WEDNESDAY 13, 24.11.2024, Melkweg, Amsterdam
„This is for Joey!“
Ich hätte diesen Bericht schon vor mehr als 10 Jahren schreiben sollen, als die Murderdolls ihre zweite Welle der Invasion unseres Planeten anstrebten und ich das erste Mal den Menschen traf, der den Urknall meiner musikalischen Entwicklung manifestiert und mich mit dem ersten Satz, den er zu mir sagte, adelte:
„You look like a drummer!“
Heute, ziemlich genau 15 Jahre später, arbeiten sich all diese Erinnerungen wieder an die Oberfläche. Doch neben der auch nach über 50 Konzerten immer noch unbändigen Lust die Songs zu hören, sehen und spüren, mischt sich das Gefühl, dass etwas endet. Ein Kapitel wird heute mit dem letzten Konzert der Tour geschlossen, dessen Geschichte anschließend einen würdigen Platz im Herzen finden soll.
Wednesday 13 begleitet Madita und mich schon seit bald 20 Jahren. Ich habe ihr damals, bevor wir ein Paar wurden den Song „Love At First Fright“ gezeigt und auch bei ihr war es Liebe auf den ersten Schreck. Bei unserer Hochzeit wurde er von unserer Traurednerin gesungen, nachdem wir am Morgen der Feier den Segen von Wednesday selbst aus Los Angeles erhalten haben per Video-Botschaft. Der Grund, warum heute nicht die Murderdolls spielen, sondern Wednesday 13 die Songs der Murderdolls spielt, hat vor drei Jahren die Metal-Szene erschüttert. Joey Jordison, mein Idol am Schlagzeug, der die Murderdolls gründete und Wednesday der Welt vorstellte, ist völlig unerwartet aus dem Leben getreten. Tränen flossen, Erinnerungen wurden geteilt. Nie werden wir vergessen, wie wir gemeinsam mit ihm im Tourbus saßen und er uns Bilder seiner Katze zeigte. Als ich ihn fragte „Do you miss her?“, antwortete er furztrocken „No, because it´s a boy“. Joey konnte keine Sekunde lang ruhig sitzen, seine Füße waren immer am blasten. Wann immer wir uns vor Konzerten sahen, gab es eine Umarmung – ich habe sogar einen Kuss auf die Stirn bekommen, nachdem ich ihm ganz klischéehaft einen Fanbrief geschrieben habe. Als ich ihn auf einem meiner Becken unterschreiben lassen habe, hat mich der Tourmanager verdächtigt, dass ich es geklaut hätte oder Joey im Rausch Teile des Schlagzeugs verschenkt. All diese Bilder und Momente leben im Herz weiter und wenn heute das Intro zu „Chapel Of Blood“ erklingt, beginnt es zu rasen.
Wie bereits zu Beginn erwähnt, werden wir die Songs der Murderdolls heute das letzte Mal live erleben. Das Ende der Tour, das letzte Konzert in seinem Gedenken. Während Slipknot Joeys Namen nur noch im Streit mit dessen Familie und seinem Nachlass in den Mund nimmt (Der Familie werden Schlagzeuge etc. vorenthalten, die Slipknot während Konzerten in einer Art Museum ausstellen), hält Wednesday dessen Name auf Tour quer durch Amerika und nun Europa in Ehren. Zu keinem Zeitpunkt, hat man das Gefühl, die Popularität und das Leid des gefallenen Bruders werden hier ausgeschlachtet. Vor der Bühne tummeln sich unzählige Fans in meinem Alter, die mitten in ihrer Jugend die erste Platte „Beyond The Valley Of The Murderdolls“ um die Ohren gehauen bekommen haben. Wednesday und Joey waren damals Mitte 20 und haben diese unglaubliche, rotzfreche Energie auf die Bühne gebracht, die sie sogar zu „Top Of The Pops“ und einem Gastauftritt bei „Dawson’s Creek“ geführt hat.
Und diese rohe Energie bricht hervor, als es mit „Chapel Of Blood“ beginnt. Jeder Song muss heute genossen werden. Vor der Bühne ist sofort Party angesagt und jedes Wort, das Wednesdays Lippen verlässt, wird lauthals mitgesungen. Es gibt heute auch keinen Fotograben und wir fotografieren einfach aus dem Herzen der Party heraus. Mal bekommt einer die Kamera über den Kopf gezogen, mal trifft einen während einer sicherlich super werdenden Aufnahme ein Ellbogen in die Rippen. Doch das alles ist heute egal. Mit „197666“ reisen wir in die Blütezeit meiner Jugend zurück, als neben den ganzen Slipknot-Shirts mit „People=Shit“-Schriftzug plötzlich auch Murderdolls-Shirts mit dem Aufdruck „People Hate Me“ oder „The greatest Band on planet Earth“ auftauchen. Wednesday lebt jeden Moment dieser Songs. Sein Gesicht wechselt von einer Grimasse zur nächsten, Mittelfinger werden in alle Richtungen abgefeuert und der Sound der Band ist unverschämt knackig. Man möchte am letzten Abend nochmal eine Portion drauflegen und dafür sorgen, dass man die Songs nach dem letzten Akkord noch einmal mehr vermissen wird. Gitarrist Jack, der uns auf unserer Hochzeitsreise durch Amerika in höchster Not und extrem Corona positiv ein Dach über dem Kopf gesichert hat, präsentiert unseren Kameras immer wieder neue verstörende Gesichter und stellt sicher, dass wir auch von seiner Gitarre genug gute Aufnahmen hinbekommen. Wir sind im Epizentrum der Party und was gibt es Schöneres, als wenn dann das eigene Hochzeitslied erklingt und hunderte es mit uns feiern.
Als Wednesday „NOWHERE“ mit den Worten „This is for our brother Joey, scream for him, Amsterdam!“ ankündigt, klopft der zu erwartende Tinnitus bereits mit dem Vorschlaghammer an. Wednesday pendelt immer wieder zwischen Songs der ersten und zweiten Platte, „Women And Children Last“. An der zweiten Gitarre ist auf dieser Tour eine „Gestalt“ mit Namen Ashes, der das Solo von „Summertime Suicide“ so perfekt live hinbekommt, dass ich ihn bei allen Konzerten, die wir auf dieser Tour besucht haben, geistesabwesend anstarre. Möglicherweise liegt ein Fluch auf ihm, denn Wednesday meinte, wegen seiner Größe sieht er aus wie ein „Scary Tree“. Meine Stimme ist mittlerweile heiser, meine Kamera ist voll und wie wir von den vorangegangenen Konzerten wissen, nähern wir uns mit „White Wedding“ dem Ende. Ich höre mit dem fotografieren auf. Ich möchte alles aufsaugen, was uns die letzten Minuten der Murderdolls schenken. Natürlich darf auch „I Love To Say Fuck“ nicht fehlen, doch als letzten Song dieser Tour, dieser Band geht das nach eben jenem direkt über in „Dead In Hollywood“. Als letzter Song erklingt der Song, der als erster Song der Murderdolls das Licht der Welt erblickt hat. Wednesday muss ihn nur anstimmen, den Rest übernehmen wir vor der Bühne. Er soll nie aufhören, es soll nie aufhören. Doch mit dem letzten Ton wird das Schicksal besiegelt.
„All My Heros Are Dead in Hollywood“.
Als Wednesday sich von Amsterdam verabschiedet, erklingt „God Gave Rock´n Roll To You“. Zumindest mir gab er den Anstoß, zwei Stöcke in die Hand zu nehmen und auf Sachen einzuprügeln.
Mein Herz ist gespalten. Alles an diesen Songs wird für immer verbunden sein mit Joey. Viele sagen, man sollte nie seine Idole treffen, weil man vielleicht enttäuscht sein könnte. Ich werde es nie vergessen, als ich das erste Mal Joey getroffen habe. Er hat mir die Hand signiert, wo jetzt sein Tattoo ist. Beim darauffolgenden Konzert hat er die Hand begutachtet und war besorgt, weil es noch nicht verheilt war. Ich trage heute noch täglich den Ring, den er mir vor 15 Jahren geschenkt hat und wir gemeinsam Bilder von Mokey im Tourbus angeschaut haben. Als wir ein gemeinsames Foto gemacht haben, hat er auf meinem Bild so böse geschaut wie es geht und bei Madita hat er sein herzlichstes Lachen ausgepackt.
Und auch wenn wir die Songs nie wieder live hören werden, so halten wir es mit den Worten von Wednesday:
„22 years ago there was the debut album Beyond The Valley Of The Murderdolls. No youtube, no streaming bullshit. You went to the record store, bought this fuckin´ CD – put it in your record player and what you heard was – this.“