PROJECT PITCHFORK, 27.10.2024, Im Wizemann, Stuttgart
Bin heute mit Fortbildungsauftrag ins Wizemann gezogen, um eine weitere Bildungslücke zu schließen. Dank der Gnade der frühen Geburt durfte ich zwar viele 80er-Ikonen damals noch in Echtzeit erleben, etliche gingen mir aber natürlich durch die seinerzeit eher metallischen Lappen.
Kurioserweise sind aktuell aber doch noch erstaunlich viele Gothic-, Gruft- und Elektropop-Bands unterwegs, gerade erst feierten Camouflage unter demselben Dach ihren Vierzigsten und selbst The Cure veröffentlichen aktuell neue Songs. Heute also Project Pitchfork, mit denen ich bislang nichts am Hut hatte, von denen ich aber immerhin weiß, dass sie seit 1990 beständig und erfolgreich Platten veröffentlichen – und dass sie eine sehr treue Fangemeinde haben.
Project Pitchfork war und ist das Brainchild von Sänger Peter Spilles, der Sound lässt sich zwischen Electro-Wave und Synthie-Rock verorten, worauf ich in den letzten Jahren wieder richtig Bock habe – auch weil aktuelle Bands wie Levin Goes Lightly daraus so völlig unnostalgische Musik machen.
Das oft Abgründige und verkniffen Düsterliche in der Inszenierung derartiger Musik halte ich ja für lustiges Kasperletheater. Mal sehen, wie es heute wird. Altersmäßig liege ich gut im Durchschnitt, Sorgen macht mir allerdings mein anthrazitfarbenes Shirt, das im Einheitsschwarz fast schon leuchtend hervorsticht – glaube ich jedenfalls. Die Supportband Beyond Obsession finde ich durchaus unterhaltsam, das niedliche Herrenduo mittleren Alters verwurstet mit großer 80er-Geste so ziemlich alles, was damals hip war – sagen wir mal zwischen Alphaville und Erasure.
Dann entert Peter Spilles die durchaus imposant möblierte Bühne. Er kommt ein bisschen wie ein deutlich dynamischerer Robert Smith rüber und bleibt über zwei Stunden in Bewegung. Es sekundieren ein Tastenmann und gleich zwei Drummer, links und rechts oben platziert. Mit diesem inszenatorischen Taschenspielertrick gewinnt man leicht mein Wohlwollen, gerade wenn die beiden Trommler weitestgehend dasselbe spielen – es ergibt halt durch gewollt unperfekte Synchronität diesen Extrawumms beim Beat. Der Effekt bleibt in weiten Teilen der Halle zwar kaum hörbar, weiter vorne treibt der Groove dank Bühnensound aber ganz schön nach vorne.
Schnell wird auch klar, dass es heute nicht um larmoyante Gothic-Schwermut geht, stattdessen wird hart und gradlinig gerockt. Und ja, die Musik ist eindeutig zum Tanzen gemacht, was vom sachkundigen Publikum auch dankbar aufgenommen wird. So erfreue ich mich am einen oder anderen Dance-Move, den ich zuletzt vor vierzig Jahren im Stuttgarter Roxy erleben durfte.
Dennoch gerät der Abend nicht nostalgisch, höchstens ein kleines bisschen zu lang. Feingeister könnten sich auch am auf Dauer doch etwas eintönigen Gothic Growl von Spilles stören, dessen rauem Gurgeln, sagen wir mal, die Grandezza eines Andrew Eldritch eher abgeht. Um gesangliche Feinheiten scheint es aber auch nicht zwingend zu gehen, was zählt, ist der hypnotische Drive, die harten Sequencer-Beats und analog-elektronischen Akkorde in allumfassendem, tiefschwarzem Moll.
Für Abwechslung sorgen zeitweise eine rohe Stromgitarre und eine theatralische Frauenstimme, im Zentrum steht jedoch Peter Spilles, der am Ende dann auch endlich seine synthetische Mistgabel schwingt – Logo und Markenzeichen einer scheinbar unkaputtbaren Band mit eingebautem Zeitmaschineneffekt.
Sehr guter und zutreffender Bericht, als Fan der ersten Stunde gehe ich diesen absolut mit. Ein Aspekt, der mich immer wieder begeistert, wurde nicht erwähnt, drum ergänze ich mal: Die Aktualität (und damit aus meiner Sicht auch Qualität) der Texte von Pitchfork ist auch nach rund 30 Jahren noch immer – oder gerade wieder – sehr hoch: „Wir benehmen uns wie ein Krebsgeschwür und zerstören den Körper, auf dem wir existieren“ oder der legendäre Song „KNKA – Killing nature, killing animals“ jagen mir auch heute noch eine Gänsehaut über den Körper. Klasse auch die Passage „they are staring into monitors“, welche Peter an anderer Stelle zitierte, als gefühlt mal wieder jeder zweite das Konzert über sein Smartphone betrachtete…
Absolut super auch die Fotos, welche die Atmosphäre sehr gut eingefangen haben – macht weiter so!