J.B.O., 09.01.2025, LKA, Stuttgart

Als die Spaßmetaller J.B.O. 1995 ihr Debütalbum „Explizite Lyrik“ veröffentlichten, tanzte der Autor des vorliegenden Textes im Spätsommer seiner Einschulung zur Schlümpfe-Compilation „Tekkno ist cool“. In beiden Fällen gibt die Dichtung fantasievoller deutschsprachiger Texte über bekannte Top-Hits auf eine jeweils sehr eigene Art ihren Ton an. Irgendwie Dada, irgendwie subversiv, keinesfalls diskret: Nachdem J.B.O. in ihrer Heimatstadt Erlangen einen „Schlumpfozid“ ausriefen, müssen wir uns statt einem vergleichenden Close Listening dieser Meilensteine deutschsprachiger Populärkultur nun voll und ganz dem Fun-Metallern aus Erlangen-Bruck hingeben. „No Sleep ‚Til Bruck!“ Im Vordergrund steht der Spaß, ohne Rücksicht auf Verluste.
Die Taschen werden heute am LKA nicht nur auf Fremdgetränke kontrolliert, auch Befindlichkeiten müssen draußen bleiben. Somit schreiten wir zum ungeschönten Erlebnisbericht. Ausverkauftes Haus zum Stuttgarter Nachholkonzert auf der großen Jubiläumstour des Albums „Explizite Lyrik“, das 1995 für alle Beteiligten überraschend die Charts stürmte und am Anfang der Karriere einer Band steht, die ihr Rezept seitdem unverändert und konsequent erfolgreich aufkocht. Die Band freut sich nach Corona-bedingt luftig besuchten Shows im LKA (2022) und dem Flughafenparkplatz (2020) über eine randvoll gepackte und vor Testosteron nur so strotzende Halle. Dann kann die Party ja losgehen.

Als Support-Act eröffnen Brunhilde, deren Tour-Van zum Ärgernis des Gigblog-Fotografen auf dem Gehweg parkt. Auf der Bühne schnörkelloser Hardrock mit Metal- und Punkrock-Auswüchsen, angeführt von der stimmgewaltigen Carolin Loy und dem Gitarristen Kurt Bauerreiss, als Rhythmusgruppe ballert die Bassistin Marisa Bruna mit Jannis Reiher, dessen Sticks nicht nur in dieser Formation auf Trommelfelle knallen. Vergleiche mit Doro, den Guano Apes und Skunk Anasie sind nicht an den Haaren herbeigezogen bei einer Gruppe, die sich schon als Support von ZZ Top und Nazareth beweisen durfte. Brunhilde hauen den fränkischen Leitsatz „Wer nichts wird, der kommt aus Fürth“ energisch in die Tonne, während an der Biertheke eine verlorene Stimme reklamiert „Sex sells, aber singen kann‘s ned.“ Geschenkt, die Band liefert und heizt unentwegt für den Hauptact an, die Crowd beweist Sicherheit im Taktklatschen. Außerdem wird die Meute animiert die Mittelfinger auszustrecken, belohnt mit der Feststellung, dass das Stuttgarter Publikum die schönsten Mittelfinger hätte. Situation normal, all fucked up. Zum Dank gibt es am Merch neben Tonträgern auch Gummibärchen in Brunhilde-Tüten geschenkt (Looking at you, Haribo-Adele). Beschlossen wird das Support-Set mit dem ersten Coversong des Abends, „House of the Rising Sun“, mehr oder minder textsicher von einigen der bereits reichlich betankten Gäste mitgegrölt. Bis J.B.O. um Punkt 21 Uhr die Bühne betreten bleibt Zeit, die Kehle zu schmieren, sofern Mann es durch das Gedränge zur Bar schafft.

Endlich mal ein Konzert zum Genießen und Hirn ausschalten. Ist einem Text über eines der vergangenen Konzerte dieser Gruppe überhaupt noch etwas hinzuzufügen? „Schieß‘ nicht den Sherrif, schieß lieber deine Frau.“ Sollte man ob schonunglos misogyner Textpassagen nicht doch lieber problematisieren, dass auch im neuen Jahr noch keine Woche in Deutschland ohne Femizid verging? „Pass auf mit dem Viktor, der hat ein Delikt vor.“
Nach den ersten Takten wird klar, dass hier nicht an der Ausgelassenheit der 90er zu rütteln ist, J.B.O. stehen als Verteidiger des Blödsinns verlässlich und zeitweise auch eher statisch wie ein Fels in der Brandung auf der Bühne — vor acht großen Marshall-Boxen in der Corporate Color der selbsternannten Rosa Armee Fraktion, die obere Reihe nicht gestapelt, sondern an Traversen hängend. An diesem Schauspiel kann man guten Gewissens in Zeiten von Regierungskrisen, Annektionserklärungen und neofaschistischen Regierungserklärungen auch Positives finden. Erfüllt werden die Erwartungen der wohl meisten Anwesenden in einer grundsätzlichen Tatsache: die Band spielt die komplette Tracklist von „Explizite Lyrik“ lückenlos durch, anfangs kurz „aus Versehen“ unterbrochen durch Bolle. Schreiten wir also zu berichtenswerten Abweichungen, Variationen und anekdotischen Betrachtungen des Abends.

Ein Intro vom Band führt kurzweilig durch die Musikgeschichte von gregorianischen Gesängen über Bach, Beethoven und Elvis bis die Stars dieses Abends die Bühne betreten, die nicht auf den Shoulders of Giants stehen, sondern darüber tänzeln, als sie der Halle bereits nach dem Auftakt mit dem Kuschelmetal-Medley gefühlt jedes relevante Riff der Rock- und Popgeschichte serviert haben. Zur Melodie von Country Roads wird direkter Draht zu den Locals aufgebaut, Autobahn, bring mi ham, möglichst schnell, in die Heimat, bis nach Stuttgart. Konfettikanonen knallen und leere Bierbecher fliegen durch den Saal, hier als Ausdruck ausgelassener Begeisterung. Was soll da noch kommen? Einiges!
„Stuttgart ist eine der J.B.O. Hauptstädte, Stuttgart ist eine Bank für uns!“ Bandgründer Veith „Vito C.“ Kutzer weiß nach 36 Jahren Showbusiness, wie man die Herzen des Publikums gewinnt. Einen Showbeitrag leisten zwei Gestalten, die gelegentlich als Backingsänger fungieren, aber vor allem in thematisch passenden Kostümen und vielfältigen Accessoires die Bühnenshow gestalten, in Ganzkörperkondomen oder irgendwie unbeholfenen Crossdressings, zum als Sommerhit angekündigten Empowerment-Hymne Walk with an Errection (Walk like an Egyptian) werden mit Pimmelpistolen Flüssigkeiten ins Publikum gespritzt. Prost! Während des Bretterknallers „Mir sta’dd’n etz die Feier“ (Fränkisch frei nach den Gebrüdern Blattschuss) ereilen den Autor melancholische Erinnerungen an zentrale Orte seines einen Lebensjahres in Erlangen. Grüße gehen raus an die fränkischen Weggefährt*innen!
E-Werk, Hausverbot, mir treffn uns im Hühnertod (…)
Glocken, Lamm, Supermann, Schauburg und Manhattan.

„Mei alde is‘ im Playboy drin“ eröffnet den besonders toxischen Block des Albums und somit auch des Konzertabends, daran führt kein Weg vorbei. Einen Höhepunkt erreicht die Ekstase mit „Frauen“, wesentlich schlechter gealtert als die selbstironische Fassung des Originals von Herbert Grönemeyer.
Frauen sind dekorativ
Frauen weinen mit Absicht
Frauen sind einfach nicht objektiv.
Die Pointe „Wann ist Mann ne Frau“ rettet das Stück auch nur eingeschränkt. nicht zu lange nachdenken, zu „Kei alde kei Gschrei“ (No Woman no Cry) steigt mit Fake-Dreadlocks und Rastafari-Mütze noch etwas Cultural Appropriation in den Ring, und als schließlich bei „Gimme Doop Joanna“ die übergroße Joint-Requisite herumgereicht wird, gestehen sich Hannes „G. Laber“ Holzmann und seine Schergen ein, dass „Legalize it“ als Slogan 2024 einfach nicht mehr kickt. Die Sprüche-T-Shirts „Arschloch und Spaß dabei“ verkaufen sich trotzdem. Ein ausuferndes Schlagzeugsolo schafft Erlösung. „Der Rhythmus geht nur bum-bum-bum, Und der Text ist reichlich dumm. Ganz egal wir finden es toll, Jaaaaaaa Tekkno ist cool.“ Verzeihung, kurz den falschen Knopf auf dem CD-Wechsler gedrückt. Die Show hat ihre Längen, aber die Atempausen zum Bier holen, Klogang oder Kostümwechsel sind notwendiger Teil dieser Show. „Also bei Mötorhead war besser,“ ertönt es an der Theke. Memories.

Die Odysee auf UKW knarzt, knackt und rauscht so sehr, dass wir uns mit geschlossenen Augen nun auch im Beethoven-Saal bei Neuer Musik wähnen könnten. Als sich die abstrakte Symphonie zum Noise-Spektakel auftürmt, werden erste überalkoholisierte Fans von Securities aus dem Saal gebracht und die Marshall-Boxen entpuppen sich als Lampenkörper für flackerndes Rosa Licht. (Spätestens hier rotiert Lemmy im Grab!) Der schöne Schein platzt im kollektiven Ohoh-Oh-Oh zu „Bambi“ (Zombie) und zu „Könige“ unterläuft das Stuttgarter Publikum die durchaus gewitzt-komplexen lyrischen Refrain-Variationen und erstrebenswerte Kernbotschaften „Kein Faschis- und Rassismus mehr in diesem Volk und ne neue Flagge, nämlich schwarz-rosa-gold.“ Was ankommt, ist der Volksmund. „Das alles, und noch viel mehr würd ich machen, wenn ich König von Deutschland wär.“ (Rio rotiert auch.) Die selbstgekrönten Könige stimmen im frenetischen Choral „Ein guter Tag zum Sterben“ an, es entbehrt sich keiner Ironie, dass das Stuttgarter Publikum gerade bei diesem Song besonders lautstark und textsicher äußert.

Natürlich gehören zu einer Jubiläumstour auch Gedanken an die Bandgeschichte, so wird frenetisch den ehemaligen Weggefährten Schmitti und Holger (seit 2000 nicht mehr dabei) gedankt. Wer aufmerksam lauscht erfährt, dass die Fäkalgeräusche aus Symphonie der Verstopfung eigentlich nur der Track „Alte Handwasserpumpe gießt Wasser in einen Eimer“ von der Sound-Effekt-Schallplatte 64 Geräusche in Stereo (Folge 2: Aus Stadt und Land) sind. Weiterhin erfahren hier nun auch diejenigen, die den Wikipedia-Artikel der Band nie lasen, dass das in einigen Songs rege beschimpfte Pariser Bier ein Code für Patrizier Bier ist, ehemals Konkurrent des Kitzmann Bieres, die quasi Hausbrauerei der Band war. Letztere ist mittlerweile durch Kulmbacher aufgekauft, dementsprechend vertraut man nun auf das JBO-Bier der Brauerei Hebendanz in Forchheim und alle singen Arm in Arm „Forever JBO“. Bierselig werden nach überstandenen 20 Songs expliziter Lyrik noch Zugaben ausgepackt.

Der Zugabenblock ist ein einziges Manifest, bei „Metal was my First Love„, „Wacken ist nur einmal in Jahr“ und „Alles nur geklaut“ scheint jede Zeile inbrünstig und mit voller Leidenschaft ernst gemeint (Tobias von den Prinzen hat es erlaubt!) und dem Autor fehlen zunehmend die Worte, während die LKA-hohen Aufblasebuchstaben und die Form der Gitarre uns zum Ende nochmal an den Namen der Band erinnern (JBO) und die Konfettikanonen noch eine letzte Salve ejakulieren. Wer dieses Konzert von vorne bis hinten genießen konnte, war am Ende kaum mehr soweit bei Bewusstsein, einen Konzertbericht zu schreiben. All diesen Fans galt das Konzert, und sie sind, was diese Spaßband nunmehr 36 Jahre am Leben hält. Der Fanservice und die Zugewandtheit dieser Band zu ihrem Publikum ist überbordend, nach dem Konzert wird persönlich am Merch signiert und umarmt. Am Ende des zweistündigen Sets wird das Bier schal, und auch das Ende dieses Textes ist fast erreicht. Prost! Im Sinne von J.B.O.: „die arme Scheiße ist das Opfer, denn es ist sie, die wir verschreien.„
Wenn man in diesem Auftakt für das Konzertjahr 2025 einen tieferen Sinn finden will, müssen wir uns selbst wohl nicht immer ganz so ernst nehmen, dürfen miteinander Spaß an dem Geschehen auf den Bühnen haben und können in den Räumen drumherum alle willkommen heißen, die dabei sein wollen. Und sollten uns gelegentlich auch mit Kunst konfrontieren, die irgendwo jenseits unseres Horizonts entsteht. „Macht mal mit und sagt mir nach: Dige-daga-dige-daga-daga-da.„
Auf die nächsten 2000 Jahre J.B.O.!

keine Sorge – es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem Bandbus auf dem Gehweg und fehlenden Brunhilde-Bildern. Es war einfach eine ewige Schlange am Eingang, ein großes Gedränge im Saal und dann hat Brunhilde auch noch vor 20:00 angefangen. Bis ich ganz vorne war, waren die „Three Songs, no Flash“ vorbei, die man üblicherweise im Fotograben fotografieren darf.