DEXTER & FRIENDS, 16.11.2024, Studio Amore, Stuttgart
Der DJ und Produzent Dexter lädt heute Abend im Rahmen des diesjährigen „Hotel Central Festivals“ in das Studio Amore. Eine perfekte Location mit ihrem glamourösen Charme, der an den hedonistischen Lifestyle der Achtziger und Neunziger erinnert. Vergangener Luxus ist spürbar, die Bar serviert feine Cocktails und das sehr gemischte Publikum macht einen überaus entspannten Eindruck. Die Zeichen stehen also gut für einen perfekten Samstagabend.
Vorab muss ich aber gestehen, dass ich mich als Schreiber etwas aus meiner Komfortzone begebe, liegen meine musikalischen Kernkompetenzen doch eher im Postpunk, Indie und deren verwandten Musikgenres.
Sehr gut gefüllt ist das Studio Amore, als um kurz nach 20 Uhr die Stuttgart Locals, beginnend mit Fritz, die Bühne entern. Schon die ersten, sehr feinen oldschool Beats begeistern mich, erinnern sie mich doch sehr an die goldenen Neunziger der Stuttgarter und Hamburger Hip-Hop-Schule. Nostalgische Gefühle und Assoziationen an Acts wie „Eins Zwo“ werden wach. Entspannte Kopfnicker, fluffig leichte Beats, denen es aber trotzdem in keiner Weise an Tiefe mangelt. Nach und nach performen Carloo, €$¥, elithesleepgod und svmred ihre Rhymes.
Das ist sehr deep und zum Glück jenseits der aktuellen, aufgesetzten Gangster-Coolness, allzu ernst nimmt man sich auf der Bühne nicht, man hat einfach Spaß und zelebriert eine gute Zeit, ohne dabei die Qualität zu vernachlässigen. Geiler Scheiß mit einer mega-guten Energie. Überall glückliche Gesichter.
Nach knapp 30 Minuten geht es dann fast ohne Unterbrechung mit Alisa Scetinina aka Gaisma weiter. Die multidisziplinäre Künstlerin, die in den unterschiedlichsten Kunstgattungen wie zum Beispiel Ballett, Performance und natürlich der Musik zu Hause ist, ist in der Stuttgarter Szene schon länger bekannt, hat sie doch schon mehrere Tonträger veröffentlicht. Bisher sich mehr in der elektronischen Musik bewegend, hat sie sich mit ihrem am Freitag erschienenen neuen Album „Motherland“, das von Dexter produziert wurde, dem Hip-Hop zugewandt. Ich bin sehr gespannt, wie diese Wandlung gelungen ist, bin ich doch schon Fan ihres bisherigen, sehr eigenen Stils.
Gaismas Set beginnt mit einer fast schon Easy-Listening-haften Lässigkeit. Entspannte Vibes, die zum Mitsingen einladen, erfüllen das Studio Amore und das ganz ohne cheesy zu sein. Der Sound ist durchaus eklektisch, Trip-Hop Breakbeats sind zu hören, treibende Two-Step Elemente; ein rhythmisches Amalgam. Sehr urban klingt das, und es katapultiert mich gefühlsmäßig in das New York der Neunziger. Alisa besticht auch durch ihre warme, klare Stimme und ihre unaufgeregte und gleichzeitig sehr intensive und selbstverständliche Bühnenpräsenz. Textlich sind ihre Songs sehr persönlich, erzählt sie doch, wie beim Titeltrack, von ihrem künstlerischen Werdegang und Widerständen, die es zu überwinden gilt. Gaismas musikalische Neuausrichtung ist auf jeden Fall geglückt und man darf mehr als gespannt sein, wohin ihr Weg noch führen wird.
Als nächster Act wird der aus Leipzig kommende Simon Graupner aka Shelter Boy von Dexter als „Musiker mit der Gitarre in der Hand und Hip-Hop im Blut“ angekündigt. Und schon der erste Song beweist diese Aussage, ist er doch irgendwie zwischen klassischem Hip-Hop und, auch wenn man diese beiden Genres eigentlich nicht miteinander in Verbindung bringt, Indie angesiedelt. Keine Ahnung, wie ich das wirklich beschreiben soll, aber auf jeden Fall funktioniert dieser Eklektizismus erstaunlicherweise. Zwischendurch hat Graupner schon fast was Singer/Songwriter-mäßiges, um dann aber wieder in Sprechgesang Gefilde zu wechseln; Disco-Einflüsse kommen dazu und das Publikum singt begeistert mit.
Leider sieht sich Simon Graupner auch mal dazu genötigt, Teile des Publikums darum zu bitten, etwas weniger zu reden. Da bin ich aber auch ganz bei ihm, ist es doch gegenüber einem Künstler respektlos, seinen Vortrag mit lautstarkem Gequatsche zu übertönen. Inhaltlich setzt sich Shelter Boy auf seinem im Frühjahr erschienen Album „Mercyland“, mit sehr introspektiven Themen, wie der Adoleszenz und der Identitätsfindung auseinander.
Mit der im Anschluss auftretenden, aus Frankfurt am Main stammenden Rapperin Alyssa, erleben wir noch mal einen musikalischen Twist. Es geht zurück zum puren Hip-Hop. Der Sound ist massiv und sehr deep! Textlich wird es gesellschaftspolitisch. Themen wie toxische Männlichkeit, männlicher Machtmissbrauch im Musikbusiness und die Notwendigkeit von Safe-Spaces werden eindringlich behandelt. Beschämend, dass solche Themen noch immer von Relevanz sind und gut, dass dies immer häufiger thematisiert wird, um wirklich ins Bewusstsein der Gesellschaft zu gelangen!
Aber trotz dieser ernsten Thematik wird Party gemacht, es wird gebounct und die Hände gehen hoch. Selbstermächtigung, sich nicht unterkriegen lassen, das Leben feiern! In diesem roughen Set gibt es aber auch immer wieder soulige Gesangseinlagen, erklärt Alyssa doch, dass sie musikalisch in den Neunzigern hängen geblieben ist, und das ist gut so!
Zum Schluss tritt dann Dexter gemeinsam mit dem Hamburger Jace auf. Sehr straighter Rap wird dargeboten, der auch hier, ohne die sonst so üblichen Macho-Attitüden auskommt. Eine vermeintliche Realness ist Jace nicht wichtig, stattdessen gibt es augenzwinkernde, humorige und dadaistische Texte. Sehr sympathisch, mit extrem viel Energie ist das und auch das Publikum wird nach über zwei Stunden nicht müde all dies zu feiern.
Was für ein Abend, eine euphorische Party, mit unzähligen gut gelaunten Gesichtern. Großen Spaß hat es gemacht, und mein Dank geht an alle Beteiligten, die meinen Blick wieder für den Hip-Hop geöffnet haben.