GEWALT, 06.12.2024, Goldmark’s, Stuttgart
„Montagabend in Pforzheim. So habe ich mir das vorgestellt.“ Patrick Wagner, den Frontmann von Gewalt, hatten wir von den letzten Konzerten als eher spaßbefreit und unnahbar in Erinnerung. Heute, samstagabends im sehr gut gefüllten Goldmark’s, ist er gelöst, witzelt rum, plaudert schon vor dem Konzert mit den Besuchern und schaut sich mitten im Publikum einen guten Teil des Support-Gigs an.
Was das neue Album „Doppeldenk“ und viele Interviews schon angedeutet haben, setzt sich live fort: Die Musik von Gewalt ist zwar immer noch eine Herausforderung, aber sie ist zugänglicher und weniger verbissen geworden. Hier darf zur Apokalypse getanzt werden. Dies alles wird aus diesem Goldmark’s-Abend einen ganz besonders guten machen.
Doch beginnen wir am Anfang. Das Stuttgarter Noise-Trio Unbite bringt einerseits familiäre Freundlichkeit in die vollzählig versammelte Stuttgarter Konzertblase, anderseits prügelt sie diese mit ihrem brachialen Noise-Inferno windelweich für den Hauptact. Vielleicht auch einer der Gründe, warum Gewalt heute Abend vergleichsweise gefällig rüberkommen. Jedenfalls ein perfektes Warm-up.
Ein guter Teil der Setlist von Gewalt setzt sich aus Songs von ihrem aktuellen Album zusammen. Und das ist gut so, denn der neue, rundere Sound mit größeren Synthesizer- und Elektroanteilen macht die Songs eingängiger und tanzbarer. Nicht, dass diese jetzt leichte Kost wären – Inhalte und Tonlage sind weiterhin überaus finster – aber sie entwickeln auf ihrer treibenden Industrial- und EBM-Basis einen Sog, der das Publikum gleichzeitig fesselt und ordentlich in Bewegung setzt. Natürlich legt die teutonisch bedeutungsschwere Intonation von Wagner den Vergleich mit Peter Hein nahe, doch Wagner übertrifft den älteren Kollegen in Sachen Präsenz und Dringlichkeit eindeutig.
Das Rhythmusfundament kommt zwar aus der Retorte, dennoch machen Helen Henfling an der Gitarre (und/oder Synthesizer) und die Argentinierin Sol Astolfi am Bass einen guten Teil der massiven Präsenz aus. Anders als bei früheren Konzerten (damals noch mit Jasmin Rilke am Viersaiter) agieren sie weniger im Hintergrund, sondern auch mal an der Bühnenkante oder im direkten Wechselspiel mit Wagner. Kurzum: eine solide Gitarrenband mit ordentlich Schub aus Drumcomputer und Synthie-Tracks.
Mit zunehmendem Verlauf bekommt das Konzert schon fast ekstatische Züge. Als sich Wagner dann ansatzlos und überraschend mit einem Stagedive in die vor der Bühne tanzende Crowd wirft, kann ihn diese gerade noch so auffangen und zu einer kurzen Surfeinlage um die Spiegelkugeln herumreichen. Keine Frage: Dieser Gig schlägt die bisherigen Gewalt-Konzerte um Längen, mit „Felicita“ und dem Album-Opener „Schwarz Schwarz“ erreicht es zum Schluss einen letzten Höhepunkt. Hatte man früher eher das Gefühl, dem qualvollen Prozess der kathartischen Reinigung beizuwohnen, fühlt sich das heutige Konzert an, als wenn es exakt mit der Befreiung nach der Katharsis begonnen hätte. Eine Zugabe gäbe es aber nicht, scherzt Wagner dann noch, man wolle ja nicht enden wie die Nerven.
Setlist
Hier, wo du strahlst
Trans
Gier
Jemand
Es funktioniert
Jahrhundertfick
Ein Sonnensturm tobt über uns
Egal, wohin der Wind dich weht
Unterwerfung
Limiter
Das kann ich nicht
Deutsch
Felicita
Schwarz Schwarz