PETER FOX, 09.09.2024, Schleyerhalle, Stuttgart
Ein paar Dschungel-Geräusche vom Band wabern noch durch die sehr volle Halle und dann fällt der schwarze Vorhang vor der Bühne und gibt den Blick auf Peter Fox frei. Der Berliner setzt ab heute Abend, nach einem Sommer mit vielen Gigs im Freien, seine Tour in den großen Hallen fort.
LOVE SONGS steht über einer hohen schwarzen Wand in leuchtenden Neonbuchstaben. So heißt auch sein letztjähriges Album, auf dem genau diese Schrift auch auf dem Cover zu sehen ist. Der Song „Toast“ ist da nicht drauf, sondern später als Single erschienen, und der Opener des heutigen Abends.
Die Bühne hat drei Stockwerke: Das „Erdgeschoss“ ist meistens Peter Fox und seinem Backup-MC und -Sänger Bensh vorbehalten, der zuvor als Support-Act mit Songs über Berlin, lose Zweierbeziehungen und seelische Gesundheit schon eine überzeugende poppig-soulige Bandbreite präsentiert hat.
Auf der nächsten Ebene, Hochparterre quasi, stehen Sängerinnen und Band und darüber im ersten Obergeschoss sind mindestens 50 Tänzer*innen zu sehen. Ach, wahrscheinlich sind es fast 100, aber dazu später noch mehr. Es ist jedenfalls ein ganz schönes Getümmel da vorne.
Auf der Bühne mit der Crew, himmelblauer Anzug und die Menge am Schreien.
Peter Foxs Anzug ist heute nicht himmelblau und auch kein Anzug, stattdessen trägt er ein dunkelblaues Kurzarmhemd über weißem Netz-Longsleeve, dunkelblaue Hose, Turnschuhe. Die braucht er auch, denn er ist eigentlich ständig in Bewegung: Kleine Choreografien gemeinsam mit Bensh und den Backing Vocal-Sängerinnen Kiyomi und Toni inklusive. Die beiden Ladies in den großgemusterten Tracksuits ziehen den ganzen Abend eh immer wieder die Blicke auf sich. Und wenn die Band aus Keyboards, Bass, Gitarre, Drums und Elektronik noch nicht genug Druck macht – und das macht sie aber sowas von! – wirbeln sie noch jede ein Paar Schlagbleche in Manier der Amerikanischen Marching Bands herum.
Bei „Vergessen wie“ spielt Peter Fox dann noch auf einem elektronischen Drum-Pad und wir sind erst beim zweiten Lied! „Ein Auge blau“ folgt – das sehr viele, sehr gute Licht ist immer perfekt auf die Songs abgestimmt. Ein bisschen wirkt die Bühne dank dieser phänomenalen Beleuchtung wie ein kristallklarer Riesen-HD-Fernseher. Der hervorragende Sound funktioniert sogar in der „guten alten Schleyerhalle“ perfekt. „Die wird auch immer schöner,“ frotzelt Fox, der sicher schon mehr als einmal in fünfundzwanzig Bühnenjahren – als Teil von Seeed oder solo – hier aufgetreten ist. Trotzdem oder grade wegen dieser Erfahrung, bleibt er während der ganzen Show immer im Austausch mit der Technik und fordert hier „bisschen mehr Hihats“ und da „mehr Drums“ auf seinem In Ear-Monitoring ein.
Nach meinem Lieblings-Song „Weiße Fahnen“, fragt er, wer denn wegen den alten Songs hier sei? (Das erste Peter Fox Solo-Album „Stadtaffe“ ist tatsächlich schon vor 16 Jahren rausgekommen.) „Kopf verloren“ und „Lok auf 2 Beinen“ sind die erste Oldie-Kombi, aber beide ordentlich für 2024 gepimpt und super druckvoll gespielt.
Danach geht’s basslastig mit der Berlin-Hymne „Schwarz zu Blau“ weiter. Und hey, Peter Fox! Berlin ist vielleicht die Hauptstadt, aber die Mutterstadt ist es definitiv nicht, da müssen wir in Stuttgart leider streng sein! Zu „Augenbling“ und „Disney“ wird weitergegroovt. Adriano Celentano, Feature-Gast auf dem Album-Track, kommt zu „Toscana Fanboys“ logischerweise mit seinen 86 Jahren nicht mal eben auf die Bühne in Stuttgart.
Jetzt setzt sich Peter Fox alleine ans E-Piano und sinniert kurz darüber, dass der Herbst da ist und wir das alle nicht so mögen. Die kuschlige Version von „Hale Bopp“, dem ersten Seeed-Song des Abends, wärmt die Herzen der Rocksteady-Queens und Rude Boys prima auf. Auf Seeeds „Ticket“ folgt „Gegengift“ in Kombination mit „Game Over“ von Bensh. Der Endzeit-Song gibt Anlass für eine Ansage, die zwar nicht unmittelbar das politische Geschehen kommentiert, aber doch den Wunsch, dass wir alle nicht so viel motzen und meckern, sondern mehr zusammenhalten sollen.
Es muss ja nicht gleich die perfekt deprimierende Insta-Welt wie bei „Regen in Dubai“ sein, zu dem im Bühnenhintergrund ein stilisierter Wolkenkratzer zu sehen ist. Zum Seeed-Track „Lass sie gehen“ nimmt der Dancehall-Zug dann wieder sehr deutlich an Fahrt auf und es folgt eine wilde Remix-Runde mit Beats von Timbaland und Amapiano-Sounds und und und.
Vor allem wird jetzt getanzt! Wie zu Beginn schon erwähnt ist der ganze obere Bereich des Bühnenaufbaus mit vielen Gästen besetzt, die sich für diesen Abend als Tänzer*innen beworben haben. Angeleitet vom Tanz-, Artist-, und Kreativkollektiv M.I.K. Family werden hier während den ganzen neunzig Showminuten immer neue Hip Hop-Choreografien gezeigt, aber es tanzt auch wie im Club jede*r für sich. Die „echten“ M.I.K.-Member zeigen Modern Dance, Pop-Locking, Akrobatik und Break Dance (ohne Känguru-Sprünge) vom Feinsten. Zu dieser riesigen „Stage Fam“ gibt es noch vermeintlich spontane Nachrücker aus dem Publikum. Aber beim Schwätzchen mit Peter stellt sich dann doch raus, dass die meisten zumindest halb-professionell regelmäßig vor Publikum tanzen. Trotzdem, oder gerade deswegen wirkt diese Performance fröhlich und entspannt, als wären alle gerade erst von der Straße reingekommen und eben nicht aus der Tanzschule. Eine große Freude „nicht so auf Broadway-Basis sondern for real for real“, for real! Tanzen macht das Leben schöner und das Peter Fox-Konzert sowieso!
Der Remix-Reigen schließt sich mit „Tuff Cookie“ und einem absoluten Killer-Übergang zu „Schüttel deinen Speck“ von Seeed. Und an dieser Stelle fällt mir tatsächlich noch was auf, das fehlt an diesem übervollen Abend: Die Bläser-Sektion! Blechblasinstrumente gibt es bei Peter Fox nur vom Band. Aber wie gesagt, bis hier hin hatte ich das noch nicht mal bemerkt.
Mit einem zu Beginn unplugged mehrstimmig eingesungenen „Zukunft Pink“ – wenn du mich fragst, wird alles gut mein Kind – endet der Hauptkonzertteil mit einem „FUTURE IS NOW“-Banner-Drop und gereckten Fäusten. Für die Zugabe kommen die zwischenzeitlich abmontierten LOVE SONGS-Buchstaben wieder oben auf die Bühne und eine Downtempo-Version von „Stadtaffe“ mit sehr viel Bass an den Start.
„Alles neu“ beginnt mit ein bisschen Call and Response mit dem sehr zufriedenen Publikum und in schönstem „Schwarz-zu-Blau“-Blau scheint dies erstmal der letzte Song des Abends gewesen zu sein? Aber ein Peter Fox-Konzert ohne „Haus am See“? Man blickt sich irgendwie ratlos um, auch wenn schon klar ist, dass er selbst kein Fan des Hits mehr ist. Charmant gelöst wird dieses Dilemma, in dem der Sänger sich ganz vorne am Bühnenrand auf eine Box setzt, nur unterstützt von Keyboard und Backing Vocals und das Publikum singt einfach selbst.
Alles is bunt, laut und blinkt – ein wuchtiges Konzert, liebevoll und (bass-)laut, war diese Show. Die Party ist gelungen, wir sind (zum Glück nicht) taub und blind. Das Herz und der Kopf sind am Ende voller positiver Vibes und wir kommen jederzeit gerne wieder, um mit dem Popstar Peter Fox zu feiern!