SBÄM FEST, 31.05.-01.06.2024, Im Wizemann, Stuttgart

„Ach, damals hat es doch die ganze Zeit geregnet“ wird man wohl sehr lange noch sagen, wenn es um den Mai und Juni 2024 in Stuttgart geht. Die Flüsse traten über die Ufer, es war unangenehm kalt, und ich konnte mich kaum vom heimischen Sofa aufraffen. Daher komme leider erst zu den letzten Klängen von Bad Religions „21st Century Digital Boy“ in der Version des wunderbaren Uli Sailor am Punkrock-Piano am Im Wizemann an. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur vorbringen, dass seine Show – und die von Silent Trouble – ursprünglich auf einer Bühne im Hof stattfinden sollte, aber dann doch im Foyer stattfand.

Aber beginnen wir von vorn: Das Sbäm Fest, das seit vielen Jahren im 360 Kilometer entfernten Schlachthof in Wels (kurz vor Linz, wie ihr sicherlich wisst!) in Österreich stattfindet, hat erstmals einen Zwilling in Stuttgart bekommen. Die „Germany Edition“ darf sich über die größtenteils gleichen Punkbands freuen, wie die längst etablierte „Austria Edition“. Außer Musik gibt es eine riesige Merch-Area, spitzenmäßiges veganes Essen von Super Jami und Lecko Mio-Pizza und die Getränke werden zügig von der hauseigenen Gastro serviert.

Der Freitag beim Sbäm Fest Stuttgart

Der Nachmittag startet mit Local Heroes: Bike Age spielen heute als Erste. Der äußerst umtriebige Dave Collide, der seine feuerroten Haare wunderbar mit der Scratchplate seiner Gitarre abgestimmt hat, weiß auch nicht mehr so genau, wann und ob überhaupt die Stuttgarter Combo in diesem Jahr zusammen live gespielt hat. Doch das beeinträchtigt die Performance keineswegs. Ebenso wenig wie der ganz kurze Auftritt von Jessi, die leider bis zum Samstag die einzige weiblich gelesene Person auf der Sbäm-Bühne bleiben wird. Diesen unangenehmen Zustand hatte ich natürlich anhand des Line-Ups nicht anders erwartet, aber es ärgert mich dann doch! Punk Rockers, das muss besser werden! Es muss nicht jedes Festival ein Leuchtfeuer der Diversität sein, wie das (zeitgleich stattfindende) Maifeld Derby oder das About Pop Festival, aber eben doch! (Meine Meinung.)

Bike Age machen jedenfalls Freude und gig-blog wäre nicht gig-blog, wenn trotz Abwesenheit des angemeldeten Fotografen nicht doch wenigstens Smartphone-Fotos von dieser halbstündigen Show von einem anderen gig-blog-Bildlieferanten geben würde! Danke Sascha!

Von der Show von Minus Youth haben wir aber heute leider keine Fotos für dich. Ist das jetzt schon Hardcore aus New York oder doch „nur“ Stuttgart? Die fünf Jungs reißen mal kurz alles ab. Das Publikum ist wild entschlossen dabei und auch Sänger Denis teilt sich vorne an der Stage Barrier das Mic mit einer jungen Frau aus dem Publikum. Ob das ganz spontan war, weiß ich nicht, aber wie sich später rausstellt, kann man sich Sabrina Chaparro und ihre Hardcore Band Defiance sehr bald im Juha West anschauen. Es gibt also doch weibliche Hoffnung für Hardcore! Hallelujah!

Ganz klar: Bei der Abschaffung des Patriarchats hat diese Szene noch einiges vor sich, aber Gefühle zeigen funktioniert längst. Auch in Muay Thai-Boxer-Shorts und mit komplett voll tätowiertem Körper. Männer dürfen es anderen sagen, wenn es ihnen schlecht geht und zur Therapie gehen sowieso, erklärt Gitarrist Tom dem Publikum aufrichtig und aus eigener Erfahrung und erntet dafür viel Applaus.

Hell & Back – wir sind immer noch bei den Locals – trauen danach der ausladend großen Bühne in der Halle nicht so ganz, spielen aber trotzdem ordentlich Einen raus. Das Publikum formt währenddessen einen Circle Pit um eine der Säulen vor der Bühne. Be Well aus Baltimore bringen ein Bühnenbanner mit Rabe und viel emotionalen Hardcore mit. Der Bandname ist auch hier Programm: Wir müssen gut auf andere und uns selbst achten. Und sei es nur, dass wirklich jede Band, die beim Sbäm Fest im Club spielt, genau im Blick hat, dass es am Eingang stets etwas enger zu geht, als im restlichen Raum und die Menschen gebeten werden, sich besser zu verteilen.

NOFNOG begeistern das Publikum von der Mainstage aus mühelos. Jerome Lüchinger, ist Schlagzeuger und Leadsänger der Schweizer Formation, hat einen richtigen Knochenjob. Die drei Mitmusiker geben auch alles und moderieren zwischendurch auf Schwyzerdytsch. Gig-Blog Fotograf Ralph erklärt mir auf Nachfrage (nicht wegen Mansplaining!), warum die große Bühne genau richtig groß ist: Der Radius einer Punkband ist einfach anders, als das was man bei einem Popkonzert sieht. Hat man als Gitarrist*in am Ende der Show keinen halben Marathonlauf mit mehreren Luftsprüngen hinter sich, gilt es eigentlich nicht.

Straight-Edge-Melodic-Hardcore von One Step Closer mit Frontmann Ryan Savitski sind als Nächstes auf der Bühne. Sie sind und sehen wahnsinnig jung aus. Ihr neues Album „All You Embrace“ ist ebenfalls frisch aus der Taufe gehoben und gerade mal zwei Wochen alt. „The Reach“ von 2019 wird ebenso gefeiert wie das gesamte, super überzeugende Set. Die Satanic Surfers aus Schweden stehen seit schlappen 25 Jahren auf der Bühne und das Posing geht jetzt sehr deutlich in Richtung Metal. Ihr roter Signature-Teufel lacht verschmitzt vom Banner hinterm Schlagzeug, die Fans feiern und surfen auf der Crowd.

Letztlich ist es aber völlig egal wer wie alt jemand ist – einige Familien mit Kindern sind übrigens auch im Publikum – denn bei H20 sitzt inzwischen der Sohn von Frontman Toby Morse am Schlagzeug. Gitarrist Rusty Pistachio bekommt ein bisschen was ab, weil er angeblich die älteste Person auf dem ganzen Event ist, aber er trägt es mit Fassung. Bitte mal melden, wer zum ersten Mal da ist und wer das alle schon „a billion f**** times“ gesehen hat? Dass der H2O-Banger „5 Yrs. Plan“ den ein oder anderen vor der Bühne musikalisch durch emotional schwere Zeiten getragen hat, wird beim frenetischen Mitsingen deutlich. Der kurz angespielte „Waiting Room“ von Fugazi geht sowieso immer. Die Freude im Publikum ist riesig.

Danach haben es die almighty Sick Of It All auf der Mainstage aus meiner Sicht relativ schwer gegen die Energie anzukommen, die im Club gerade zu spüren war. Die Koller-Brüder und der Rest der Band sind natürlich von der ersten Sekunde an unheimlich routiniert am Start, aber einige Besucher*innen müssen wohl kurz Luft holen. Ich frage mich für mich still, was eigentlich aus dem Typen geworden ist, der damals als ich mit 13 Jahren in der Eishalle in Freiburg Schlittschuhlaufen war immer die SOIA-College-Jacke anhatte (Wenn du das liest, ich bin immer noch in dich verknallt!)? Und in welchem Jahr habe ich meine erste Wall of Death in diesem Rahmen gesehen? Sehr zufrieden gehe ich dann nach Hause, während sich die mitgröhlende Pit in der Im Wizemann-Halle noch fröhlich weiter dreht.

Der Samstag beim Sbäm Fest Stuttgart (leider ohne Fotograf)

North Alone eröffnen den zweiten Festivaltag im Wizemann-Foyer, denn es regnet ununterbrochen weiter. Ein Festival, bei dem niemand wirklich länger vor die Tür muss? Im Nachhinein ein ganz schöner Glücksfall und wer gar nicht anders kann, findet im Innenhof des Klinkerbaus in Cannstatt schon noch eine kleine Pfütze zum Reintreten.

Zystem (so lokal, dass ein Viertel der Band sogar Mitarbeiter des Hauses ist) eröffnen den Punk-Reigen im Club. Die wackeren Frühaufsteher*innen unter den Festivalgänger*innen sind dabei und allen tut der gewohnte Krach mit politischen Texten sichtlich gut. Der Kater kann jetzt gern verschwinden!

Alle Stuttgarter Cool Cats wissen es längst: An Berlin 2.0 kommt in Stuttgart und um Stuttgart rum aktuell niemand mehr vorbei. Ich beneide jede Person aufrichtig, die hier und heute das erste Mal in den Live-Genuss der Band um Sängerin Ele kommt. Sie ist an Tag Zwei die insgesamt zweite Frau, die beim Stuttgarter Sbäm Fest auf der Bühne steht und ihr Hinweis, dass ein Shirt mit „Smash the Patriarchy“ erst was bringt, wenn man gegenüber seinen Geschlechtsgenossen auch mal den Mund aufmacht, wenn es drauf ankommt (im kleinen Kreis nämlich) geht mir genauso gut runter wie die grandiosen Songs auf „Scherbenhügel“.

Pogendroblem mit Schlagzeugerin Benta im Hammerhead-Shirt, Lauritz am Bass im Glitzerbody und Sänger Georg im bauchfreien Top sind sicher der mit Abstand zeitgeistigste Act im gesamten Line-Up (Frieder an der Gitarre sieht natürlich auch super aus!). Und wenn das Publikum erstmal Sicherheitsabstand hält, bringt es nichts, denn dann geht’s halt über die Absperrung direkt rein in die Menge. „Hallo, guten Tag, warst du gestern auch schon da?“ aus „Wie betäubst du dich?“ holt die Nicht-Straight-Edge-Fraktion in der Halle sehr gut ab. Das macht wirklich Freude anzusehen und wird Anfang Dezember im Komma Esslingen ganz bestimmt nochmal wiederholt! (Infos zum Event tba)

Mir gelingt es leider nicht, mehr Kraft als bis zur Show von Not On Tour zu mobilisieren. Die gut gelaunte Sängerin Sima und ihre Punkband aus Israel sind sehr gewillt, das Publikum wieder betrunken zu machen, auch wenn ganz kurz Verwirrung darüber herrscht, ab welchem Alter der Konsum von Jägermeister in Deutschland legal ist.

Mad Caddies, Bracket und Goldfinger machen den prallgefüllten Punk-Rock-Sack am Samstag dann ganz zu. Danke Sbäm Fest! It was a blast!

Satanic Surfers

NOFNOG

One Step Closer

Sick Of It All

Be Well

H2O

Hell & Back

Bike Age