GÜNER KÜNIER, ORGANISATION, FARAVAZ, NEYKID, STAATSOPER STUTTGART, FUTURE FRANZ, 18.05.2024, About Pop Festival, Stuttgart

FUTURE FRANZ, 18.05.2024, About Pop Club Festival, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Allein die Überschrift zu meinem zweiten Festival-Tag sagt eigentlich alles. Hatte ich am Freitag noch die enorme Vielfalt gelobt, stellt der Club-Samstag das alles locker in den Schatten. Nur die Älteren unter uns können sich an das letzte Clubfestival in Stuttgart erinnern und das war winzig, gemessen an dem Spektrum, das die About Pop dieses Jahr in Stuttgart und der Region anbietet. Auf dem Fahrrad unterwegs, habe ich eine ambitionierte, aber machbare Route zusammengestellt. Und es geht ganz entspannt im Park der Villa Reitzenstein los, der sich erst kürzlich als wunderbare Konzertlocation qualifiziert hat. Dass das Clubfestival dann sogar vom Hausherrn, dem Ministerpräsidenten und seinem Kulturstaatssekretär persönlich eröffnet wird, ist dann aber doch ein starkes Zeichen. (Staatssekretär Arne Braun ist übrigens einer der stärksten Unterstützer der About Pop und des Dialog-Formats Popländ. Das haben wir gestern bei der Eröffnung erfahren. Ihm verdanken wir viel.)

FUTURE FRANZ, 18.05.2024, About Pop Club Festival, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Größer könnte der Kontrast nicht sein als zwischen Kretschmanns staatstragenden Seriosität und der skurrilen Slackerhaftigkeit des Kornwestheimers Future Franz. Der hat mit seinen klamaukigen Halb-Playback-Songs zwischen Schlager und Pop das sich wohlig in der Sonne räkelnde Publikum sofort im Griff. Neben einigen Songs von seinem neuen Album „Magic“ (das sich für Schwaben auf „lätschig“ reimt) und seinen Hits „Feuerwerk“ und „Raucher“ hat er sogar noch ein Überraschungs-Duett mit Charlotte Brandi im Programm, die später ebenfalls im Park spielen wird.

STAATSOPER STUTTGART, 18.05.2024, About Pop Club Festival, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Ich habe es angekündigt: Dieser Tag ist von harten Kontrasten geprägt. Die Besucherschar flaniert durch den Park von der Aussichtswiese in den Rosengarten und wird dort erwartet von einigen Ensemble-Mitgliedern der Staatsoper Stuttgart. (Man verzeihe mir, dass ich die Namen nicht präsent habe. Jede:r von ihnen eine Wahnsinns-Stimme.) Begleitet von einem Pianisten und umrahmt von einer ebenso kurzweiligen wie lehrreichen Moderation werden Arien und andere Gesangsparts aus berühmten Bühnenstücken zum Besten gegeben. Ich kenne keines davon, bin aber zutiefst beeindruckt, dass die Sänger:innen ohne jede technische Verstärkung mal locker den ganzen Garten beschallen. Der Brückenschlag von der U- zur E-Kultur, der tags zuvor noch bei der Eröffnungsveranstaltung angesprochen wurde, hier ist er Realität.

Der nächste Punkt auf meiner persönlichen „Club-Tour“ führt mich in die Stadtbibliothek, wo die mongolische Jazz-Musikern Enji einen unfassbar eindrucksvollen Auftritt in Stuttgart „most instagrammable spot“ hat, dem großen Büchersaal. Von der Kollegin Britta hier wunderbar beschrieben.

Neykid, 18.05.2024, About Pop Club Festival, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Weiter geht es zurück in den Osten, ins alt-erwürdige Laboratorium. Mit dem Songwriter Neykid hat man einen ganz jungen, aufstrebenden Musiker aus der Region gebucht und es stellt sich die Frage, verjüngt sich damit auch das Lab-Publikum? Ja, das tut es! Und es fühlt sich wunderbar an, in diesem Traditionsladen endlich mal einen Altersschnitt von Mitte Zwanzig vorzufinden. Dazu einen Musiker, der einerseits noch erfrischend unroutiniert ist, andererseits eine sehr markante Stimme und einige Songs mit Hitpotential mitbringt. Und dass er das Publikum zu Sing-Alongs bewegen kann, sagt ja schon alles. (Und zwar nicht bloß „La la la“, sondern eine komplette nicht ganz einfache Songzeile). Eine echte Entdeckung für mich. Seine Ankündigung, dass er beim Esslinger Parklücke Openair mit kompletter Band antreten werde, lässt mich gleich den Kalender zücken. Der 19. Juli ist markiert.

Faravaz, 18.05.2024, About Pop Club Festival, Stuttgart | Foto: Holger Vogt
Foto: Holger Vogt

Wir hatten es gerade noch von Kontrasten, oder? Ich bleibe im Laboratorium und bin gespannt auf Faravaz, eine iranische Sängerin mit klaren Botschaften. Sie hat eine bewegende Geschichte zu erzählen. Für das Singen kam sie im Iran ein Jahr ins Gefängnis, seit ihrer Flucht nach Europa nutzt sie ihre Kunst, um die Stimme zu erheben für die unterdrückten Frauen im Iran, gegen das Mullah-Regime und gegen die Repression durch Männer im Allgemeinen. Und dies tut sie mit drastischen Mitteln. Musikalisch mischt sie persische Melodien mit Rap, Elektro oder auch Drum & Bass. Musikalisch, textlich und visuell ist sie der leibhaftig gewordene Alptraum religiöser Fanatiker.

Man kann sich locker ausmalen, dass Faravaz mit dieser Art von politischer Stellungnahme viel riskiert und ihr eine Rückkehr in ihre Heimat für immer verwehrt ist. Eine mutige Frau, die großen Respekt, zustimmende Begeisterung, aber auch betroffenes Schweigen beim Lab-Publikum auslöst. Das hat übrigens nach dem Verlassen der Neykid-Fans wieder zu seinem üblichen Altersschnitt zurückgefunden. Sehr schade, dass sich die Jungen diesen eindrucksvollen Auftritt haben entgehen lassen.

Organisation, 18.05.2024, About Pop Club Festival, Stuttgart | Foto: Martin Schniz
Foto: Martin Schniz

Auf der Rad-Etappe zum Kulturbunker komme ich in einen Mega-Gewitterschauer, sodass ich den Hype um AUGN nicht selbst in Augenschein nehmen kann, sondern erstmal nach Hause abbiegen muss. Frisch trockengelegt komme ich in der Rampe an, wo ich eigentlich Güner Künier sehen will, aber gerade noch Organisation zugange sind. Harter Elektropunk stampft aus dem Nebenraum, alles ist in rotes Licht gehüllt, tropische Temperaturen und der Odeur eines lang nicht mehr gelüfteten Jugendzimmers empfangen mich. Alle sind ekstatisch am Tanzen und mir wird klar, dass ich hier etwas verpasst habe. Wahrlich harte Kontraste heute!

Güner Künier, 18.05.2024, About Pop Club Festival, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Die Berlinerin Güner Künier schließt dann musikalisch durchaus passend an Organisation an. Bei ihr kommen schwere DAF’sche Elektrobeats aus der Konserve, dazu spielt sie Gitarre und shoutet ihre Botschaften auf Englisch oder Türkisch in den Raum. Auch hier kommt Bewegung ins Publikum, wenn auch lange nicht so wild wie bei ihren Vorgängern. Der Sound ist eine derbe Mischung aus Elektropunk, Noise und Postpunk, die Performance ruppig und schnörkellos. Der Gig ein perfekter Abschluss für einen Tag voller Entdeckungen. Quasi als letzter Gang in einem All-You-Can-Eat-Menü, in dem selbst der gefräßigste Gig-Blogger einige Leckereien liegen lassen muss. Für ein kleines Dessert reicht es aber immer. Und deshalb ziehen wir noch weiter zu DJ Yuriy Gurzhy, der in der White Noise Bar wahrlich schmackhaften „Electro Klezmer meets Funky Shtetl“ serviert. Was für ein Tag!

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