CARCASS, BRUJERIA, ROTTEN SOUND, 16.01.2025, LKA, Stuttgart

CARCASS, BRUJERIA, ROTTEN SOUND, 16.01.2025, LKA, Stuttgart | Foto: Claus Kullak
Foto: Claus Kullak

Europa in Leichenstarre. Interessantes Motto eines sehr kurzweiligen Konzertabends im Stuttgarter LKA. Drei Bands, das ganz harte Zeug aus verschiedensten Ecken der Welt. Von Hard- über Grindcore bis zu Death Metal. Martialisch im Styling, derb in den Texten, politisch aber vage links (habe ich mir sagen lassen).

Kurioserweise trifft man bei solchen Konzerten die wirklich nettesten Menschen, die offenbar einfach nur Spaß an extremer Musik mit nihilistischer Message haben. Die Headliner Carcass durfte ich zuletzt bei der „Deathcrusher“-Tour vor fast zehn Jahren erleben, seinerzeit mit u.a. Napalm Death und Voivod an selber Stelle.

Los geht’s überpünktlich: Schon kurz nach halbacht (offizieller Konzertbeginn 20 Uhr) stehen die finnischen Rotten Sound auf der Bühne. Die gibt es auch schon seit über 30 Jahren und sie firmieren unter Grindcore – ein Genre, das in den 80ern grenzerweiternd Hardcore(-Punk) und Metal fusionierte und dabei neue Härtegrade und Geschwindigkeiten erreichte. Zentrales Label war damals Earache, das auch braven studentischen Spex-Lesern ziemlich extreme Musik näher brachte – und auch Carcass karrieremäßig auf den Weg brachte.

Aber zurück zu den Finnen: Rotten Sound sind hart und schnell, mir aber doch ein wenig freudlos und zu gleichförmig. Dafür geben sie mir eine Perspektive für den gesamten Abend vor. Denn bei derart eskalierender Musik mit überschnellen Blastbeats, zersplitternden Gitarrenriffs, harschen Breaks und schlecht gelauntem Gekeife als Gesang, fragt man sich ja schon, worin eigentlich der Reiz liegt. Neben der ansteckenden Dynamik und der körperlich spürbaren Wucht sind es – zumindest für mich – die Momente, wenn dem Gehacke zumindest in kurzen Momenten Struktur gegeben wird. Also zu Groove und/oder Gitarrenriff zurückgefunden wird. Das sind kleine kathartische Momente, die dann auch immer vom Publikum wohlwollend aufgenommen werden. Während der 30 Minuten Rotten Sound fehlt mir das, bei der zweiten Band Brujeria klappt es schon viel besser.

Die Mexikaner präsentieren sich als böse Buben im Latino-Gangster-Style, aber nicht ohne eine gewisse Selbstironie. Obwohl die spanisch singende Band letztes Jahr gleich zwei Mitglieder verloren hat (man erinnert sich an das Motto des Abends „Rigor Mortis“) erweisen sich die Burschen als ziemlich witzig und inszenieren sich als harte Metal-Version von Cypress Hill. Mit Tüchern vorm Gesicht und machetefuchtelnd, besteht das inhaltliche Programm aus zwei Themen: „Revolucion“ und Marijuana“.

Brujeria spielen 40 Minuten und bringen das mittlerweile gewachsene Publikum in Wallung. Um auf die magischen Momente auf dem Weg vom Gehacke zum Groove zurückzukommen: Brujeria machen das super und erinnern angenehm an die guten alten „Judgement Night“-Crossover-Zeiten.

CARCASS, BRUJERIA, ROTTEN SOUND, 16.01.2025, LKA, Stuttgart | Foto: Claus Kullak
Foto: Claus Kullak

Dann also Carcass („Kadaver“), schon immer interessanter als viele Bands ähnlicher Provenienz. Die vier Liverpooler (hihi) sind in wechselnden Besetzungen seit vier Dekaden dabei, hatten auch mal eine längere Auszeit. Ihr Weg ging vom Grindcore hin zu subtilerem Death Metal, immer technisch gut und eine Spur cleverer als die oft doch recht plumpe Konkurrenz. Was unter anderem den großen britischen Radio-DJ John Peel zum Fan machte. Zentraler Mann ist Shouter/Bassist Jeff Walker. Auf Tonträger sind mir die Vocals oft zu sehr auf böse getrimmt. Live hat das aber einfach Power. Das liegt auch am sehr guten Sound im LKA, nicht zu laut und doch sehr druckvoll.

Die beiden Gitarren grumpeln nicht nur genregemäß in tieferen Lagen, sondern schwingen sich immer wieder zu lichten und elegante Momenten hoch, kurz gar nahe am Thin Lizzyschen Twin Guitar-Sound. Zur Songauswahl kann ich mangels Sachkenntnis nichts sagen, denke aber, dass verschiedene Schaffensphasen repräsentiert werden. Habe immerhin vorbereitend meine „Carcass-Best Of“-CD angehört, die mir schon wegen Songtiteln wie „Keep On Rotting In The Free World“ ausgesprochen gut gefällt. Die Briten scheinen mir in sehr guter Verfassung und ziemlich motiviert zu sein, ihr gut einstündiges Set entwickelt sich schon früh zu einem satten Brett mit den genreüblichen Gute-Laune-Aktivitäten wie Crowdsurfing.

CARCASS, BRUJERIA, ROTTEN SOUND, 16.01.2025, LKA, Stuttgart | Foto: Claus Kullak
Foto: Claus Kullak

Kurzer Check, wie Carcass vom Gehacke zum Groove finden: Ganz und gar großartig, denn genaugenommen ist das sogar ein wesentliches Strukturprinzip vieler Songs. Von der Eskalation per Monsterriff zurück zum Groove. Dort wird aber nur kurz verweilt und gleich die nächste kantige Eruption herausgehauen. So vergeht die Zeit wie im Flug, die Stimmung ist super und erst beim Toilettengang bemerkt man, dass die hintere Hälfte der Halle ziemlich leer ist. Ist aber ein mehr als gutes Zeichen, dass sich praktisch alle Anwesenden vor der Bühne drängen und Spaß haben.

Keine Ahnung, ob das jetzt eher Grindcore oder Melodic Death Metal ist – selbst die Wikipedia-Texte zu den einzelnen Subgenres nehmen ausufernde akademische Dimensionen an. Die feinen Unterschiede erschließen sich mir heute nicht, die irre Durchgeknalltheit und der enthemmte Mut zum (mehr oder weniger) strukturierten Noise erfreuen aber mein Herz. „Geiler Lärm“, schreit mir ein gutgelaunter Mensch während des Konzerts ins Ohr – und genau das war es auch.

CARCASS, BRUJERIA, ROTTEN SOUND, 16.01.2025, LKA, Stuttgart | Foto: Claus Kullak
Foto: Claus Kullak

Ein Gedanke zu „CARCASS, BRUJERIA, ROTTEN SOUND, 16.01.2025, LKA, Stuttgart

  • 22. Januar 2025 um 12:24 Uhr
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    Tolle Fotos, top Bericht! Herzlichen Dank, Claus und Joe.
    Nur hätte ich die Formulierung „vier Jungs aus Liverpool“ noch netter gefunden ;)

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