OPETH, GREEN LUNG, 05.08.2024, Batschkapp, Frankfurt
Klar ist nach diesem Abend: Um der musikalischen Grandezza von Opeth gerecht zu werden, bedürfte es nicht nur eines weitaus begabteren und klügeren Berichterstatters. Nein, der Konzertbericht sollte auch mit einer (vom Vogel freiwillig gespendeten) Gänsefeder von dem oder der amtierenden Weltmeister*in im Schönschreiben geschrieben sein, auf schwerstem Papier natürlich. In dem, was sie erschaffen haben und weiterhin erschaffen, sind Opeth wahrscheinlich eine der bedeutendsten Metal- und Progrockbands der Gegenwart. Dafür fahren wir natürlich auch nach Frankfurt, in die ausverkaufte Batschkapp.
Sollte es tatsächlich noch Leute geben, die das Bild des Bürgerschrecks „Heavy Metal Fan“ haben, würde ich ihnen die selbstorganisierte Menschenschlange vor der Batschkapp zeigen. Unendlich lang, kein Gedränge, kein Gemaule, jung und alt in diszipliniertester Vorfreude. Unfassbar viele, unterschiedliche Opeth T-Shirts werden getragen. Ziemlich häufig fällt mir aber auch das Gojira Bandlogo auf. Nun ja, nach dem Auftritt bei der Olympia-Zeremonie auch kein Wunder. Als verspätetes Geburtstagsgeschenk lese ich erst paar Stunden vorher, dass die großartigen Green Lung den Support geben werden. Deren letztes Album „The Heathen Land“ mag ich sehr, und der Song „Maxine“ schaffte es sogar in meine Top Songs des Jahres 2023.
Kurz vor Acht beginnt die britische Band mit dem so energischen wie enorm eingägigen „Forest Church“ ihren Slot. Doomige Riffs, der recht hohe und prägnante Gesang Tom Templars und die Orgelklänge, die mal bratzig, mal sinister klingen, fallen als Erstes auf. Es ist schön zu sehen, wie verhalten das Publikum die ersten Minuten noch ist. Danach scheinen aber Minute um Minute mehr Groschen zu fallen, und die Begeisterung steigt. Green Lung machen es einem aber auch nicht schwer. Die Songs sind sowohl kompakt als auch mit interessanten Arrangements und Parts versehen. Die Melodien sind gelungen, die Refrains teils richtige Hits. Engagierte und gleichzeitg unaufdringliche Bühnenausstrahlung sorgen für Sympathie. Die meisterhaften Gitarrensoli von Scott Black, die sich nie in die Länge ziehen, schaden auch nicht vor einem Publikum, das als Opeth-Fans mit instrumentalem Können durchaus umzugehen weiß.
Die halbe Stunde bestätigt meine hohen Erwartungen an die Band. Für mich sind Green Lung so etwas wie die Ghost des doomigen Okkultrocks. Keine Scheu vor unwiderstehlichen Melodien und der großen, rein musikalischen, Pose. Das Leben ist zu kurz, um einen geilen Refrain auszulassen. Bei einer anderen Konstellation hätte ich etwas Angst um den Hauptact gehabt, aber hier… Volle Punktzahl, und ich freue mich auf eine Headlinershow von Green Lung irgendwo, irgendwann, und möglichst bald.
Opeths musikalische Phasen kann man ja ganz grob in zwei Phasen beurteilen. Die erste, als Mastermind Mikael Åkerfeldt noch Deathgrowls einsetzte, und die Phase nach dem Album „Heritage“, als nunmehr nur noch klar gesungen wurde. Claus berichtete 2011 von einem Opeth-Konzert direkt nach dieser „Bruchstelle“. Auf dem diesjährigen Wacken-Festival wenige Tage zuvor hingegen durften Fans die Setlist bestimmen. Und wie das so oft bei Rockbands ist: die Leute bevorzugen das alte Zeug. Dementsprechend gespannt bin ich, wie das heute Abend aussehen wird, da die Band den Ruf hat, für Überraschungen in der Songauswahl gut zu sein. Und das neue Album erscheint ja erst im Oktober.
Kurz vor 21 Uhr gehen die Lichter aus und „The Grand Conjuration“ von 2005 ist der Opener. Der Sound ist von Anfang an sehr gut, was bei dieser Art von Musik essenziell ist. Auch bei den lauten Parts, in denen Mikael sein gutturales Geschrei von sich gibt, bleibt immer alles klar, ausdifferenziert. Für mich als Opeth-Novizen klingt das auf Anhieb sehr beeindruckend. Und tatsächlich ergeht es mir im Laufe des Konzerts wie damals bei Tool. Schon vorher ein Fan, schnall ich aber erst bei der Live-Darbietung die Genialität der Musik.
Mit „Demon Of The Fall“ folgt ein noch älteres Stück mit growligem Gesang. Heftig, intensiv, aber nie eintönig. Als danach mit „Eternal Rains Will Come“ ein neueres Stück aus 2014, also aus ihrer deutlich dem Progrock zugewandteren Phase kommt, bin ich erstmal erstaunt, wie nahtlos der Song in das bisher eher brutalere Set sich einfügt. Plötzlich dominierende Keyboard-, Orgel- und Mellotronsounds statt harter Gitarren? Kein Problem! Opeth haben tatsächlich so etwas wie einen ganz eigenen Sound, der immer nach ihnen klingt, obwohl ihre Musik wirklich über enorme Spannbreiten verfügt. Das folgende über 10-minütige „The Drapery Falls“ aus dem Meisterwerk „Blackwater Park“ unterstreicht dies nochmal nachdrücklich. Growls und Klargesang, leise Akustikpassagen und harte Gitarren, Tempiwechsel, alles fügt sich zusammen, meisterhaft arrangiert.
In kompletten Kontrast zur oft großen Melancholie und manchmal auch Düsternis der Songs stehen Åkerfeldts Ansagen. Extrem charmant und humorvoll, während die Paul Reed Smith Gitarren gestimmt werden wollen, spielt er sich die Bälle mit dem Publikum zu. Wir kommen sogar in den Genuss einer das Original würdigenden wie eigene Akzente setzenden Coverversion von Napalm Deaths „You Suffer“.
Die Band verfügt über Musiker mit meisterlichen Fähigkeiten an ihren Instrumenten. Und bei manchen Progbands kann das manchmal in langen, sehr langen, bzw. zu langen Soloeskapaden münden. Bei Opeth steht tatsächlich der Song ganz im Vordergrund, und trotzdem kann jeder Instrumentalist scheinen, weil die Musik Raum lässt. Wahrscheinlich auch ein Grund, weshalb ich mich immer noch schwertue, die Frühphase Opeths als Death Metal zu bezeichnen. Beispiel? Nach den wunderbar getragenen „In My Time Of Need“ und „Face Of Melinda“ folgt mit „Heir Apparent“ ein harter Metalsong, der aber nie die erschlagende Dichte von Death Metal hat. Zumindest in my book ist das Progmetal mit etwas derbem Gesang.
Negative Konnotationen? Es ist warm und eng. Wie es halt so ist, wenn ein ausverkauftes Konzert im Sommer stattfindet. Ansonsten kann ich mich nur an wenige Konzerte erinnern, die gar keinen Durchhänger hatten. Die beiden letzten Stücke vor der Zugabe „Ghost Of Perdition“ und „Sorceress“ halten problemlos das bisherige Niveau. Aber das hätte jeder andere Song aus der Bandgeschichte auch. Eine der bedeutendsten Bands der Gegenwart verabschiedet sich nach einem beeindruckendem Konzert mit dem 14-minütigen „Deliverance“ von einem restlos begeisterten Publikum. Opeth sind musikalischer Adel, der gerne unguillotiniert bleiben darf.
Danke für diesen hervorragenden Bericht.
Eine kleine Sache muss man vielleicht noch erwähnen: Drei Tage vor dem Konzert veröffentlichten Opeth eine neue Single. Diese deutet darauf hin, dass das kommende Album „The Last Will & Testament“ das erste seit 16 Jahren sein wird, auf dem gegrowlt wird. Was das für die Musik von Opeth im Ganzen bedeutet wird sich im Oktober entscheiden, wenn das Album erscheint.