DREAM THEATER, 20.11.2024, Liederhalle, Stuttgart
Manche Ungereimtheiten in der eigenen Geschichte, die man mit einer Band hat, sind nicht immer einfach zu erklären. Als Dream Theaters Debütalbum „When Dream And Day Unite“ 1989 erschien, dürfte ich einer von nicht allzu vielen Erstkäufern gewesen sein. Die Band sagt, dass ein Nichterfolg des Nachfolgealbums schon das Ende der Band hätte bedeuten können. Auf jeden Fall, erst 23 Jahre später durfte ich das erste Mal die Band live sehen. Da hatte Gründungsmitglied, und einer der treibenden Kräfte der Band, Drummer Mike Portnoy die Band schon seit zwei Jahren verlassen. Die Freude und Neugier war also groß, als im letzten Sommer Portnoy seine Rückkehr in die Band ankündigte. Nicht nur fielen unter seiner rhythmischen Ägide die wohl besten Alben der Band. Der umtriebige und rastlose Sympath hatte nicht nur unzählige, großartige Sachen mit u.a. Sons Of Apollo oder The Winery Dogs veröffentlicht, sondern war mir in der Pandemie in vielen Videos als extrem kundiger Musiknerd und letztendlich Fan aufgefallen.
Die aktuelle Tour feiert das 40-jährige Bestehen der Band. Und eine Band wie Dream Theater, die früher schon mal als Zugabe einfach ein komplettes Album wie „Master Of Puppets“ oder „The Number Of The Beast“ spielten, lässt sich da nicht lumpen. Kurz nach 19:30 Uhr geht es ohne Vorband los, kurz vor 23 Uhr wird Schluss sein. Und es wird in meiner relativ kurzen Karriere an Dream Theater Live-Erfahrungen die Beste werden.
Dramaturgisch und optisch ist so ein fallender Vorhang zur Eröffnung eine feine Sache. Klassischer Auftritts-Pathos, der umso besser wirkt, wenn eine Band dann gleich mit so einem Fanliebling wie „Metropolis Pt. 1: The Miracle And The Sleeper“ loslegt. Was mir gleich auffällt im Vergleich zum letztjährigen DT-Konzert am selben Ort ist der deutlich bessere Sound. Die Instrumente sind klar voneinander zu unterscheiden, was bei einer so hochkomplexen Musik absolut essentiell ist. Der Gesang James LaBries klingt anfangs etwas seltsam abgemischt, aber das Problem ist nach ein paar Minuten glücklicherweise Geschichte.
Mit zwei thematisch am Opener anschließenden Songs vom „Metropolis, Pt. 2 Album“ geht es nicht minder begeisternd weiter. Wahrscheinlich ist auch viel Einbildung dabei, aber die Rückkehr Portnoys scheint bei Band und Publikum zusätzliche Glückshormone freigesetzt zu haben. Technisch war Mike Mangini evtl. sogar der noch bessere Drummer. Aber jeder Fan weiß um die Bedeutung Portnoys bei der Erschaffung der besten Dream Theater Alben. Davon abgesehen ist er als Schlagzeuger ein ziemlicher Showman und Blickfang. Dazu trägt sicherlich auch seine riesige Schlagzeugburg bei, die er von zwei verschiedenen Sitzpositionen, je nach Song, bedient.
Nach diesen ersten drei Songs aus den wohl zwei beliebtesten Alben ist der Jubel auffallend groß. Das harte und sinistre „Mirror“ führt diesen Flow fort. Und tatsächlich scheint etwas für mich nicht mehr möglich geglaubtes heute Abend wahr zu werden. Ich freunde mich das erste Mal so richtig mit James LaBries Live-Stimme an. Hatte ich die letzten Konzerte bei ihm immer den Eindruck, dass er, teilweise ohne Erfolg, mit den Gesangslinien kämpfen musste, klingt das heute Abend für meine Ohren ziemlich gut. Portnoy steuert manchmal eine unterstützende, zweite Stimme bei. Ein weiterer Umstand, der normalen Musiker, die schon mit einem Instrument genug zu tun haben, verzweifeln lässt.
Ein Konzert mit drei Stunden reine Spieldauer kann problematisch sein. Aufmerksamkeitsspannen und Rücken, mal nur als zwei Störenfriede genannt. Wie Dream Theater es heute Abend schaffen, die Spannung aufrechtzuerhalten, das ist schon extrem bemerkenswert. Die gelungene Songauswahl, die sowohl ruhigere, melodisch nachzuvollziehende Parts enthält, wie z.B. „Barstool Warrior“, „Hollow Years“ und „This Is The Life“, als auch komplexen Prog wie „Night Terror“ trägt einen gewaltigen Teil dazu bei. Etwas überflüssig erweisen sich für mich die aufwendigen Visuals. Die Band ist so in Topform und strahlt eine vereinnahmende Lebendigkeit aus wie schon lange nicht mehr, dass das hochwertige Bühnenlicht ausreichend gewesen wäre. Aber als störend empfinde ich das bunte Geflacker im KI-Design auch nicht. Interessanter ist da optische Gimmick von Tastenwizard Jordan Rudess. Auf dessen Keyboard erscheinen mal passend zur Musik animierte Frequenzen oder eine Tastatur, die darstellt, was gerade gespielt wird.
Im zweiten Teil des Konzerts, nach der zwanzigminütigen Pause, ist kein Abfall zu verzeichnen. „Under A Glass Moon“ vom Durchbruchsalbum „Images And Words“ ist der Song, in dem der Sound des Debütalbums noch ein wenig durchklingt, und für mich auch deswegen eines der Höhepunkte. Absolut grandios ist ebenfalls der Abschluss des regulären Sets. „Stream Of Consciousness“ und „Octavarium“ sind zwei absolute Progmetal-Monumente. Eine halbe Stunde überbordende Virtuosität, komplexe Rhythmik und gleichzeitige Verneigung vor den Progrockgrößen der 70er Jahre. Ein musikalisches Feuerwerk, in welchem vor allem die Solisten Rudess und Petrucci die Finger fliegen lassen. Kann da eine frenetisch geforderte Zugabe mithalten? Sie kann, wenn man so eine Albenhistorie hat.
Natürlich haut man nicht nur „Pull Me Under“ raus, als den größten und vergleichsweise knapp geratenen Hit als finalen Song raus. Davor entführt uns „Act II: Scene Six: Home“ mit seinem middle east flavour in orientalische Soundwelten, und das über zehn Minuten lang. „The Spirit Carries On“, ebenfalls von „Metropolis, Pt. 2“ hingegen ist DER pathosbeladene Rausschmeißer, muss hier aber als vorletzter Song ran. Und für mich bleibt nach dieser grandiosen Wiedergeburt von Dream Theater nur die Frage, ob sich die Rückkehr Portnoys im bald erscheinenden Album ebenfalls so umwerfend darstellen wird.