GONG, APE SHIFTER, 05.12.2024, Jubez, Karlsruhe
Auch schon wieder fünf Jahre her, dass ich das erste und bisher letzte Mal im Jubez war. Persönlich erinnerungswürdig, da ich auf dem Dudefest 2019 das erste Mal Black Metal live hörte und dachte „die fast undurchdringliche Soundwand funktioniert ja überraschenderweise auch als Psychedelik irgendwie“. Apropos Psychedelik, um gleich mal den holprigen Übergang zum heutigen Abend zu wagen: Gong. Um den Artikel hier nicht zu sprengen, verweise ich in Sachen Bandhistorie auf Wikipedia und die Bandseite. Legendär ist gar kein Ausdruck für ein Kollektiv, das einzigartige Musik machte und so Übermusiker wie Bill Bruford, Allan Holdsworth, Steve Hillage, just to name a few, in ihren Reihen hatte. Widmen wir uns aber erstmal der Vorband.
Um 20:20 Uhr kommt das in Deutschland ansässige Trio Ape Shifter mit Affenmasken auf die Bühne. Harter, instrumentaler Rock kann man als Unbedarfter erst mal konstatieren. Gut gefällt mir der Gitarrensound, der auch dadurch zustande kommt, dass der Gitarrist ganz schön in die Saiten reinlangt. Nach ein paar Songs finde ich es erstaunlich, wie unterhaltsam das funktioniert. In your face Virtuosismus ist nicht das Ding von Ape Shifer, auch wenn Gitarrist Jeff Aug in wenigen Soli zeigt, dass da ganz schön viel geht. Basis der Songs sind meist harte, catchy Riffs und viel tighter Rhythmus der Band. Die Songs haben immer genug twist and turns, um die Spannung aufrechtzuerhalten. Andererseits kommt auf Dauer doch eine, nur leichte, Eintönigkeit auf. Just als ich das aufschreibe: Akustische Gitarren, das Tempo geht deutlich runter, die Band zeigt eine ganz andere Facette. Große Sympathiepunkte gibt es kurz vor Schluss, als in sympathischen Deutsch mit USA-Akzent Jeff Aug ein schwer zu widerstehendes Angebot ausspricht. Beim nächsten Song darf man sich für fünf statt zehn Euro CDs der Band direkt von der Bühne holen. Viel verdienter Applaus am Ende, nicht nur wegen der Schnäppchen-CDs.
Vor dem Auftritt Gongs adressieren wir doch mal eine immer aktueller werdende Frage: Wie verfahren wir denn mit Bands aus den 60ern und 70ern? Akzeptieren wir nur deren Weiterbestehen, wenn Originalmitglieder dabei sind, und wenn dann diese abtreten ist Schluss? Oder reicht es aus, wenn in der Bandgeschichte jemand Jüngeres dazu stieß und den Namen nun weiterführt? Muss die Musik dann erkennbar nah am Originalsound bleiben oder darf sie dann eigene Wege gehen? Fragen, die sich mir so stellen, als Gong-Sänger und Gitarrist Kavus Torabi im Konzertverlauf erzählt, dass die aktuelle Formation vor 10 Jahren von Bandmitbegründer Daevid Allen die Band „inherited“ bekam.
Vom eher theoretischem zum praktischen: Wie ist denn Gong 2024 live? Spoiler: Fantastisch!
Das Quintett spielt ein Set, das, mit einer Ausnahme, nur aus Songs der letzten Alben besteht. Und schon beim Opener „My Guitar Is A Spaceship“ ist klar, dass diese Formation in der Lage ist, den einzigartigen Gong-Sound in die Gegenwart zu übersetzen. Diese einzigartige Mischung aus Space-Psychedelik, vertrackten Rhythmen, dann wiederum Popmelodien, garniert mit Jazzrock-Anleihen und Canterbury-Prog. Schwer zu beschreiben, aber grandios. Von all den verschiedenen Phasen, die Gong so hatten, scheint die aktuelle sich vor allem an der zu orientieren, als Steve Hillage in der Band war.
Sänger und Gitarrist Kavus Torabi ist eine ziemliche Erscheinung. Viel in Bewegung, großartiger Look, verkörpert er inmitten buntester Visuals bestens das Gongsche Sci-Fi-Ding mit humorigem Hippie-Einschlag. Fabio Golfetti an der anderen Gitarre legt oft mit Glissando-Gitarren einen sphärischen Teppich, während Saxofonist Ian East mit seinen Motiven einen treibenden Jazzrock-Tupfer gibt. Resultat des Ganzen, immens energievollen Vortrags, ist ein wunderbarer, ekstatisch-entrückter Zustand. Nix von wegen Drogen, alles nur reine Kraft der Musik. „My Sawtooth Wake“ mit seinen fesselnden rhythmischen Figuren ist vielleicht eines der besten Beispiele dafür.
Als Torabi irgendwann sinngemäß meint, dass alle unser Leben uns auf diesen, heutigen Abend hingeführt haben, klingt das einerseits etwas esoterisch-pathetisch, andererseits vermittelt die Großartigkeit dieser Konzerterfahrung durchaus so ein Glücksgefühl.
Wie erwähnt, die neuen Songs funktionieren hervorragend. Doch der Höhepunkt kommt noch, als die Band das erste Mal für richtig lange Zeit richtig runterfährt. Minute für Minute, eine Ewigkeit lang, dominieren nur Glissandogitarren, zarte Bassfiguren und perkussives Hintergrundgeklöppel die Szenerie. Erst unmerklich, dann immer deutlicher zieht die Band wieder an. Dann dämmert es uns: „The Master Builder“ aka „The Glorious Om Riff“ vom famosen „You-Album (1974) baut sich gerade auf. Als dieser Spacerock-Sturm sich dann zu voller Stärke entfaltet, ist es nur noch zum Feiern. Hypnotisches Körperzucken allenthalben, grinsende Gesichter. Der instrumentale Star des Showdowns dieses Songs ist dann Drummer Cheb Nettles. Ein perkussives Feuerwerk. Ein persönlicher Höhepunkt meines Konzertjahres.
Dass nach so einem euphorisierenden Monument das nachfolgenden „Choose Your Goddess“ und die Zugabe „Insert Yr Own Prophecy“ nicht mehr rankommen können, geschenkt. Es ändert nichts mehr daran, dass Gong 2024 mehr als nur eine Daseinsberechtigung haben. Sie sind eine Liveerfahrung, die man sich nicht entgehen lassen sollte.