ART BRUT, 26.09.2024, Manufaktur, Schorndorf
Und da ist sie wieder, die Diskussion über Für und Wider von Vorbands. Gerade haben Pet Needs aus Colchester ihre gut halbstündige Show abgezogen, da stoßen konträre Meinungen in unserer Runde hart aufeinander. War dies nun eine abgezockte, mit allzu gefälligen (Punk-)Rock-Posen durchsetzte Show, oder war es ein perfekter Warmup-Gig, der keine große musikalische Einstiegshürde geboten hat und mit Energie und Witz das manchmal ja ein wenig statische Manufaktur-Publikum auf Betriebstemperatur gebracht hat? Ich sehe über den etwas prolligen Punkrock hinweg und vergebe Sympathiepunkte für die Truppe um die Brüder Johnny und George Marriott; der kritische Art-Brut-Fan neben mir zweifelt hingegen an der musikalischen Zurechnungsfähigkeit von Eddie Argos, der Pet Needs explizit als Vorband eingeladen hat.
Egal, beschäftigen wir uns lieber mit der viel wichtigere Frage: Wie gut sind Art Brut gealtert, die wir das letzte Mal vor 13 Jahren gesehen haben? Und vor allem: Wie schlagen Sie sich im direkten Vergleich mit den vor einer guten Woche an selber Stelle aufgetretenen The Wedding Present?
Von der Band, mit der Eddie Argos 2011 im Schocken aufgetreten ist, ist niemand mehr dabei. Das soll sich im Laufe des Abends aber keinesfalls als Nachteil erweisen, denn die Musiker:innen erweisen sich allesamt als solide Live-Performer und mit Jascha Kreft an der Gitarre, den wir von Odd Couple und Kadavar kennen, ist sogar ein uns bekanntes Gesicht dabei.
Wenn die Präsentation eines (weiteren) Best-Of-Albums ansteht, muss ja auch niemand befürchten, lange mit bisher Ungehörtem herausgefordert zu werden, bevor die ersehnten Hits gespielt werden. Und so gestaltet sich der Abend tatsächlich sehr erfreulich, mit einem guten Touch Nostalgie. Argos, der (wie die meisten von uns, der Rezensent nicht ausgenommen) in den letzten Jahren etwas an körperlicher Präsenz gewonnen hat, besticht aber weiterhin mit seinem jugendlichen Charme und spitzzüngigem Humor. Er zitiert die Vorband, die immer wieder gelobt hatte, wie toll es hier in „Schornberg“ sei, ist dann aber sichtlich irritiert, als ihm ein Fan zuruft, dass sie – also Art Brut – hier in Schorndorf ja schonmal gespielt hätten. Er kann sich daran partout nicht erinnern, und wir ehrlich gesagt auch nicht.
Sei’s drum, er startet mit „Pump Up The Volume“ in seinen markanten Sprechgesang und ist wenig später bei „St. Pauli“ mit der Mitgröhl-Zeile „Punk Rock ist nicht tot!“. Fan, was willst du mehr? Die Band agiert tight und spielfreudig, die Setlist ist gefällig, aber nicht anbiedernd und der Sound mal wieder vom Feinsten. Alles Zutaten für ein perfektes Konzert. Argos unterbricht den Flow immer mal wieder für längere Plaudereien, erzählt, dass Deutschland Schuld daran sei, dass sie ihre Titel live immer sehr ausdehnen, da man hier halt 90-Minuten-Konzerte haben wolle. Er baut eine kleine Q&A-Session an der Bühnenkante ein, in der er spontan Fan-Fragen beantwortet, die dann aber von einem Gast mit der Frage, wann denn eigentlich der nächste Song gespielt werde, beendet wird.
Hier hat Argos plötzlich Lust auf „Modern Art“ und spielt den als letzte Zugabe geplanten Song in der Mega-Extended-Version mit langer Erzählung und Ausflug ins Publikum. Es ist exakt der gleiche Ablauf und die gleichen Pointen wie anno 2011 im Schocken, kurz fühle ich mich wie in einer Zeitschleife. Und da er sich eh schon von der Setlist freigemacht hat, schiebt er den Song-Wunsch des lokalen Veranstalters ein: „Rusty Guns of Milan“. Sie seien sich einig gewesen, dass dies wohl einer der ganz wenigen Rocks-Songs über erektile Dysfunktion sei und eigentlich mal wieder gespielt werden müsste. Und tatsächlich hat sich die Band beim Soundcheck den Song draufgeschafft und wird ihn nun für den Rest der Tour spielen. Und jedes Mal zum Dank „Wörner“ widmen.
Natürlich stehen auch seine Hits „Emily Kane“, „Bad Weekend“ und „Formed a Band“ auf dem Programm. Und nach gut 90 Minuten (Sic!) dürften alle Art-Brut-Fans auf ihre Kosten gekommen sein.
Wenn ich jetzt den zweiten Gig der „Britischen-Schrammelgitarren-Wochen“ in der Manufaktur mit dem Gig von The Wedding Present vergleiche, sehe ich einen Punktsieg bei David Gedge. So unterhaltsam und fröhlich der Abend mit Eddie Argos war, was die musikalische Präsenz und Intensität betrifft, hat The Wedding Present das – auf den gesamten Abend betrachtet – mitreißendere Konzert geliefert. Aber diese Betrachtung ist nun wirklich ein Luxusproblem. Denn wann und wo hat man überhaupt mal die Möglichkeit, sich mit solchen Themen zu beschäftigen, wenn nicht in der Manu.