URBAN BEATS COLLECTIVE, 30.11.2024, Kiste, Stuttgart
Kennt ihr das? Ihr wollt einfach mal nur so auf ein Konzert. Ganz „privat“, ohne Gig-Blog-Bericht? Und dann schneit zufällig der Fotograf herein, der nie ohne Kamera aus dem Haus geht und irgendwie Bock auf einen Bericht hätte? Und während ihr noch ein paar Minuten hadert, zeichnet sich ein Mega-Gig ab, der unbedingt den Leser:innen nahegebracht werden muss. Et voilà: unser Guerilla-Bericht vom Urban Beats Collective.
Kurzer Rückblick: Vor ein paar Wochen sind wir am Feuerseefest vorbeigeradelt und die Kombination aus superslicken Oldschool-Sounds und Sprechgesang-Stakkato von der Hauptbühne hat sofort unsere Aufmerksamkeit gewonnen. Nach ein paar Minuten war klar: Hier steht ein krass gutes HipHop-Kollektiv auf der Bühne, das wollen wir auf jeden Fall nochmal bei einem „richtigen Gig“ sehen.
Und diese Gelegenheit hat sich erfreulich schnell ergeben. Die Kiste ist recht gut besucht, als die Kern-Band um den Bassisten Jan Kappes, den Keyboarder Martin Sörös und den Drummer Julian Feuchter mit ihren souligen Tunes das Set beginnen. Komplettiert werden sie durch DJ Philow und MC Toba Torke, der als Host durch den Abend führt. Noch ahnen wir nicht, dass dieser satte drei Stunden dauern wird.
Und die Band passt wirklich hervorragend in einen Jazzclub. Jazzige Harmonien und (kleinere) Soli bringen sie extrem lässig, angereichert durch Scratches und Samples vom DJ. Das wirklich Besondere ist aber, dass sie in einem nahezu kontinuierlichen Flow improvisieren. Und das müssen sie auch. Denn nicht nur MC Toba hat sich dem Freestyle Rap verschrieben, auch eine Gruppe von Rappern hat sich eingefunden, die in loser Folge und keinem genauen Plan folgend, ihre spontanen Rhymes freestylen. Das ist spontan, witzig und nicht ohne einen gewissen Wettbewerbscharakter, wenn auch von einer Battle weit entfernt.
MC Nicotin aus Tübingen, MC Betonmischa, MC Matze, MC Banjo, MC Till (ich hoffe, ich habe alle Namen korrekt wiedergegeben) und weitere reichen sich das Mikro pausenlos weiter. Jeder hat seinen persönlichen Stil und seine Themen. Das ist extrem kurzweilig, jeder Auftritt wird von der Crowd gefeiert. Als sich dann aus dem Publikum ein dem Kollektiv Unbekannter um einen Platz auf der Bühne bittet, bekommt er diesen natürlich. Er bittet die Band um „etwas in e-moll“ (was bei den Rappern für kurzes Stirnrunzeln sorgt), um dann auf die Tunes mit erstaunlich guter Stimme ein paar R’n’B-Classics zu covern. Eine ganz andere Klangfarbe und durchaus willkommene Abwechslung.
Der nachfolgende MC ordnet das Ganze auch gleich mit seinen Rhymes ein, schließlich stehe das „R“ in R’n’B ja für Rap. Emotionaler Höhepunkt des Abends ist aber der Moment, als der eher zurückhaltende MC Till (?) über seinen Weg zum Rap freestylet. Dass ein Workshop von MC Toba am Esslinger Schelztor-Gymnasium ihm die Welt des HipHop eröffnet habe und ihn letztlich jetzt und hier auf die Bühne gebracht habe. Da verschlägt es sogar dem Wortkünstler Toba – vermutlich vor Rührung – kurz die Sprache. Um dann sofort über den Spagat eines HipHoppers und Pädagogen mit Führungszeugnis zu improvisieren.
Nach drei Stunden, die wie im Flug vergehen und von einer immer euphorischeren Crowd durchgefeiert werden, bestätigt sich, was schon der Besuch kürzlich bei „Dexter & Friends“ gezeigt hat: Stuttgarts HipHop-Geschichte mag ja wichtig sein, wirklich spannend und quicklebendig ist aber die HipHop-Gegenwart. Und als Toba den nächsten Gig des Urban Beats Collective am 28. Dezember im Bix ankündigt, traue ich meinen Ohren nicht: Dort wird man nämlich zusammen mit Dexter auftreten! Wir sind gespannt, ob er auch welche von seinen Friends mitbringt. Mit ein paar MCs mehr lässt sich sicher auch die Vier-Stunden-Marke knacken. Tobas Wunsch, doch bitte „der Welt zu sagen, hier in Schwabylon gibt’s guten Sound!“ kommen wir hiermit jedenfalls nur zu gerne nach.