LAIBACH, 04.07.2024, Manufaktur, Schorndorf

LAIBACH, 04.07.2024, Manufaktur, Schorndorf | Foto: Claus Kullak
Foto: Claus Kullak

Mehr als 35 Jahre nach meinem ersten Kontakt mit Laibach soll es nun tatsächlich stattfinden: mein erstes Laibach-Konzert! Ich erinnere mich sehr gut, wie wir Ende der 1980er aus dem Kommunalen Kino stolperten, wo wir den Film „Pobjeda pod Suncem / Victory Under The Sun“ gesehen hatten. Ebenso fasziniert wie verstört. Letzteres in erster Linie deshalb, weil es damals noch nicht wirklich klar war, wo die Band mit ihrer exzessiven Verwendung totalitärer Symbolik tatsächlich steht. Heute sind Laibach und die Neue Slowenische Kunst (NSK) längst etabliert, als politisch unverfänglich einsortiert und im Bildungskanon angekommen.

Für mich als Laibach-Konzert-Neuling ist es dennoch etwas befremdlich, im Publikum ein paar Fans zu sehen, die sich die ambivalente Band-Symbolik zu eigen gemacht haben. Ein Mädel in BDM-Styling sehe ich, aber auch ein paar Fans in Loden mit der ikonischen Armbinde mit dem Malewitsch-Kreuz.

Anlass der Mini-Tour ist das Re-Issue des 1987er Albums „Opus Dei“, das auch mein erster Tonträger der slowenischen Band war. Schon das Konzert-Warmup ist herausfordernd. Das Drum-Intro des „Live is Life“-Originals hämmert in unendlicher Wiederholung auf die Wartenden ein, auf der Bühnenrückwand ist in strenger Symmetrie das Porträt von Sänger Milan Fras zu sehen, das dem Album-Cover entnommen ist.

LAIBACH, 04.07.2024, Manufaktur, Schorndorf | Foto: Claus Kullak
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Doch das Konzert fängt mitnichten mit Titeln von „Opus Dei“ an. Es wird – wie sich später herausstellt – in zwei Hälften geteilt sein. Und das erste Set beinhaltet (zur Freude der mich begleitenden beinharten Laibach-Fans) vornehmlich Tracks aus dem Frühwerk der Band. Es beginnt mit „Vier Personen“ vom 1986er-Album „Nova Akropola“, es folgen u.a. „Država“, das auch im oben genannten Film vorkam und „Brat Moj“, das ebenfalls vom Debut-Album „Laibach“ stammt. Das Ganze illustriert mit Visuals, die aus stark verfremdeten Schnipseln aus jugoslawischer Tito-Propaganda, Leni-Riefenstahl-Filmen und anderen bildstarken Quellen montiert sind. Dazu eine opulente Lightshow, ein knackiger und lang nicht so lauter Sound, wie befürchtet. Das ist ein fast immersives Erlebnis, in dem Sänger Milan Fras und Sängerin Marina Mårtensson zuerst eher zurückhaltend agieren. Mit dem DAF-Cover (bzw. in Laibach-Sprech, dem „Neuen Original“) „Alle gegen Alle“ endet das erste Set.

LAIBACH, 04.07.2024, Manufaktur, Schorndorf | Foto: Claus Kullak
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Und während auf der Rückwand ein 15-Minuten-Countdown herunterzählt und die Inschrift, dass sie danach „vielleicht“ wieder zurückkämen, Hoffnung auf mehr macht, setzt zur Überbrückung wieder der gnadenlose Drum-Loop von vorher ein.

Die zweite Runde beginnt dann tatsächlich mit „Leben heißt Leben“ und löst endlich das Opus-Intro auf, während sich auf dem Backdrop das an John Heartfields Montage angelehnte Hakenkreuz aus Henkersbeilen dreht. Dann wird tatsächlich fast das gesamte Album gespielt, wenn auch in leicht veränderter Reihenfolge. Das bedrückende Queen-Cover „Geburt einer Nation“ ebenso wie das feierliche „The Great Seal“ mit der berühmten Churchill-Rede, das mit passendem Bildmaterial unterlegt wird. Das Set endet mit „Opus Dei / Live is Live“. Und ganz ehrlich, in Zeiten, in denen in Europa das Erstarken von Nationalismus, Post- und Neo-Faschisten unübersehbar geworden ist, ist dieses Opus zeitgemäßer denn je und kann gar nicht anders als ein Statement dagegen gesehen werden.

LAIBACH, 04.07.2024, Manufaktur, Schorndorf | Foto: Claus Kullak
Foto: Claus Kullak

In der Zugabe setzt die Band einen harten Kontrast mit einer ultra-kitschigen Version des Foreigner-Schmachtfetzens „I Want To Know What Love Is“. Vor einem quietschbunten Comic-Hintergrund in der Pixel-Ästhetik ihres Videos „Love is Still Alive“. Wie in einer Karikatur einer Pop-Show animieren die Frontleute das Publikum zum Mitsingen und Mitklatschen, was sie dann wiederum live von der Bühne filmen und auf die Rückwand projizieren. Das ist Pop auf der Meta-Ebene. Und wenn ich mich den ganzen Abend mit dem Gedanken beschäftigt hatte, ob alles andere nicht auch nur pure Oberfläche ohne jegliche Substanz ist und wir hier vielleicht nur Scharlatanen auf den Leim gehen, haben die Künstler noch einen Coup vorbereitet:

Das eben noch selig schwelgende Publikum wird in der euphorisch herbeigeklatschten zweiten Zugabe mit einer ultrafinsteren Version des eh schon sinistren Billie-Holiday-Songs „Strange Fruit“ konfrontiert. Und die ganze bunte Scheinwelt bricht spätestens dann zusammen, als dazu in grausamer Langsamkeit und Deutlichkeit apokalyptische Bilder aus Kriegsgebieten eingeblendet werden. Aus Gaza, Charkiw oder Damaskus? Es ist nicht klar zu erkennen. Aber eines wird klar: Das Grauen und das Leid sind global und universell. Und eigentlich haben Laibach nicht anderes getan, als uns den ganzen Abend vorzuführen, wie es dazu kommen konnte.

LAIBACH, 04.07.2024, Manufaktur, Schorndorf | Foto: Claus Kullak
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2 Gedanken zu „LAIBACH, 04.07.2024, Manufaktur, Schorndorf

  • 8. Juli 2024 um 16:30 Uhr
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    Danke für den Bericht, welcher das Ganze gut einfängt. Es war wirklich ein intensives Konzert (von dem ich immer noch bedauere, das erste Set praktisch »verpasst« zu haben, weil ich aufs Fotografieren konzentriert war). Laibach sind verstörend – sie machen verstörende Sachen mit ihrer Songauswahl, ihren Hooklines, ihrer Präsentation, ihrer Videoprojektion. Am stärksten trifft das sicherlich zu, wenn wir ein romantisch wirkendes Stück mit Bildern von Misshandlungen untermalt bekommen; oder umgekehrt: Churchills Kriegsrede mit spielenden und badenden Kindern. Da gewinnt „we shall fight them on the beaches“ eine ganz neue Ebene. Ihr seht mich immer noch be-eindruckt.

  • 10. Juli 2024 um 10:41 Uhr
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    „Und wenn ich mich den ganzen Abend mit dem Gedanken beschäftigt hatte, ob alles andere nicht auch nur pure Oberfläche ohne jegliche Substanz ist und wir hier vielleicht nur Scharlatanen auf den Leim gehen (…)

    Das frage ich mich jedesmal und habe Spaß an dem Gedanken, dass es so sein könnte. Ich schätze Laibachs Uneindeutigkeit. Auch das ist – gerade in diesen Tagen – ein Spiegel unserer Welt.

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