DREADSKIN KICK BOX, JAH SCHULZ, 15.09.2024, Trude, Stuttgart
In der schwierigen Situation für Livemusik in Stuttgart gibt es hin und wieder – zumindest in den musikalischen Nischen – auch Lichtblicke. Einer davon ist die Bar Trude, die sich nicht nur zu einem beliebten Treff für Jugendliche aller Altersklassen entwickelt hat, sondern hin und wieder auch ungewöhnliche Live-Konzerte und DJ Sets präsentiert. Neben den Trude-Punk-Abenden ist das „DKB Special“ inzwischen eine gut etablierte Konzertreihe, die einmal monatlich am Sonntagnachmittag bei freiem Eintritt stattfindet. Clever: Ein Termin-Slot, bei dem man sich garantiert nicht in Konkurrenz zu anderen Konzerten befindet und die unersättliche Konzertblase zu einem geschmeidigen Wochenausklang vom Sofa locken kann.
Das Konzept ist eben so simpel wie überzeugend: Der Ska- und Rocksteady-Haudegen Josi Dreadskin – ihr kennt ihn von unserem Bericht aus dem Ritterstüble – lädt sich jedes Mal neue Musiker:innen aus Stuttgart ein und improvisiert in einer gut vierstündigen Session in deren und seinen Lieblings-Genres. Das Ganze mit Unterstützung eines lokalen DJs, der in den Musikerpausen kongeniales Vinyl auflegt.
Die Kombination an diesem Sonntag ist allerdings eine ganz besondere. Mit Jah Schulz hat sich Josi einen Vertreter vom anderen Ende des Offbeat-Universums eingeladen. Schulz, der auf internationalen Festivals vor Menschenmengen spielt, hier aber weiterhin in seiner musikalischen Ecke nur Fans bekannt ist, hat sich dem Dub verschrieben, dieser mit elektronischen Mitteln dekonstruierten, tonnenschwer basslastigen Musik, die in Teilen auf Reggae aufbaut. Dreadskin hingegen kommt von den Wurzeln der jamaikanischen Musik, nämlich Ska und Rocksteady, aus denen der Reggae überhaupt erst entstanden ist.
Nicht nur aus musiktheoretischer Sicht ist dies ein besonders interessantes Gipfeltreffen, auch die Tatsache, dass zwei gestandene Solo-Musiker ihres jeweiligen Genres aufeinandertreffen, lässt uns rätseln, ob wir eher eine Battle oder eine Synthese aus beiden Stilrichtungen zu hören bekommen. Dass die beiden zum ersten Mal aufeinandertreffen und die Session ohne jegliche Probe startet, erhöht die Spannung noch mehr. Und dass sich anfangs nur ein gutes Dutzend Zuschauer:innen eingefunden hat, hält Fiedler sogar für einen Vorteil, da man so ohne Druck experimentieren könne.
Eine gemeinsame Setlist, je zur Hälfte aus Dreadskin- und Schulz-Tracks, ist durchnummeriert und durch wechselseitiges Ansagen einer Nummer wird der jeweils andere überrascht und herausgefordert. Und das funktioniert von Beginn an erstaunlich gut. Das gemeinsame Reggae-Fundament ist offensichtlich solide genug, den anfangs etwas wackligen, dann aber immer tighter werdenden Konstrukt aus harter Offbeat-Gitarre und dubiosen elektronischen Effektgeräten zu tragen. Für Dreadskin ein klarer Gewinn, dass er den Riddim nicht immer mit seiner Kickbox produzieren muss, sondern diese von Schulz in bisher nicht gekannter Tiefe und Volumen geliefert bekommt. Dafür hat er mehr Zeit für das „Toasten“, den jamaikanischen Sprechgesang.
Josis Partnerin und Mitmusikerin Li bekommt in diesem Setup eine überraschend wichtige Rolle. Immer wenn das Ganze zu gitarrenlastig zu werden droht, steuert sie mit Harmonika oder Mini-Synthie die für den Dub so wichtigen Melodie-Schnipsel ein, die von Schulz live verarbeitet werden und die beiden Welten zusammenfügen. Die Impro-Sets sind immer eine gute halbe Stunde lang, dann hat DJ Joe Whirlypop die Gelegenheit, selten gehörte Offbeat-Scheiben aus seiner Plattensammlung zu präsentieren. Schön, dass während des gesamten Gigs die Fenster offen stehen, sodass Vorüberflanierende ebenso in den Genuss des Events kommen, wie weitere Trude-Gäste, die draußen einen vergleichsweise lauen Sonntagnachmittag genießen.
Mit jedem weiteren Set wird die Darbietung dynamischer und lustiger. Dass Schulz mit einem Mikro die Monitor-Box abnimmt und das Signal – mit Effekten verstärkt – wieder in den Gesamtsound einspeist, führt immer wieder zu Schmunzeln und Stirnrunzeln auf beiden Seiten. Im Gegenzug wird er von Josi Dreadskin in bisher nicht bekannte und im Dub unübliche Tempi trieben. Kurzum: Ein für alle Beteiligten intensives Erlebnis mit dem schönen Gefühl, an einer einmaligen, so nicht wiederholbaren Session teilzuhaben. Inzwischen ist die Trude auch gut gefüllt und die Chefin geht im besten Moment mit einem echten (!) Klingelbeutel durch die Reihen, um die Kollekte einzutreiben.
Vielleicht ist ja jetzt der eine oder die andere neugierig geworden. Denen seien hiermit die nächsten Termine des DKB Special empfohlen: 20.10., 17.11. und 15.12. Wer den Dub-Spezialisten Michael Fiedler näher kennenlernen möchte, hat am kommenden Montag, den 23.09. im Rahmen der Montage-Reihe dazu die Gelegenheit. Dort wird Fiedler sein neuestes Projekt „Ghost Dubs“ vorstellen, das aktuell von der internationalen Musik-Presse in den höchsten Tönen gelobt wird. Und am 05. Dezember gibt es Ghost Dubs dann auch live im Kulturbunker.
Das war einer dieser Abenden, bei denen man nicht weiß, soll man sich aufraffen oder nicht.
Man geht schließlich hin und erlebt phänomenales Improkonzert der Extraklasse.
Kommt in die Top 5 der besten Konzerte 2024.
Super Bilder, schöner Bericht!
Vielen Dank!