CURSE, GALV, 18.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart

CURSE, GALV, 18.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Ralph Pache
Foto: Ralph Pache

„Wer von euch ist heute wegen Hip Hop hier?“ Definitiv alle! Mein vorherrschendes Gefühl an diesem Abend ist, dass ich mit jeder Person im Club des Im Wizemann in den letzten 30 Jahren schon mal gleichzeitig auf einem Deutsch Rap-Konzert war. Oder wir zufällig zusammen Zeit in einer Warteschlange beim Hip Hop Open oder beim Splash verbracht habe. Vielleicht sind wir uns sogar mal auf irgendeiner winzigen Jam irgendwo zwischen Zürich und Stuttgart begegnet oder im Internet-Forum bei mzee oder rap.de? Heute ist jedenfalls Familientreffen!

Ich bin in der letzten Minute noch in den Club gesprintet, direkt von der Stadtbahn, weil ich noch die zehn Kleidungsschichten von der Himalaya-Besteigung (aka Stadionbesuch in Bad Cannstatt) loswerden musste. Eben diese Fußballsache und der daraus resultierende Verkehr wurden Support-Act Galv und seinem DJ Gambit fast zum Verhängnis. Die beiden waren am Nachmittag noch beim Erfolgskonzept Hip Hop Kitchen dabei, wo genauso der guten alten Zeit gefrönt wird, wie hier, begleitet von feinstem Essen. Aber dann war die Anfahrt durch ein kleines Stück „Stuggi“ (hier und heute darf man das definitiv sagen) in die Quellenstraße doch unerwartet zeitaufwändig. Trotzdem sind alle auf der Bühne, irgendwie hat’s doch geklappt.

CURSE, GALV, 18.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Ralph Pache
Foto: Ralph Pache

Galv glänzt in feinstem beigem Zwirn, mit Rollkragen, Trench und voluminösem Plüschhut, Gambit scratcht an den Turntables. Plattenspieler sind selbst bei Rap-Shows inzwischen Mangelware, von daher erfreut mich das besonders. Die eingespielten Beats sind schleppend, Galv tänzelt dazu über die Bühne und gibt zum wortgewaltigen Rap noch spontane Anweisungen ans Lichtpult und den Mischer. Sein härtester Song entpuppt sich als Liebeslied, beim Publikum kommt das alles sehr gut an. Man kennt sich und würde auch zu seiner Soloshow kommen, wo auch immer die mangels Auftrittsmöglichkeiten in der Landeshauptstadt dann wäre.

Alleine zurück auf der Bühne ist nach über sechs Jahren jedenfalls Curse. „Jetzt hörst du wieder die Stimme“ vom 2024er Album „Unzerstörbarer Sommer“ ist der erste Song des Abends und spätestens zu „Rakim“ sind alle Arme oben. Von links nach rechts geht das und die Nostalgie wäre perfekt, wäre der zweite Arm inklusive der Hand nicht inzwischen fürs Halten des Smartphones reserviert. „Denk an mich“ schmeißt die Zeitmaschine dann komplett an.

CURSE, GALV, 18.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Ralph Pache
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Curse strahlt beim Rappen, nimmt sich den ganzen Raum zwischen den Scheinwerfer-Blöcken auf der Bühne. Die Songs sind klug aneinandergereiht, aber sicher nicht, um die Show völlig einstudiert runterzureißen. Es bleibt ganz viel Zeit zum Plaudern und um nah beim Publikum zu sein. Ich kann es von meiner Position aus nicht sehen, aber in der ersten Reihe sind offensichtlich auch Kinder unter den Konzertgästen. Die werden direkt gefragt, ob es ihnen auch nicht zu laut ist und falls doch, gäbe es bestimmt auch noch irgendwo Gehörschutz: „Ihr braucht eure Ohren“.

Zuhören lohnt sich bei Curse! In „Warum nicht“ geht es in einer Zeile um Castorzüge – wer heute noch ohne googlen weiß, was das damals für eine Aufregung war, weiß auch, dass sich Änderungen in der Politik nicht so ganz zeitnah einstellen. Curse‘ Reime und Ansagen bezüglich der damaligen und jetzigen Politik werden trotzdem und vollkommen zurecht bejubelt.

CURSE, GALV, 18.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Ralph Pache
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Ganz in Schwarz gekleidet, die Hosen vielleicht etwas weniger baggy als früher, dafür ist das T-Shirt oversized (die früher markante Brille hat er schon länger abgelegt und trägt dafür jetzt graue Haare), zeigt sich der Soloartist doch äußerst gefühlvoll. Wir sollen füreinander da sein, aufeinander achten. Achtsamkeit ist ohnehin ein sehr großes Thema in der „Church of Curse“: Als Michael Kurth hält der Rapper viele Vorträge zu diesem Thema und leitet auch Meditationen und Coaching an.

Das wäre früher vielleicht einigen nicht ganz geheuer gewesen, aber es ist eben nicht mehr „1994“ (so heißt auch der dazugehörige Song). Auch wenn es damals besonders schön war: Wir leben jetzt und hier. Zu „Überdosis Tee“ wird eine Anekdote zu Huss und Hodn (aka Retrogott und Hulk Hodn) zum Besten gegeben. Aber trotzdem ist hier nichts altbacken, alle Beats sind ein bisschen aufpoliert und Kool DJ GQ kümmert sich als verlässlicher Partner, dass alles läuft (und das, obwohl er vorher auch im Stau stand, aber eben auch schon viele, viele Jahre mit Curse gemeinsam auf der Bühne).

CURSE, GALV, 18.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Ralph Pache
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„Was ist jetzt“ kommt mit einer Extraportion Streicher daher. Mein Kopf schlägt spätestens bei „Tatooine“ eine Verbindung zu Kontra K – ohne dessen Werk auch nur ansatzweise zu kennen: Rapper, die heute diesen perfekten Grad zwischen Storytelling und Motivations-Predigt draufhaben, sind ganz oben in den Charts und füllen ganze Stadien. Curse war wohl seiner Zeit voraus, aber woher hätte man das vor drei Jahrzehnten wissen sollen?

„Lass uns doch Freunde sein“ und „Hassliebe“ haben die heute von jede*r Künstler*in besungene toxische Beziehung vorweggenommen und sind natürlich beide auf der Setlist. Der „Avocadotoast“ von 2024 ist dagegen super zeitgeistig. Egal aus welcher Schaffensära, Curse genießt seine Performance, das Publikum tut das auch. Der Applaus ist überschwänglich. Am Ende kommt Galv nochmal auf die Bühne und die für immer gültigen „10 Rap Gesetze“ setzen den Schlusspunkt des Konzerts.

Das Stuttgarter Publikum war an diesem Abend definitiv eine „Hip Hop Love Crowd“, da schmerzt es auch nicht so sehr, dass La Familia samt den Stieber Twins und Cora E nur am Abend vorher in Heidelberg vollständig auf der Bühne war. Ein zeitnaher nächster Auftritt – vielleicht dann ja wirklich mit Feature-Gästen – ist vom freudestrahlenden Curse fest versprochen!

CURSE, GALV, 18.01.2025, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: Ralph Pache
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Curse

Galv

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