DUB IN THE JUNGLE III, 21.09.2024, NorDIY, Stuttgart

Ihr erinnert euch? Vor gut einem Jahr haben wir vom Rollout des kommunalen Soundsystems berichtet, dieser Monsteranlage für Tiefbass und brachialen Sound, die von der Dub- und Drum’n’Bass-Community inzwischen nach ihrem verstorbenen Erbauer „King Crucial Soundsystem“ genannt wird. Damals alles ganz offiziell mit Honoratioren vom Kulturamt und der Kulturregion Stuttgart, die das Gerät sogar zum Vehikel der „regionalen Daseinsvorsorge“ erhoben. Aber schon dort war uns klar, dass dieses Soundsystem in die Wildnis entlassen und in den richtigen Händen ein Garant für eine mächtige Party sein würde. Und bei den Reggae- und Dub-Spezialisten des Railroad Records Teams ist es das definitiv. Bereits zum dritten (und leider auch letzten Mal) hat das rührige Offbeat-Kollektiv die Krach-Schrankwand in den Dschungel geschleppt. Oder – um es genauer zu sagen – in ein kleines Wäldchen im Brachland hinter den Wagenhallen, wo Stuttgarts Skater-Community in jahrelanger Eigenleistung ein unfassbar schönes Refugium der Skater-Kultur geschaffen hat.

Eine Oase, die man lange Zeit nur hinter vorgehaltener Hand als „Secret Location“ zugeraunt bekam, die inzwischen aber fast jeder als NorDIY kennt. Und es ist der DIY-Geist an diesem magischen Ort, der die Jungle-Events zu einem beeindruckenden Statement dafür macht, wie cool das als bieder belächelte Stuttgart tatsächlich ist. Würde man mit verbundenen Augen an diesem Ort abgesetzt, könnte man sich genauso in London, Paris, New York oder Kingston wähnen.

Das wirklich Faszinierende ist aber nicht nur, dass sich hier mit Skaten und Dub zwei Subkulturen zu einem Event vereinigen, die musikalisch gar nicht so große Schnittmengen haben, sondern dass sich zum Jungle-Dub eine überaus bunte Mischung von Leuten sämtlichen Alters, Herkunft und aller denkbaren Subkulturen zum friedlichen, unkommerziellen Feiern versammelt haben.

Während die Skater und Skaterinnen unter Flutlicht in den Beton-Bowles ihre faszinierenden, teilweise waghalsigen Kunststücke vollführen (und sich vielleicht über die vielen Zuschauer und Bewunderer freuen), ziehen in der DJ-Hütte die Railroad Records Jungs sämtliche Register des jamaikanischen Offbeat-Sounds. Von traditionellen Ska-Nummern über Roots Reggae, bis hin zu Dub-Steppern und Dancehall-Bangern liefern Sie alles, was dazu dient, das sich im Laufe des Abends immer enger drängende „Massive“ in Bewegung zu halten. Natürlich wird dazu stilecht in Patois getoastet, besonders populäre Tracks werden mit einem „Rewind“ zweimal gestartet. Kurzum, alles, was den passionierten Reggae-Fan begeistert, aber auch Party People mitnimmt, die diese Art von Performance vielleicht noch nie gehört und gesehen haben. Und als wenn das noch nicht genug wäre, begleiten die Querflötistin Piya Zawa und der Trompeter Jerfi B einzelne Tracks mit Livemusik. Wie in einem Jazz-Club würdigt die Crowd – völlig zu Recht – jedes ihrer Soli mit großem Jubel, um sich danach wieder wohlig vom Bass massieren zu lassen.

Und so schön das alles ist, es hängt eine ganz dunkle Wolke über diesem lauen Sommerabend: die sogenannte „Interimsoper“. Denn es ist nicht nur die Container-City mit dem Contain’t und der Neuen Schachtel, die dem Interimsbau der Staatsoper Platz machen müssen, auch das NorDIY wird noch dieses Jahr abgerissen. Es ist schon eine Ironie, dass ausgerechnet die weit über die Stadt heraus strahlenden Keimzellen der Stuttgarter Off-Kultur der „Hochkultur“ weichen müssen. Es gibt zwar inzwischen zwischen Cannstatt und Untertürkheim Ersatzflächen, ob auf diesen allerdings ein ähnlich wirkungsvoller Kultur-Ort geschaffen werden kann, ist noch fraglich, zumal es mit VfB und Daimler eine Konkurrenz um Teile dieser Flächen zu geben scheint. Dass ein „Dub in the Jungle“ dort jemals stattfinden wird, ist jedenfalls aktuell schwer vorstellbar. Und deshalb wird heute Nacht gefeiert, als wenn es das letzte Mal wäre.

Wer allerdings Spaß gefunden hat an Dub und Soundsystemen, der sei darauf hingewiesen, dass es in Stuttgart weitere Gelegenheiten gibt, der Tiefbass-Musik zu huldigen. Neben dem Altmeister Jah Schulz, dem Soundsystem Flying Dubmen aus Heslach und der Rootikal Radio Show & Sessions ist auch das Railroad Records Kollektiv weiterhin aktiv. Und zwar am 4.10. mit dem Digital Steppaz Soundsystem aus Freiburg im Kulturbunker und am 12.10. zur Feier von „25 Jahren Waggons“.