DEICHKIND, 14.12.2024, Schleyerhalle, Stuttgart
It’s been a minute, wie die Englischsprachigen sagen würden. Gemeint ist damit immer das Gegenteil, nämlich ein sehr langer Zeitraum. Bei mir sind es fast 20 Jahre seit der letzten und einzigen Deichkind-Show. Kein Scherz, am Freitag, 01. April 2005 hatten die Nordlichter in fast komplett anderer Besetzung auch in Stuttgart, im Schocken, einen Auftritt. An was ich mich noch erinnere: Es war nicht geplant zu diesem Konzert zu gehen, ich war mit den Kumpels in Stuttgart unterwegs, wahrscheinlich wusste keiner von uns von der Show. Vor dem Schocken stand vor Konzerten ein beschrifteter Aufsteller, und da man Deichkind schon ein paar Jahre kannte, sind wir spontan rein. Wie es sich in seinen Zwanzigern gehört – kaum eine Erinnerung an den Auftritt, bis auf Elemente, die sich bis heute gehalten haben. Uniformen aus Müllsäcken, ich glaube, die DIY-Hüte waren auch schon in Pyramidenform und es kamen Lichttoys in Form von Rasseln zum Einsatz. Daran erinnere ich mich besonders, weil ein Kumpel nach der Show auf wundersame Weise ein solches Teil aus seiner Jacke gezaubert hat. Ein ganz frühes DK-Artefakt. Den Aufstieg der Band in die ganz großen Hallen habe ich zwar mitbekommen, aber es hat sich einfach nicht ergeben, nicht mal auf einem Festival sind wir uns über den Weg gelaufen. Ich habe mir keine Live-Videos angeschaut, keinen Bericht von Gig-Blog-Kollegen aktuell gelesen, ich bin ein unbeschriebenes Deichkind-Blatt.
Die Schleyerhalle ist annähernd ausverkauft, und ich höre noch im Vorraum Einpeitscher-Hits unter anderem von Rage Against The Machine und House Of Pain, eine Vorband gibt es nicht. Das Intro, noch hinter dem Vorhang, geht schon mal hart los, dann brennt die Bude augenblicklich. Zwar werde ich überraschenderweise mehr Lieder kennen als erwartet, aber ein Blick in Setlist.fm sei mir gestattet. „99 Bierkanister“ geht steil, und nach Aufforderung gehen auch so ziemlich alle Hände hoch, anschließend gehen die Hände in Dreiecken hoch. Harter DK-Kvlt!
„99 Bierkanister“ wird nicht der einzige Verweis an andere Künstler bleiben. Einige Hits/Singles sind mir von über die Jahre besuchten Feiern bekannt, „So ’ne Musik“ kenne ich auch. Das Bühnenbild ist beeindruckend. Zwar nur mehrere große und kleinere bewegliche Elemente, die umgestellt und mit verschiedenen Oberflächen versehen die Bühne in Sekunden komplett anders aussehen lassen. An den Showelementen wird nicht gespart. Zu einem der nächsten Stücke wird ein Ritt auf einer XXL-Schickimicki-Handtasche aufgeführt, Rodeo-Style, nicht schlecht. Choreografien mit aufgestockten Bühnenpersonal auf sieben Personen ziehen sich durch die gesamte Show. Was ich an diesen lustig finde, ist, dass sie aussehen, als ob kurz vor der Show eher locker einstudiert, fast Parodie. Überwiegend drei MCs auf der Bühne, von denen ich nur einen kenne und erkenne, Philipp, er dürfte letztes verbliebenes Original-Mitglied sein. Vor einigen Jahren hätte ich noch Ferris MC gekannt, der sich bei DK, wie ich heute gelernt habe, „Ferris Hilton“ nannte – lustig. Man wünscht auch den anderen ehemaligen Weggefährten und Kollaborateuren „Buddy“, Malte und Gereon Klug, dass sie etwas vom fetten DK-Kuchen abbekommen, denn ich kann mir vorstellen, dass dieser nicht die Maße XL, sondern XXL hat, und das nicht nur in Deutschland.
Die Müllsäcke oder Outfits mit starker Ähnlichkeit finden immer noch Verwendung in die wechselnde Kleidung der Künstler. „Wer sagt denn das“ kenne ich noch, von „Kids in meinem Alter“, das namentliche Stück zur Tour wird von Philipp solo vorgetragen, und ich höre, was Kids in meinem und seinem Alter so machen – „… Skaten mit Helm“, haha, ich nicht. Das Medley von den Oldies „Komm schon“ und „Bon Voyage“ erkenne ich anfangs nur am Text, der Rest ist stark verändert, kommt aber gegen Ende für mich doch in Fahrt.
Auch die mir nicht bekannten Nummern gehen sofort ins Ohr, haben Ohrwurm-Potential, sind ganz schlichte, aber geniale Hits wie „Bück Dich hoch“ mit Bürostuhl Choreografie – ich verstehe! „Leider geil“ wird Geron Klug zugeschrieben und hat sich im Sprachgebrauch etabliert – das muss man erst mal schaffen. Ein weiterer Hit aus der nicht endenden Salve, „Richtig gutes Zeug“, ein Wahnsinn, alles von denen kennt man, ohne es näher zu kennen, gleiches gilt für „Arbeit nervt“. „Bude voll People“ gesprochen wie „Beautiful People“ von Marilyn Manson, ein weiterer Nod zu einem großen Hit. Passend dazu gibt es am üppigen Merch einen Jutebeutel „Jute for People“, haha, I get it DK.
Niedlich finde ich die Ansage, dass im sich ankündigenden „Moshpit“ alle schön aufeinander aufpassen sollen, keine Scheiße bauen und so. Was folgt ist etwas mehr Gehüpfe als ohnehin schon, aber ein Moshpit kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Geh mal auf ein Hardcore-Konzert, Bro. Aber ok so, ist auch eine Familienveranstaltung, ich sehe einige Eltern mit Nachwuchs, gerne eingekleidet in DK-Merch. Auch Familienpreise haben wir. Die letzten verbliebenen Tickets haben ca. 66 € gekostet, was ich verhältnismäßig günstig finde.
Zu „Roll das Fass rein“ wird geliefert wie angekündigt, krasse Show wirklich, ein Fass, groß genug um die Band damit durch das erste Drittel der Halle zu schieben wird aufgefahren. „Limit“, geil, was ein Banger, fand ich großartig vor über 20 Jahren, und daran hat sich nichts geändert, sehr gut gealtert, weniger verändert als das Medley.
Abschluss muss der Song sein, der seinen eigenen Merch hat – „Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)“ – fackelt die Bude vollends ab.
Mein lieber Herr Gesangsverein – geil ohne leider, all killer, no filler! Im kommenden Jahr nur wenige Meter entfernt auf dem Kessel Festival kann man sich diese Show nochmals anschauen.