STEFANIE SARGNAGEL, 29.10.2024, Im Wizemann, Stuttgart

STEFANIE SARGNAGEL, 29.10.2024, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Mit neuem Buch ist Stefanie Sargnagel, die Wiener Autorin und Österreichs beste Influencerin, momentan auf Lesereise. Bekanntgeworden durch ihre Statusmeldungen, die auf ihrem Facebookaccount (!), ja, es ist lang her, später auch in Buchform erschienen sind. Die im wahrsten Sinne des Wortes analog stattgefundenen Lesungen, quasi ein Vortrag ausgewählter 1-Satz-Tagebucheinträge mit großem Hit-Potential. Die vielen Likes ließen sich mit Leichtigkeit ins „echte Leben“ übertragen. Es folgte ihr fantastischer Debütroman „Dicht“ vor vier Jahren, in dem sie ihre Jugend in Wien zwischen Alternativkultur, bizarren Begegnungen in Beisln und Parks beschreibt, aber vor allem eine berührende Geschichte einer Freundschaft erzählt. Und der Roman markiert vielleicht auch einen Wendepunkt ihres künstlerischen Ausdrucks, weg von den Statusmeldungen, die auch online kaum mehr bei ihr vorkommen. Durch die neuen „langen“ Texte haben sich nun auch die Lesungen in ihrer Form verändert, der Unterhaltungsfaktor jedoch gleichbleibend hoch. Über die Jahre haben sich eine Menge Veröffentlichungen angehäuft, was auch der üppige Büchertisch beweist.

Ihr aktuelles Buch „Iowa“, aus dem sie heute im ausverkauften Studio des Im Wizemann liest, beinah passend so kurz vor den US-Wahlen, handelt von ihrem mehrwöchigen Aufenthalt im gleichnamigen US-Bundesstaat im mittleren Westen, zu dem sie im Frühjahr 2022, mitten in der Corona-Zeit, eher zufällig vom dortigen Grinnell College eingeladen wurde. Zur großen Freude kann man noch heute in ihren Insta-Story Highlights die Zeit nochmals in damaliger Realtime nachempfinden.

STEFANIE SARGNAGEL, 29.10.2024, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
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Iowa, wo nur ca. 3 Millionen Menschen leben, kennen wir von Slipknot. Oder vom Maisanbau oder der Mastschweinzucht, wie Stefanie zu Beginn anmerkt. Und wie wir im Verlauf des Abends feststellen müssen, arg viel mehr gibt es auch nicht. Es sei ein Sinnbild für Langeweile, konstatiert sie. Tumbleweed. Republikanisch dominiert, das kleine College in Grinnell mit nur ca. 10000 Einwohnern, ein Ausreißer und eine diverse Oase.

Gleich zu Beginn muss Stefanie leider das Fernbleiben ihrer Tourpartnerin (und Mitautorin des Buchs) Christiane Rösinger verkünden, sie sei krank und kann nicht dabei sein. Die Lesung und die weitere Tour wird sie daher allein bestreiten müssen. Zwar nicht wirklich ein Problem für sie, sehen ihre Tourdaten fürs aktuelle Buch auch explizit Solo-Termine vor, doch es ist wirklich arg schade, sind die beiden zusammen doch so ein wunderbares Pairing. Im Buch selbst wie bei den Lesungen lassen sie die Reise Revue passieren und so werden Stefanies Anekdoten immer wieder durch vehemente Einwände und Perspektivwechsel Rösingers ergänzt. Sie spielen sich Gags mit Leichtigkeit zu und harmonieren im Zank und herrlicher Richtigstellungen, auch ausgelöst durch den offensichtlichen Generations-Gap. Seit einigen Jahren tun sie sich schon zusammen, Stefanie, immer schon Fan ihrer Musik gewesen, spielte u.a. in Rösingers Theaterstücken am HAU in Berlin mit, gemeinsam mit Denice Bourbon sind sie als Trio „Legends of Entertainment“ (im wahrsten Sinne des Wortes) bekannt, nun das gemeinsame Buch mitsamt US-Trip.

STEFANIE SARGNAGEL, 29.10.2024, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
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„Die beste Songwriterin Deutschlands und eine feministische Legende“, wie Stefanie sie umschreibt, ist an diesem Abend dennoch sehr präsent, Stefanie gibt ihr großzügig Raum bei der Lesung und liest auch Rösingers Parts vor. Nicht nur, weil sie die Reise (teilweise) gemeinsam bestritten hatten, das Buch lebt auch von den recht ausschweifenden Fußnoten Rösingers, auf die Stefanie immer wieder zurückkommt. Ein weiterer kleiner Trost fürs Fernbleiben sind die Songs der Lassie Singers, Rösingers legendärer Band, die vor und nach der Lesung gespielt werden. So ist sie dann doch irgendwie dabei und ihre Stimme zu hören.

Ganz allein ist Stefanie Sargnagel heute jedoch nicht, als kleiner Sidekick bzw. musikalische Unterstützung ist Claudia Fierke angereist, eine langjährige musikalische Wegbegleiterin von Christiane Rösinger, die sonst auch bei der Duo-Lesetour der beiden mit dabei ist und v.a. Rösingers Songs spielt. Gemeinsam mit Stefanie singen sie „Bury me not on the lone prairie“, die lt. Wikipedia wohl bekannteste CowboyBallade, besonders in der Version von – natürlich – Johnny Cash. Mit einer dazugedichteten Strophe verdeutlicht sie den grauen Alltag in Grinnell erneut. „Grinnell Grinnell, Blume der Prärie, so fad wars uns noch nie, Grinnell Grinnell, boring as hell“ Im Gewand einer bluesigen Country-Ballade klingts gleich halb so schlimm, zwischen endlosen Maisfeldern, das einsame Cowgirl aus Wien.

STEFANIE SARGNAGEL, 29.10.2024, Im Wizemann, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
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Die von Stefanie vorgelesenen Stellen aus dem Buch erzählen neben der Tristesse von Grinnell vom Tindern, über Road Trips mit dem Greyhound Bus (es befindet sich sogar ein Windhund im Raum) bis hin zu einer herrlich schräg-abgespacten Story, als Christiane Rösinger am Mississippi auf einem Pelikan davonfliegt. Oder von Besuchen in Secondhandshops, für die gerade Stefanie durch ihre Liebe zu obskurem Ramsch eine Affinität hat, der dort in den Regalen zu finden ist. Eine Begeisterung zum Leidwesen von Christiane Rösinger, die die Zeit in den trostlosen Shops so betrübt, dass sie zum Ausdruck ihres Gemütszustands Heines Winterreise zitiert: „Zu Aachen langweilen sich auf der Straß, die Hunde, sie flehn untertänig, gib uns einen Fußtritt, o Fremdling, das wird vielleicht uns zerstreuen ein wenig.“ 

Die Passagen unterbricht Stefanie immer wieder für Hintergrundstories außerhalb des Texts und bereichert sie mit kleineren Exkursen über Polyamorie, dem Rammstein-Skandal, Ageism oder Erbschaftsscham. Wer Stefanie gerade auf Social Media-Plattformen folgt (als It-Girl der ersten Stunde), weiß schon länger, dass z.B. letzteres eines ihrer Lieblingsthemen ist.

Nach eineinhalb Stunden endet dann die Lesung mit dem Rösinger-Song „Sinnlos“, den Stefanie wieder gemeinsam mit Claudia Fierke singt, beinah schon eine kleine Tradition von den Shows der Legends of Entertainment, die hier fortgeführt wird.

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