SWEEPING PROMISES, APSILON, ATOMIC LOBSTER, 17.05.2024, About Pop Festival, Im Wizemann, Stuttgart

Die About Pop, das Hochamt der Popkultur, über das wir inzwischen zum vierten Mal berichten, wächst und wächst. Und dieses Jahr sind wir clever, wir wachsen einfach mit. Mit ingesamt 12 Autor:innen und Fotografen verteilen wir uns über die zwei Tage und möglichst viele Locations, um ein einigermaßen umfassendes Bild zu zeichnen. Leider spielt das Wetter überhaupt nicht mit. Aber trotzdem stellen sich sofort die typischen freundlich-entspannten Vibes ein, die ich von keinem anderen Event kenne. Ein superbuntes – wahrlich diverses – Publikum versammelt sich schon recht früh im Wizemann. Schon die offizielle Eröffnung mit einem ergreifenden Überraschungsauftritt der Überfliegerin Soffie mit einer Chorversion ihres TikTok-Hits „Für immer Frühling“ ist ein erstes Highlight. Bevor ich mich jedoch ins Konzertprogramm stürze, gönne ich mir ein Konferenz-Panel.

„Why Not Stuttgart?“ Zu diesem Thema diskutieren der Produzent Paul Heck, der von New York City nach Cannstatt gezogen ist („I love Kaufhalle“), die Moderatorin Kimsy von Reischach, die in London und New York wohnte, bevor sie zurück in die Region Stuttgart kam und Mizi Lee, Koreanerin und Musikerin bei Horizontaler Gentransfer, die in Berlin und Stuttgart lebt. Paul Heck erweist sich als dynamischer Talk-Gast, der das gesamte Publikum einbezieht, dabei von Björn Springorum mit viel Charme im Zaum gehalten wird, damit die Damen auch ihre Episoden platzieren können. Über das ungerecht schlechte Image von Stuttgart, über die unerwiderte Liebe des besten Brezelbäckers, Schorsch Kamerun, die bedrohte Szene am Nordbahnhof und die Kunstakademie. Die ultimative Diagnose liefert aber Paul Heck in einem knappen Statement:

Stuttgart needs more Swabian Swagger!

Mein erster Konzertbesuch gilt Atomic Lobster, den Local Heroes, die ihr taufrisches Debut-Album „Claws“ im Gepäck haben. Sie waren nicht nur auf der SXSW, sie durften auch den Mini-Gig zur About-Pop-Eröffnung spielen. Und es ist sehr schön, dass ihr früher Gig auf dem Open-Air-Gelände P1 trotz Dauerregens von erfreulich vielen Zuschauer:innen gewürdigt wird. (Deren Geduld durch einen ausufernden Soundcheck allerdings ein bisschen strapaziert wird.) Die Songs des Trios um Ella Estrella Tischa bewegen sich zwischen Indie-Pop und Rock und treffen – getragen durch Ellas variantenreiche Stimme – exakt den feinen Grat zwischen Eingängigkeit und einer gewissen Sperrigkeit, die es braucht, um nachhaltig hängenzubleiben. Ein feiner Auftakt.

Von den nächsten Konzerten auf meinem dicht getakteten Plan berichten andere ausführlich, soviel sei aber verraten: Levin Goes Lightly hat mal wieder ein mitreißenden Gig abgeliefert. Für mich einer der besten Gigs des Festivals. Station 17 mit ihrem Sonnenschein-Funk haben ebenfalls gefallen, ein bisschen verliebt habe ich mich aber in die unterkühlt-sperrigen Finninnen Maustetytöt, die im strömenden Regen auf dem P1 begeistert haben. Aber, wie gesagt, da berichten die Kollegen. Für mich steht auf dem „Redaktionsplan“: Apsilon, der Polit-Rapper aus Moabit.

Das Geheimnis der About Pop besteht im äußerst bunten Booking. Jede Band zieht ihre Zielgruppe – und diese mischen sich im Laufe des Tages immer mehr. Junge, bunte Menschen aller Geschlechter und Orientierungen (Fans von Edwin Rosen und Wavvyboi?), in Würde gealterte, konzertgegerbte Schwarzkittel, die vermutlich zu Lebanon Hanover wollen und alles dazwischen. Jetzt im Club: Vorne das Segment der jungen HipHop-Fans, dahinter die Neugierigen und Versprengten der anderen Zielgruppen. Und Arda aka Apsilon lässt sich nicht lange bitten. Nonstop haut er seine Tiraden gegen Rassismus und Nationalismus raus, thematisiert Integrations-Themen („Köfte“) und toxische Männlichkeit („Baba“). Das ist intelligent, authentisch, fernab des genretypischen Mackertums und resoniert enorm bei einer Jugend, die weit politischer ist, als gemeinhin angenommen wird. Dass nahezu alles textsicher mitgesungen wird, ist in diesem Fall ganz besonders erfreulich.

Ein weiteres Merkmal der About Pop: das Festival versteht sich explizit als inklusiv und bietet viele Angebote für behinderte Zuschauer:innen. In diesem Fall eine Gebärdendolmetscherin, die Apsilons Stakkato nicht nur in Echtzeit für Gehörlose übersetzt, sondern auch noch tänzerisch untermalt. Absolut faszinierend! Und ein Gewinn auch für die Hörenden.

Zum überraschenden Ober-Gig des gesamten zweitägigen Festivals wird für mich der Auftritt von Sweeping Promises. Das Vorab-Hören der Alben präsentierte eher konventionellen, etwas zickigen Alternative Rock und hat mich nicht annähernd auf diesen Ausbruch vorbereitet, den das Trio aus Kansas im Studio abliefert. Sängerin und Bassistin Lira Mondal mit Nana-Mouskouri-Brille und biederem Hängekleid, das auch in jeden Gospelchor passen würde, ist eine Energiebombe mit unbezähmbarer Energie und unerwarteter Stimmgewalt.

Bandkollege und Gitarrist Caufield Schnug erreicht bei mir eine 11 auf der bis 10 gehenden Skala für musikalische Nerds. Im ständigen Kampf mit seinem auf die Nasenspitze rutschenden Kassengestell und einer knapp unters Kinn geschürzten Gitarre haut er unfassbar akzentuierte, schräge Licks raus, die zusammen mit Mondals beherztem Bassspiel und einem grundsoliden Drumming, in Nullkommanix das Publikum in euphorische Bewegung bringen.

Während sich vorne ziemlich schnell ein (freundlich-rücksichtsvoller) Moshpit entwickelt, hört man von den Hintenstehenden, dass vom Sound nicht viel ankommt. Selbiger ist vorne brillant, aber die Anlage reicht nicht für den gesamten, schlauchartigen Raum, wenn er richtig voll ist. Hier müsste man eventuell in eine zweite Reihe Lautsprecher investieren.

Über meine weiteren Konzerte von Los Bitchos und Lebanon Hanover werden die Kollegen berichten. Für mich geht nach 10 Stunden ein rundum glücklich machender Festivaltag zu Ende, bei dem es – außer an besserem Wetter – an nichts gefehlt hat. Ein intensives, generationenübergreifendes Familientreffen mit allen Musikliebhaber:innen, das durch eine unheimlich engagierte und immer noch ein bisschen besser werdende Organisation ermöglicht wird. Und das schönste: Dieses Jahr gibt es noch einen kompletten Tag Club-Festival oben drauf!

Sweeping Promises

Apsilon

Atomic Lobster