IN FLAMES, ARCH ENEMY, SOILWORK, 18.10.2024, Schleyerhalle, Stuttgart
Gab es meines Wissens nach noch keinen genauen/besiegelten Termin für den Neubau der Hans-Martin-Schleyer-Halle, scheint es so, als hätte man sich direkt für heute Abend ein Trio aus schwedischen Abriss-Unternehmen ins Haus geholt, um Vollzug melden zu können.
In Flames, Arch Enemy und Soilwork. Das ist die schwedische Melodic Death Elite schlecht hin und jede einzelne Band davon hätte das Zeug dazu, Headliner des Abends sein zu können. Für diese Tour übernehmen In Flames die Verantwortung dafür, sämtlichen Arenen quer durch Europa als Headliner den Gnadenstoß zu verpassen. Die Schleyer-Halle platzt beinahe aus ihren Nähten und ein unglaublicher Lärm breitet sich aus, als die Lichter das erste Mal am Abend erlöschen und Soilwork die Bühne betreten.
Vor 5 Jahren habe ich Soilwork mit Spaghetti Bolognese verglichen, auf Grund der leichten Verträglichkeit und der sich immer ausbreitenden Freude, weil es einfach immer schmeckt. Und wenn Soilwork den Abend mit „Stabbing The Drama“ eröffnen, ist es eine sichere Nummer, dass es gut wird. Trotz ihres bald 30-jährigen Bestehens wird auch heute sofort das Gaspedal bis zum Anschlag durchgetreten und das Publikum hat gar keine andere Möglichkeit als sofort mitzugehen. Der Sound drückt bereits jetzt extrem gut und man mag sich kaum vorstellen, wie das im Verlauf des Abends noch gesteigert werden soll – um es vorab aufzulösen – In Flames werden es auf beeindruckende Weise schaffen. „Arrival“ legt alle Stärken Soilworks dar. Die Blastbeats rasieren alles weg und werden durch die perfekte Harmonie aus Keyboard und diesen unverschämt guten Riffs ungebremst nach vorne getrieben. Sänger Björn Strid zeigt bei „Spirit Of No Return“ sein gesamtes Spektrum an unterschiedlichsten Gesangsstilen und legt eine wirklich mitreißende Performance hin, die das Publikum mit einem anschließenden, minutenlangen Applaus honoriert. Ich kann mir keinen speziellen Höhepunkt aus diesem Set herauspicken, es war schlichtweg eine Top Performance, die mich auch immer wieder an trinkfreudige Abende auf der Tanzfläche im Prag zurückdenken lässt, bei denen immer mindestens ein Song von Soilwork auf der Playlist stand, unter anderem der abschließende Song des heutigen Auftritts, der wirklich alles zu bieten hat, was Soilwork seit beinahe drei Jahrzenten so unglaublich gut macht. „Stålfågel“.
Besser kann so ein schwedischer Metal-Abend nicht beginnen.
Es ist an der Zeit, die Bühne zu erweitern und um dem Publikum nicht die Überraschung auf das Kommende zu nehmen, schließt sich erst einmal der Vorhang und verdeckt den Blick. In riesigen Lettern steht „Pure Fucking Metal“ geschrieben. Arch Enemy trete ich heute jungfräulich entgegen. Ich habe in meinem Leben vielleicht zwei Songs von ihnen gehört und das auch noch eher unaufmerksam. Ich kenne weder den Werdegang, noch ab welchem Zeitpunkt Angela Gossow als Leadsängerin beitrat, zurücktrat und von Alissa White-Gluz ersetzt wurde. Was ich aber weiß, ist die Tatsache, dass beide Ladies Arenen in Grund und Boden growlen. Female Fronted Metal nennt sich das scheinbar. Es könnte mich nicht weniger interessieren. Alissa wurde in den letzten 10 Jahren als Stilfigur dieser „Band-Variante“ des Öfteren hervorgehoben. Vielen bleibt dabei unbekannt, dass selbst in der oft elitären Black Metal-Szene mit „Onielar“ von „Darkened Nocturn Slaughtercult“ eine Dame seit über 20 Jahren in unnachahmlicher Weise dem Teufel huldigt. Ich bin nun einfach gespannt, ob Arch Enemy mit dem starken Auftakt von Soilwork mithalten können. Als Intro „Ace Of Spades“ abzuspielen weckt auf jedenfall das Publikum sofort aus dem Sekundenschlaf und als der Vorhang fällt und Arch Enemy mit „Deceiver, Deceiver“ losbrettern, wird mir schnell klar, dass ich hier einiges verpasst habe über die Jahre. Absolut tight wird hier nach vorne gebrettert und Alyssa reißt die Halle sofort mit. Bei Arch Enemy ist im Vergleich zu Soilwork oder auch In Flames kein Platz für klaren Gesang. Alyssa´s Stimme bekommen wir nur zu hören, wenn sie sich ans Publikum wendet, um dieses zu mehr Bewegung anzutreiben. Zu „House Of Mirrors“ brechen die ersten Moshpits auf, jede Menge Nebel wird ins Publikum geblasen und binnen weniger Minuten stehe ich in diesem gefühlten, undurchsichtigen Schlachtfeld voller sich bewegender Körper, das ich so sehr liebe bei Metal-Konzerten. Crowd-Surfer fliegen durch die Reihen, Junge und Alte rammen sich in den Pits durch die Gegend und alles wird unterlegt durch „War Eternal“. Perfekt. Ich kenne keinen Song, doch das Niveau der Songs hält sich das komplette Set durch. Es gibt keinen Moment sich ein Bier zu holen oder auszutreten, ohne das Gefühl zu haben, ich verpasse ein paar Minuten der Party und später werde ich mit halbgaren Erzählungen abgespeist. Den Abschluss hauen uns Arch Enemy mit „Nemesis“ um die Ohren und das Publikum dreht erneut richtig auf. Die erwünschte Wall of Death fällt leider nur sehr klein aus, weil die Halle durch diverse Wellenbrecher abgetrennt ist. Die Zeiten, als man bei Heaven Shall Burn im Circle Pit durch die komplette Arena rennen konnte, sind leider vorbei. Dennoch bieten uns Arch Enemy einen beeindrucken Abschluss eines extrem imposanten Auftritts, der nicht ausschließlich, doch bedeutend durch die charismatische, antreibende Ausstrahlung und kraftvollen Growls von Alyssa im Gedächtnis bleiben wird. Und bevor das hier zu kurz kommt – Michael Amott und Jeff Loomis untermalen Alyssas´ stimmliche Gewalt perfekt mit ihren brutalen Riffs und melodischen Solis. Da habe ich noch ordentlichen Nachholbedarf und werde definitiv in die Discographie eintauchen.
In Flames bedeuteten vor mittlerweile fast 20 Jahren eine Offenbarung für mich. Es gibt keinen Song von den Göteborgern, den ich nicht mag. Auch die Wandlung, weg vom stilprägenden Melodic-Death Metal der Anfangszeit hin zu Modern Metal Elementen habe ich wohlwollend aufgesogen. Die Anlage in meinem ersten Auto wurde permanent mit sich ständig wechselnden gebrannten Best-Of CD´s von In Flames bis zum Anschlag gequält. Der allererste Song, den ich damals von einem Freund zu hören bekam, ist auch der Opener des heutigen Auftritts.
Ebenfalls hinter einem Vorhang werden verschiedene Intros von In Flames Klassikern angespielt. Das Publikum ist kurz vor dem Siedepunkt, da es sich gefühlt ewig hinzieht bis Anders Fridén das Leiden unterbricht und uns fragt, ob wir „Fuckin´ready“ sind. In tosendem Gebrüll fällt der Vorhang und „Cloud Connected“ eröffnet die Show. Und – Leck mich am Arsch – der Sound ist so unglaublich fett. Die Bass-Drum prügelt durch den ganzen Körper und die Gitarren von Björn Gelotte und Chris Broderick sägen sich brutal durch die Bass-Mauer von Liam Wilson. Es gibt von Beginn an keinen statischen Moment. Der letzte Akkord von „Cloud Connected“ bildet sogleich den Beginn von „Take This Life“. Ich erlebe mich selbst komplett stillstehend, starrend und überwältigt von dieser gewaltigen Intensität. Die Bühne an sich ist sehr reduziert, es braucht keine Stageprops, nur unzählige LED-Strahler/Leisten/Wände an allen Ecken.
Vor Beginn von „Deliver Us“ gibt Anders zu verstehen, dass ihm hier noch zu wenig Bewegung im Raum ist und Hamburg das viel besser gemacht hat. Ein markerschütterndes Raunen geht durch die Schleyer-Halle und sofort tun sich diverse Pits auf. Ich stehe übrigens immer noch nur starrend vor der Bühne und habe Gänsehaut. Ich kann mich bis auf Scooter nicht darauf besinnen, schon mal so einen fetten Sound in der Schleyer-Halle gehört zu haben. Ich spüre jeden Song, jeden Ton in meinem Körper und lasse mich von In Flames wegfegen. Als sie den „Trigger“ auslösen, gibt es auch auf den Sitzplätzen kein Halten mehr und mit dem darauffolgenden „Only For The Weak“ erlebt die Arena ihren Härtetest am heutigen Abend, als von links nach rechts, vorne und hinten alle beginnen zu springen. Der Boden bebt und die PA ist gefühlt bis zum Anschlag aufgedreht. Auch das darauffolgende „Meet Your Maker“ kommt so dermaßen energiegeladen daher, an jeder Ecke der Schleyer-Halle findet eine Party statt und treibt wiederum die Band an von einer Bühnenseite zur anderen zu sprinten und dem Publikum zu danken. Man könnte hier nicht mehr deuten, wer eigentlich mehr Spaß hat und In Flames drehen die Stimmung immer weiter nach oben. Mit der damals stilverändernden und von vielen Fans enttäuschend aufgenommenen Platte „A Sense Of Purpose“ hat sich bei In Flames in manchen Teilen die Spreu vom Weizen getrennt, doch wenn heute der Hit der Platte „Mirrors Truth“ angekündigt wird, drängt spürbar jeder noch mal ein Stück näher an die Bühne, um Teil der Fete zu sein. Und das Ende beschert uns nochmal ein absolutes Highlight und In Flames pur.
Mit „My Sweet Shadow“ setzen sie ein letztes Mal alles in Brand und schließen mit dem Opener Cloud Connected den 2000er-Jahre-Bogen um eine Top Setlist, die mit totaler Hingabe präsentiert wurde.