AL-QASAR, VEEBLE, Sommerfestival der Kulturen, 19.07.2024, Marktplatz, Stuttgart
Endlich wieder Sommerfestival der Kulturen auf dem Stuttgarter Marktplatz – bereits zum 21. Mal veranstaltet vom rührigen Forum der Kulturen, dem Dachverband der Migrantenvereine in Stuttgart.
Wer das nicht kennt, hat was verpasst, nicht nur wegen der grandiosen Sommer-Atmosphäre im erfreulich bunten Stuttgart, sondern auch wegen des beständig hochkarätigen Bookings, buchstäblich mit Musik aus aller Welt – heute gerne als „Global Beats“ firmierend. Amtliches Motto: „Vielfalt feiern. Vielfalt verteidigen.“ Yeah!
Das zuletzt wichtigste Plattenlabel aus diesem Marktsegment heißt Glitterbeat, und über die Jahre durfte man beim Festival schon so erfolgreiche Glitterbeat-Bands wie Tamikrest und Baba Zula erleben. Zum Auftakt der 2024er Ausgabe stehen als Hauptact deren aktuell vielleicht spannendste Band Al-Qasar auf der Bühne vor dem Rathaus.
Was mich jedes Jahr aufs Neue grinsen lässt, ist, wenn ich mir vorstelle, wie die AFD-Dullis am Fenster ihrer Büros im Rathaus stehen und feststellen dürfen, wie bunt, international, party- und tanzwütig, divers und weltoffen die Schwabenmetropole eben ist. By the way, wie sähe eigentlich das Kulturprogramm der Dumpfdeutschen aus? Rammstein, Gabalier, Schuhplattler?
Um wie viel besser ist das Programm des noch bis Mittwoch laufenden Free-Festivals, das ausführliche Konzerte unterschiedlichster Genres in feinstem Sound präsentiert. Dazu gibt’s kulinarische Leckereien der Migrantenvereine und eine reibungslose Bierversorgung durch engagierte Ehrenamtliche – genau so muss das laufen.
Den Auftakt am Freitag mit der italienischen Band Veeble verpassen wir leider zum größeren Teil, das Finale ist aber schon Mal super: Mit Witz, Charme und Drive wird tief aus dem Herzen von unterschiedlichen Weltmusiken geschöpft und beherzt kulturell angeeignet: Reggae, Cumbia, Balkanbeat und als Zugabe dann eine Brass-Version von House Of Pains HipHop-Klassiker „Jump Around“, was das motivierte Publikum jeden Alters dann auch entfesselt tut.
Die vierköpfige, international besetzte Band Al-Qasar aus Paris setzt dagegen nicht auf Party-Vibe, sondern fusioniert nahöstliche und nordafrikanische Grooves mit psychedelischem Vibe, teils ganz schon heavy, düster und hypnotisch. Auf Platte funktioniert das hervorragend, das 2022er Album „Who Are We?“ bei Glitterbeat lebt von dunkler Atmosphäre und harten, spacigen Rockgrooves und hat mit Jello Biafra (Dead Kennedys) und Lee Ranaldo (Sonic Youth) auch zwei prominente Gäste an Bord. Sie selbst nennen ihren Sound „Arabian Fuzz“ – das passt.
Auf der Festivalbühne spielen Al-Qasar zu viert: Gitarrist Thomas Attar Bellier ist Amerikaner, der Drummer kommt aus Armenien, der Bassist aus Frankreich und die Sängerin aus der Türkei. Ihr Middle Eastern Psych-Rock ist durchaus ambitioniert und auch ein bisschen abstrakt, weshalb der Funke beim partyorientierten Publikum (wirklichen jeden Alters übrigens) anfangs noch nicht so richtig überspringen will. Man groovt sich aber ein und die charmante und stimmgewaltige Sängerin bekommt das Publikum dann mit vielsprachigen Ansagen doch in den Griff.
Der Bassist mit reichlich Fuzz im Sound könnte auch bei jeder Stoner-Band mitspielen, die nachhaltigsten Akzente kommen aber von Bandchef Bellier mit seiner messerscharfen elektrischen Saz. Die Lightshow wird vom Sonnenuntergang und einem knapp vorbeiziehenden Gewitter illustriert, die Schwüle lässt einen beim Konzert viel mehr in Cairo oder Beirut vermuten als im beschaulichen Stuttgart.
War also ein perfekter Auftakt für ein wunderbares Festival. Checkt das weitere Programm, es gibt noch reichlich Perlen zu entdecken. Und bitte kommt ohne Verräterbier, die tolle Veranstaltung finanziert sich nämlich durch Getränkeverkauf, Tombola und ganz viel ehrenamtliches Herzblut.
Hätte gerne hier auch die Setlist des Konzertes gelesen.
Überraschend und eine Entdeckung war das DEPESCHE MODE Cover „Personal Jesus“ mit der türkischen Sängerin. Warum nahm die Band AL-QASAR den Klassiker in ihr Repertoire auf? Unter den türkischen Hardlinern dürfte die Frontfrau gequälte Schweißausbrüche verursachen.
Es war ein toller Auftritt der Kapelle aus vier Ländern.