VICKY LEANDROS, 12.09.2024, Liederhalle, Stuttgart

VICKY LEANDROS, 12.09.2024, Liederhalle, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Das Konzert von Nina Chuba war gerade vorbei, der Schlussapplaus verklungen, das Hallenlicht an und die Securitykräfte hatten schon das weiß-rote Absperrband in den Händen, da ertönte aus den Boxen Vicky Leandros‘ Hit aus dem Jahr 1975, „Ich liebe das Leben“. Dabei passierte etwas, das ich nicht unbedingt erwartet hatte – ein Großteil des noch anwesenden Publikums, dessen Durchschnittsalter bei ca. 18-20 Jahren war, sang den Refrain mit.

Das Lied kenne ich natürlich, ich bin mit SDR1 musikalisch sozialisiert worden, was zu dem immer wieder auftretenden Phänomen führt, dass ich bei Liedern – meist natürlich beim jeweiligen Refrain – mich als textsicher erweise, die bei vielen anderen Personen eher Stirnrunzeln hervorrufen. Dieser erhöhte Radio-Konsum in den 80er Jahren auf der einen Seite und das geringe spätere Interesse an derselben Musik auf der anderen, führte wiederum dazu, dass ich Vicky Leandros, Caterina Valente, Gitte Haenning, Mireille Mathieu, Nana Mouskouri, Wencke Myhre, Marianne Rosenberg und Juliane Werding nicht sonderlich gut auseinanderhalten kann. Was sie alle eint, ist das Zusammenbringen einer tollen Gesangsstimme mit Liedgut, welches den damals aktuellen BRD-Alltag meistens nicht mit unbequemen Themen und Fragen aus dem Wirtschaftswunder-Schweigen herausriss.

VICKY LEANDROS, 12.09.2024, Liederhalle, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
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In diese Kategorie lassen sich auch Titel von Vicky Leandros einsortieren, die sie im Hegelsaal der Liederhalle auf ihrer Abschiedstournee zum Besten gibt, wie z.B. ihre beiden Grand-Prix-Beiträge für Luxemburg „Après toi“ und „L’amour est bleu“ . Aber so einfach wie im letzten Abschnitt lassen sich einige Lieder dann doch nicht in die Schublade „Seichtes Liedgut“ packen. Natürlich ist das weit weg von avantgardistischer Musik, welche die Musikwelt in eine neue Ära katapultierte. Aber was Melodien angeht, sind einige Lieder Leandros’, von denen viele von ihrem Vater geschrieben wurden, nicht zu verachten. Die meist stattliche Instrumentierung von Schlagern in den 50er bis 70er Jahren leistet dazu ihren positiven Beitrag. So wird Vicky Leandros auch an diesem Abend von einer vorzüglichen Band begleitet, die drei Streicher*innen, Schlagzeug, Bass, zwei Gitarristen und den musikalischen Leiter am Piano umfasst. Die sind perfekt darauf abgestimmt, Leandros den Raum zu geben, den sie für ihre Stimme braucht. Und diese ist für ihre 72 Jahre durchaus hörenswert. Bei über zwei Stunden Programm nimmt sie sich immer wieder kleine Pausen und nutzt diese, um ihre Stimme mit Wasser, Kaffee aus der Thermoskanne und Konzentration bei Kräften zu halten, was ihr auch gelingt.

VICKY LEANDROS, 12.09.2024, Liederhalle, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
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Und was ist mit dem Inhalt der Lieder? Bei „So wie ich bin“ wird klar, dass das Unkonkrete und Andeutungen zentral sind, sodass es auf die eigene Interpretation ankommt bzw. wahrscheinlich das gehört wird, was gehört werden will. Auf der einen Seite der klassische Wunsch nach einer Beziehung zu einem anderen Menschen, den das Herz lieben wird. Aber eben auch: „Ich liebe die Freiheit“ und „Du wirst mich nicht ändern“. Auch „Ich liebe das Leben“ hat die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit vom Status einer Beziehung zum Thema, was hoffentlich auch die Komponente des Lieds ist, die das Publikum von Nina Chuba aus diesem Song heraushört.

So leitet Vicky Leandros also durch die Stationen ihrer Karriere und scheint mit sich im Reinen und vor allem am Ende sehr gerührt zu sein, als das Publikum die Refrains von „Ich liebe Das Leben“ und „Theo, wir fahren nach Łódź“ im Stehen mitsingt und mitklatscht. Diese Fernseh-Schlager-Mitklatsch-Mentalität finde ich im Kern schlimm und verhindert in meinen Augen eine angemessenere Präsentation von Musik, die an manchen Stellen zwar seicht, an vielen aber auch wahnsinnig schön ist und auch auf diese Art Menschen berührt – und was kann man dagegen schon sagen?

VICKY LEANDROS, 12.09.2024, Liederhalle, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
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