KREATOR, ANTHRAX, TESTAMENT, 07.12.2024, Schleyerhalle, Stuttgart
Grimdark ist ein Genre, das in der Literatur und in Computerspielen gerade sehr populär ist. Es ist eine Variante der Fantasy. In ihr wird eine hoffnungslose, unmoralische, gewalttätige, dystopische Welt dargestellt, in der es keine Gerechtigkeit gibt. Auch gute Figuren haben hier keine Garantie für ein Happy End.
Bekannt sind Buchreihen wie „Game of Thrones“ von George R. R. Martin oder „The Poppy War“ von R. F. Kuang, Spiele wie „Forever Winter“ oder die „Origins„-Map von „Call of Duty: Black Ops II“ und Tabletop-Spiele wie die „Trench Crusade“ sowie narrative Universen wie „Warhammer 40,000″ – woher auch der Begriff Grimdark stammt.
Dargestellt sind in den Medien dunkle Welten voll unlimitierter Gewalt, Gräuel und Vernichtungskriegen. Alles Dinge, die Metal ebenso erzählen kann – und das schon viel länger. Es geht darum, das wohlig schaurige Gefühl des Erhabenen hervorzurufen, das wir angesichts all dessen empfinden, das gefährlich, verletzend oder tödlich wäre, wenn wir ihm selbst ausgesetzt wären. Und es geht darum, dabei brutaler zu sein als alle anderen vorher.
Leider hatten Steffen und ich uns entscheiden müssen, uns Testament nicht anzusehen, sondern erst danach in die Schleyerhalle zu kommen. Dafür war unser Kollege Lino schon da. Er berichtet von der ausgezeichneten Setlist der Band (hier zum Nachhören). Die ist auch wirklich sehr ausgewogen und hat aus der ganzen Bandgeschichte was dabei, wenn sie auch nicht auf jedes Album zurückgreift.
Ich picke mal „The Formation of Damnation“ heraus: Darin geht es um eine „world of mass destruction“ und die Indoktrination durch einen „death messiah“, gegen den man sich auflehnen muss. Damit ist neben dem Kriegsbild auch das zweite wichtige Motiv vertreten, das man in vielen der Lyrics findet: die Selbstverteidigung gegen ein oppressives System bzw. den Kampf um Freiheit. Und natürlich wird das mit christlichen Begriffen angereichert.
Wir sehen vom Presseeingang aus die vielen hochgereckten Arme des Publikums, das Testament abfeiert. Laut Lino waren die Band und ihre Show sehr gut. Das freut uns natürlich bzw. macht es schade, dass wir das verpasst haben. Dafür sind wir jetzt zusammen mit den 5.000 Fans in der Halle.
Verpasst haben wir bei Testament unter anderem Hinrichtungen, Atomkriegsszenarien und religiösen Massensuizid. Vom Schluss des Sets hören wir noch „Into the Pit“, worin die Welt stirbt und alle getötet werden. Insofern sind wir also vorgewarnt, was da kommen mag.
Und das sind zunächst Anthrax! Der Auftritt der Band, die nach einer schweren Infektionskrankheit benannt ist, beginnt mit einem Video, in welchem eine beeindruckende Anzahl von Prominenten ihre Musik lobt: von Dave Mustaine (Megadeth) über Phil Anselmo (Pantera) zu Kerry King (Slayer) und Stephen King. Dem folgt ein Zeichentrickclip, der schließlich in einer Explosion kulminiert.
Nachdem der Vorhang gefallen ist, steigt die Band mit dem rebellischen „A.I.R.“ ein, einem Titel aus dem Jahr 1985 vom Album „Spreading the Disease“, und zeigen damit zugleich, dass sie es ernst meint mit dem Abfeiern ihres – schon etwas zurückliegenden – 40-jährigen Bestehens: Es gibt in der Setlist (hier zum Nachhören) nur zwei Stücke, die nicht aus den 1980ern sind, – und eines der beiden ist von 1990.
Und zwar ist das „Got the Time“, ein Joe-Jackson-Cover, mit der Hookline „Time, got the time tick tick tickin‘ in my head“. Wie „A.I.R.“ ist es eine Nummer gegen das eintönige 9-to-5. Es wird als entindividualisierend und beherrschend beschrieben.
Auch „Be All, End All“, das später folgen wird, wendet sich gegen jene das Leben raubende Maschinerie der industrialisierten Welt. Und noch ein drittes Stück gibt es, das in eine solche Richtung geht: Es ist „Antisocial“, das Kapitalisten genau das zu sein vorwirft, und kommt gegen Ende.
Erst mal aber zum Thema Streit in „Caught in a Mosh“. Die Hookline hier ist – you guessed it – „Caught in a Mosh“. Das gilt nun auch für das Publikum, das gleich richtig mit eingestiegen ist. Auf der Bühne wird ebenso gepogt und gemosht. Man merkt den Musikern den Spaß an, den sie haben.
Bevor es endgültig zurück in die 1980er geht, folgt „Fight ’em ’till you can’t“. Das Stück handelt von einer Zombieapokalypse, worin „reality is bleeding to the core“ in einer „brilliant savagery“ bis die „world is only blood“. Dies kommt in einem sehr unterhaltsamen, melodiösen Gewand daher, das ganz gut zu dem glitzernden Anthrax-Logo auf dem Backdrop passt.
Aus dem Playbook der Romantik kommt die mythologische Geschichte um „Medusa“, die von den Textern leider missverstanden wurde, denn Medusa ist ja nicht bösartig, sondern damit bestraft, ein Monster zu sein. Dennoch gibt sie natürlich eine gute Schreckgestalt ab: „Human prey, no swords or armor / shield you from your fate“. Zu diesem Song gibt es ein neues Backdrop, das die Cover aller Alben aus den 1980ern zeigt.
Die beiden nächsten Stücke handeln von Wahnsinn – einem bei Metalbands recht weit verbreiteten Thema, das ebenfalls schon seit der Romantik herangezogen wird, um Grusel auszulösen. Joey Belladonna bedankt sich für 40 Jahre Unterstützung und auch bei den neuen Fans, die zum ersten Mal auf einer Anthrax-Show sind. Dann kündigt er an: „Tonight it’s a fucking ‚Madhouse‘“ – und damit auch den folgenden Titel, einen Song über die Ungewissheit, ob man den Verstand verloren hat. Darauf folgt „Metal Thrashing Mad“ über einen (lebensmüden) Raser.
„I Am the Law“ zur Comicfigur Judge Dredd, die Richter, Jury und Scharfrichter in einem ist, schildert eine dystopische Welt: „In the cursed earth where mutants dwell / there is no law, it’s just a living hell“. So bestechend das ist, nutze ich die Gelegenheit, um mir ein Bier zu holen.
Nicht ohne allerdings die Lightshow zu bewundern, die von Weitem noch besser aussieht: Es gibt nicht nur oben, sondern auch hinten unten eine Anzahl von Movingheads, die alle zusammen eine Unmenge an Bewegung in die Beleuchtung bringen, die zu den schnellen Stücken passend flackert.
Tempomäßig richtig zur Sache geht es noch mal in „Indians“, einem nicht weniger dystopischen, dafür aber dem ersten politischen Stück. Hookline: „Cry for the indians. Die for the indians“. Dies ist ein Anlass, die Meute in der Schleyerhalle weiter in Bewegung zu bringen.
Nach einer kleinen Motivationsrede heißt es: „This is the war dance. This is where memories are made.“ Das Publikum nimmt die Aufforderung begeistert an – obschon mit einer gewissen schwäbischen Zurückhaltung, je weiter man vom Moshpit wegkommt.
Es ist ganz interessant, dass Testament das Thema amerikanischer Ureinwohner vorhin bereits mit dem Stück „Native Blood“ aufgegriffen haben. Es scheint anziehend für Thrash-Metal-Bands zu sein, von denen ich bislang generell den Eindruck hatte, politischer zu sein, als mein Blick in die Lyrics das rechtfertigt.
Es ist davon auszugehen, dass sich die Politik, die allen drei Bands von der Encyclopaedia Metallum als Thema zugeschrieben wird, mehr in einem metaphorischen Kampf gegen Unterdrückung zeigt. Immerhin aber stellen sich Anthrax recht deutlich gegen die Ausgestaltung unseres modernen Lebens, während Testament sich wesentlich deutlicher in die grauenvolle Ecke lehnten – und Kreator das erst recht tun wird. Oh boy.
Kreator steigen mit einem absoluten Knaller vom aktuellen Album ein: „Hate über alles“ hat nicht nur ein irrwitziges Tempo, sondern mit dem Titel auch die beste Hookline, die sich hervorragend mitbrüllen lässt. Überhaupt sind die Hooklines bei Kreator griffiger als bei Anthrax.
Auch in „Hate über alles“ geht es um Rebellion gegen ein Unterdrückerregime. Sie wird als gewaltvoller beschrieben, als das bei Anthrax der Fall war: „decimate this mental breed that I despise, / […] in these ruins of arrogance, my saviors are destroyers to some“. Apropos gewaltvoll: Darum geht es auch in „Violent Revolution“, das später im Set gespielt wird (hier die Setlist zum Nachhören).
„Is there something after you?“ ist die Hookline in „Phobia“. Und angesichts der Bühnendekoration würde mir da schon einiges einfallen: Links und rechts auf der Bühne stehen zwei übermannsgroße Teufel, und über dem Schlagzeug thront ein riesiger Glatzkopf mit spitzen Ohren.
Und einige hat es schon erwischt: Zu beiden Seiten der Drums stehen auf Speeren aufgespießte menschliche Figuren. Das Backdrop zeigt das Cover des aktuellen Albums „Hate über alles“, worauf ein Teufel einen Menschen mit dem Speer durchbohrt, während nebendran zwei Gehängte baumeln. Als wäre das Gesamtbild nicht schon grauenvoll genug, fallen mit einem Knall noch vier Gehängte von der Decke.
Auf die Frage, ob hier Gewalt noch kritisiert oder schon verherrlicht wird, möchte ich sagen, dass keine Gewalt, die man in einem Grimdark-Szenario abbilden könnte, an das wahre Grauen heranreicht, das der Mensch zum Beispiel im Krieg hervorbringt.
Ich bin da schon offen für Kritik an diesen Darstellungen – vor allem weil hier Gewalt wegen ihrer erhabenen Wirkung zur Unterhaltung eingesetzt wird –, aber was wir hier sehen, ist noch harmlos. Und dass die Darstellung Kritik ist, sieht man in zweifacher Hinsicht beispielsweise an folgender Textstelle aus „Coma of Souls“ (von dem wir nur das Intro hören):
„Children are pawns
For generals to play with and kill
Mercy will never be found
Where mayhem is done for the thrill“
Hier wird sowohl institutionalisierte Gewalt als auch die reale Übergriffigkeit der Gewalt im Feld kritisiert. In „Enemy of God“ geht es danach um die „mother of all wars“, um den „war of all wars“, um „total carnage“, während verschiedene Ursachen dafür diskutiert werden: von Religion über Despoten zu Fanatikern und eben den „Enemy of God“. Die Musik dazu schreddert herrlich.
In „666 – World Divided“ lassen die Schwachen ihr Blut, die Verlorenen werden geschlachtet, und natürlich steht die Welt in Flammen. Aber nicht nur die Welt: Kreator machen munter Gebrauch von ihren Pyro-Effekten. Die Flammenwerfer löten uns weg. Bei „666 – World Divided“ spucken sie abgestimmt auf das Riffing Muster in die Luft. Es ist eine großartige Show.
Apropos Show: Ich vergaß zu erwähnen, dass es vor „Enemy of God“ schon die erste von zwei Walls of Death gab. Und auch ein Circle Pit kann Sänger Mille Petrozza organisieren. Ich möchte allerdings nicht verheimlichen, dass die schwäbische Behäbigkeit es ihm trotzdem schwer macht. So bezeichnet er uns zwar – einleitend zum Song gleichen Namens – als „Hordes of Chaos“, aber wir erzeugen wirklich wenig Chaos.
Dafür evoziert der Song das Bild einer Horde, die wie Bestien unter die Schafe fährt, während die Schwachen und die Kinder und die Eliten dezimiert werden, bis schließlich jeder gegen jeden kämpft.
Und so geht es weiter, wenn etwa in „Phantom Antichrist“ über Folter, Kriegsverbrechen und Völkermord gesungen wird – und dazu auf der Bühne zwei menschliche Figuren verbrannt werden –, wenn in „Strongest of the Strong“ die Rebellion zwischen den Leichen der Patriarchen beginnt, wenn in „Violent Revolution“ Gewalt die einzige Lösung ist. Und dann ist da freilich „Pleasure to Kill“.
Einzig „Hail to the Hordes“ hat interessanterweise einen positiven Text, in welchem es um den Kampf gegen das Dunkel geht: „We carry each other through the darkest / moments in life“.
Insgesamt ist die Welt in den Texten von Kreator ein Fleischwolf, in den Könige und Tyrannen genauso fallen wie die Unschuldigen und vermeintliche Helden. Diese Welt stürzt von dystopischen Systemen in dystopische Kriege, die alles verbrennen und keine Hoffnung lassen, in Kriege aller gegen alle. Das ist Grimdark pur.
Und so wollen wir das natürlich auch. Es ist eine grimmige Musik für eine grimmige Zeit. Sie wäscht uns rein.
Hinter mir sehe ich einmal einen Mann mit bitterer Miene, aber ansonsten sind es strahlende Gesichter, die man sieht. Grimdark mag ein Unterhaltungsphänomen voll von Gewalt sein, weil das Erhabene immer eine starke Wirkung auf uns hat, aber es befreit uns von den Schrecken der Welt.
Vorhin fragte Anthrax’ Joey Belladonna einmal, ob wir Thrash Metal mögen. Darauf kann es freilich nur eine Antwort geben: Ja!
Klasse Bilder! Vielen Dank!