-Festival im Merlin zu erleben waren.

Für den rein elektronischen Beat- und Klangteppich sorgt Vincent, Sängerin Sophie gibt dazu die ausdrucksstarke Chanteuse – mit ukrainischen und russischen Vocals. Das entfaltet von Anfang an eine intensive Atmosphäre: Die Beats sind gerne ein bisschen eckig und nicht zu gefällig, die analogen Synthie-Basslines sorgen für vibrierende Hosenbeine. Soundästhetisch höre ich hier eher 90er Warp-Sound, BigBeat und Raverock, minimalistisch ist das jedenfalls nicht.

Der Gesang ist dagegen eher elegisch und wird mit dunklem Timbre oft elektronisch gedoppelt vorgetragen. Dieser Kontrast macht den Reiz von Lying To Children aus. In den besten Momenten höre ich gar ein bisschen elektronische New Order heraus. So oder so, der Auftritt kommt sehr gut an und das wohlwollende Publikum fordert verdientermaßen gleich mehrere Zugaben ein.

Organisation firmieren kurz und knackig unter „Electropunk from Stuttgart“ – und genauso kompakt ist dann auch das Konzert der beiden jungen Protagonisten. Der Verweis auf DAF liegt auf der Hand: schwarze Muskelshirts, minimalistisches Elektronik-Setup. Die beiden Anfangzwanziger kommen gleich zur Sache, schon während des beatlosen Intros durchmisst Sänger Noah die weitgehend leere Bühne wie ein Tiger im Käfig – oder gleich wie der junge Iggy Pop. Um dann mit den ersten Electrobeats förmlich zu explodieren. Mit vollem Körpereinsatz verteilt er Kickboxtritte und Hardcore-Moves und neigt auch sonst zu expressiven Gesten.

Das kann er sich auch leisten, denn als Shouter ist er richtig gut. Anfangs noch Darth Vader-mäßig digital verfremdet, überzeugt er das gesamte Konzert über mit brachialem Shouting, ohne dabei in gängige Growling-Klischees zu verfallen.

Auch Nico bedient seinen kleinen Maschinenpark mit beachtlichem Körpereinsatz. Aus Rechner und Synthie zaubert er harsche Industrial- und EBM-Beats mit beachtlich ruffem Wumms, der für meinen Geschmack gerne noch etwas lauter hätte sein dürfen. Die Nähe zu DAF ist zweifellos gewollt, ob die beiden aber auch historische Vorbilder wie Suicide, Krupps, Front 242 oder Nitzer Ebb kennen, bin ich mir nicht sicher. Ist aber auch egal, denn die beiden sind auf der Bühne ein explosives Gespann – vor allem Sänger Noah verausgabt sich konsequent. „Verschwende deine Jugend“ von DAF scheint das passende Motto des Konzerts zu sein. Zum Finale trägt er eine Dornenkrone aus Stacheldraht und singt „Gott ist tot und Gott bleibt tot“.

Nach einer guten halben Stunde ist das Spektakel vorbei und in der knappen Zeit haben schon einige Besucher*innen verschreckt das Weite gesucht. Unsere Gang fand es überwiegend großartig – auch wenn man merkte, dass Organisation ansonsten ein wilderes und bewegungsfreudigeres Publikum haben. Meine Vorfreude wächst auf ein hoffentlich bald kommendes Debütalbum, das die herumschleudernde Energie und metallische Härte hoffentlich einfangen kann – ansonsten so bald wie möglich wieder auf einer Stuttgarter Bühne!
