SUZAN KÖCHER’S SUPRAFON, 14.11.2024, Dieselstraße, Esslingen

SUZAN KÖCHER'S SUPRAFON, 14.11.2024, Dieselstraße, Esslingen | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Müsste ich mir ein maximal deprimierendes Szenario ausdenken, ohne Rücksicht auf Zweifel an der Glaubwürdigkeit eines solchen, käme so was heraus: Wochenlang keine Sonne, gesundheitlich angeschlagen, in den USA wird Trump gewählt und stellt sich eine Regierung zusammen, deren Mischung aus Boshaftigkeit, Dummheit und Geldgier kaum begreifbar ist, während hierzulande ein Kanzler Merz am Horizont erscheint und stabil 20 % der Leute keinerlei Probleme mit offenem Faschismus haben. In der Realität sind ja nun tatsächlich alle diese Boxen gecheckt. Wie wäre es also vielleicht mit einem erhebendem Gemeinschaftsgefühl, das einem ein richtig gutes Konzert vermitteln kann?

SUZAN KÖCHER'S SUPRAFON, 14.11.2024, Dieselstraße, Esslingen | Foto: Holger Vogt
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Meine deutlich kundigeren Begleiter klären mich über vieles auf, u.a. dass die Solinger Band Suzan Köcher’s Suprafon tatsächlich auf der Bühne stand, als gleichzeitig vor ihnen das Messerattentat von Solingen stattfand. Neben all den anfangs genannten Punkten also nur nachvollziehbar, dass das aktuelle Album „In These Dying Times“ heißt. Umso ermutigender zu sehen und zu hören, welche musikalische Schönheit der Vierer in der Lage ist bei ihrem Konzert zu erschaffen.

In der gut gefüllten Dieselstraße geht es so gegen viertel vor neun los. Das Instrumentarium umweht schon ein sehr schöner 60ies Retrolook (ein umwehter Look? Get your Sprachbilder right!), ansprechende psychedelische Visuals erstrahlen im Hintergrund. Für mich als SKS-Novize geht es jetzt erstmal darum, die Musik irgendwo in meinem Genre-Schubladenschrank zu verorten. Gar nicht so einfach.

SUZAN KÖCHER'S SUPRAFON, 14.11.2024, Dieselstraße, Esslingen | Foto: Holger Vogt
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Der Mood ist insgesamt entspannt und unaufgeregt, manchmal sogar dreamy. Aber im Gegensatz zu manchen Dream Pop Bands, die vor lauter verschlurfter Dreaminess vergessen spannende Songs zu schreiben, prägt sich mir die Musik schon beim ersten Hören ein. Dabei verzichtet die Band meist auf auffallende Hooks, sondern webt Teppich um Teppich an eleganten Melodien. In dem beeindruckend tighten Gesamtsound ist natürlich der Gesang Suzan Köchers der Star. Vorher aufgeschnappte Nico-Vergleiche verwerfe ich für mich gleich als unbrauchbar, denn hier wird richtig gesungen. Bestens intoniert und mit eigenem Charakter deckt Suzan Köchers Stimme innerhalb der relativ engen Grenzen der Unaufgeregtheit ein dynamisch ziemlich weites Spektrum ab.

Im glasklar abgemischten Sound fällt außerdem das Gitarrenspiel Julian Müllers auf. Die Sicherheit, mit der er Western-Score-Gitarrenspiel mit Psychedelik verbindet, ist die ganz hohe Schule. Zuweilen erinnert mich die Musik an die Cardigans in ihrer Long Gone Before Daylight Phase oder Anna Ternheim, allerdings mit einem deutlichen Spin ins Psychedelische. Bei einem Song wie dem wunderbaren „In These Dying Times“ gesellt sich sogar eine Note Fleetwood Mac zu ihrer „Tell Me Lies“ Zeiten.

SUZAN KÖCHER'S SUPRAFON, 14.11.2024, Dieselstraße, Esslingen | Foto: Holger Vogt
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Groove war bisher kein Thema, aber das ändert sich mit „Living In A Bad Place„. Zu verhallter Melancholie pumpt die Bassdrum Tanzaufforderungen in die Beine. Der Instrumentalpart, irgendwo zwischen krautigen Eloy und Anfang 70er Pink Floyd, ist begeisternd. Zeigt aber auch, dass SKS trotz manchmal gefährlich erscheinender Gefälligkeit (mit der ich keinerlei Probleme habe) weiterhin eine Indieband sind, die auch von weniger popaffinen Leuten goutiert werden kann.

Aus dem Set sticht für mich dann ein deutsch gesungener Song hervor, der mit elektronischen Schlagzeugklängen und kalten Synthies eine etwas schwerere Seite der Band zeigt. Trotzdem gut. Astreiner Gitarrenpop hingegen „Cinnamon„, das mit seinem tollen Refrain, in dem die Akkorde etwas schneller wechseln als in anderen Songs, für mich zu den Highlights zählt. Ebenso wie der letzte Song vor der Zugabe. „Desert Air Motel“ ist zuerst ein bisschen Americana, um sich dann in ein Krautrockmonster zu wandeln. Quasi erst Wüstenadler, der über mexikanisch-amerikanisches Grenzgebiet fliegt, um dann ein UFO zu werden.

SUZAN KÖCHER'S SUPRAFON, 14.11.2024, Dieselstraße, Esslingen | Foto: Holger Vogt
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Die Zugabe „Suprafon“ ist dann der Abschluss, zu einem Konzert, dass mich ob der musikalischen Qualität ziemlich umgehauen hat. Es gibt ja Bands und Musiker*innen, die einen aufgrund ihrer Originalität der musikalischen Ideen packen, andere wiederum, bei denen das instrumentale Können Bewunderung hervorruft. Wenn das alles zusammenkommt wie heute Abend, entsteht wundervolle Musik

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