ANDREAS DORAU, STEFANIE SCHRANK, 16.05.2024, Merlin, Stuttgart
Sieben Jahre sind seit Andreas Doraus letztem Konzert im Merlin vergangen (seine beiden Lesungen seien hier mal ausgeklammert). Jetzt feierte Dorau kürzlich seinen 60ten Geburtstag und ein neues Album „Im Gebüsch“ gibt es auch. Dazwischen liegen drei weitere Alben sowie Bücher, der Mann ist alles andere als untätig.
So wundert es bei diesem Mindset und der, gemessen am Output künstlerischen Rastlosigkeit, kaum, dass er das heutige Konzert tatsächlich verletzt auf einem Barhocker sitzend durchzieht. Kein Zurückstecken. Chapeau. Dorau humpelt mit seinem riesigen Signature DIN A3 Leitz-Ordner unterm Arm pünktlich um 21 Uhr auf die Bühne.
Eine Sehne sei gerissen, gibt er direkt bekannt. Bei seinem Auftritt beim Cologne Popfest Ende April ist das passiert – der Gigblog hat sogar darüber berichtet. Dorau arrangiert sich professionell mit der Situation und direkt beginnt die Show, straff getaktet und ohne Umschweife mit „Auf der Weidenallee“ vom neuen Album – „und die Sorgen verschwinden im Nu“, wie er gleich passend singt. Das angenehm gefüllte Merlin, hundert Leute dürften es sein, ist von Beginn an voll dabei.
Das funktioniert nicht nur wegen Doraus einnehmender Performance, sondern auch wegen seinen Bandkollegen Zwanie Jonson und Tim Lorenz, die ihn sensationell auf der Bühne an Schlagzeug und Elektronik unterstützen. Beide waren auch u.a. an Doraus Produktionen beteiligt, vor allem Drummer Zwanie Jonson, durchaus bekannt aufgrund seiner vielen verschiedenen Mitwirkungen. (Fettes Brot, Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen bis hin zu Fanta 4)
Dorau und Band spielen sich quer durch das Werk, „Die Schande kommt“, „Ab“ oder „Edelstein“ kommen genauso vor wie aktuelle Titel, z.B. „Das ist nur Musik“ in dem er in seiner unverkennbaren, charmant quäkenden Stimme „Das sind nur Worte und Noten, das ist Musik, geschrieben von Idioten, gesungen meist vom Toten“ singt. Musik über Musik. Äußerst Dorau-like und direkt ein weiterer Hit. Alltag bei Hitmaschine Dorau. Es folgt „Ein trauriger Tag“, das wie „Das ist nur Musik“ im Duett mit Stefanie Schrank vorgetragen wird, die heute den Abend als Support-Act eröffnet.
Stefanie Schrank, sonst bekannt als Bassistin und Sängerin der Kölner Band Locas in Love war erst letzten Herbst mit ihrem Soloprojekt im Merlin zu Gast, damals im Rahmen von 20 Jahre Staatsakt, sowohl Doraus als auch Stefanie Schranks/Locas in Love Alben erschienen dort. Die beiden sind also Labelmates. Heute tauscht Stefanie Schrank den Bass mit einem Omnichord und einiger analoger Elektronik und Effektgeräten, die vor ihr ausgebreitet auf einem kleinen Tisch liegen. Die Grundstimmung der Songs ist eher eingekehrt und traurig, sanfte Beats im Hintergrund vermischen sich mit flächigen wie leicht verspulten, quirligen Elektroklängen im Hintergrund. Manchmal leicht verhallt und flimmernd, verträumt. Sad Electronics. Zeitweise gesungen durch einen alten Telefonhörer, herrlich verrauscht. Der Song „Fabrik“ ist weitaus dynamischer und fröhlich krautig treibend. Ihr Song und die gleichnamige EP „Schlachtrufe BRD“, benannt nach dem bekanntem Deutschpunksampler, ist kürzlich zum Record Store Day erschienen. Eine fantastische, auch kritische Hommage an jenen Sampler, der sie als Mädchen „96 im Wohngebiet“ im Enzkreis, ganz hier in der Nähe, mit all der Wut und Langeweile, abgeholt hat. Ein wunderbarer Text mit Bezug zur eigenen Vergangenheit und Sozialisation. Stefanie Schranks halbstündiges Set im Vorprogramm wird stark bejubelt. Später wird sie nochmals auf der Bühne bei Andreas Dorau mitsingen, dessen Konzert man mit großer Freude folgt.
Die eingeschränkte Beweglichkeit Doraus spielt kaum mehr eine Rolle, er nimmt auch so den ganzen Saal mit, neue Titel werden wie selbstverständlich mitgesungen. Zwischendrin knappe trockene Ansagen („Jetzt kommt ein anderes Lied“), während alles tanzt, verleiht er seinem Ärger über die Verletzung dann doch spontan Ausdruck. Es sei eben schwierig, auf einem Hocker zu tanzen. Ein Sitzrave, wie es der wunderbare und kürzlich verstorbene Torsun Burkhardt von Egotronic mal an anderer Stelle treffend bezeichnet hatte. Exemplarisch für dessen Verbindung zu Andreas Dorau steht auch die gesamte Bedeutung seines Werks: Alben wie „Ärger mit der Unsterblichkeit“ oder „70 Minuten Musik ungeklärter Herkunft“ waren Einschnitt und hatten nicht nur Torsun Burkhardt so sehr geprägt, dass er durch sie überhaupt begonnen hatte, elektronische Musik zu machen. Kurz vor Torsun Burkhardts Tod Ende letzten Jahres hat Dorau noch mit ihm einen gemeinsamen Song produziert; ein reizendes Egotronic-Cover von „Das Telefon sagt Du“ existiert ebenso.
Gerade dieser Song, heute auch im Set, zeigt beispielhaft Doraus große Stärke, die Schönheit und Tiefe in den banalsten alltäglichen Dingen zu sehen und daraus eine Geschichte zu erzählen, seien es Abkürzungen von Wochentagen, Flaschenpfand oder eben der Klang des Freizeichens am Telefon, genau „dieses wunderschöne Uuuuu, was für mich klingt wie nur Du“. Alltag und Pop. Die Genialität solcher Songs wie „Das Telefon sagt Du“, mit dem Blick für vermeintliche Kleinigkeiten, verbunden mit dem typisch unwiderstehlichen und beschwingten, tanzbaren Sound.
Doraus Musik und deren Bedeutung wurde neulich nochmal in einem ganz anderen Kontext gewürdigt, als der schwedische Rapper Yung Lean Doraus „Tulpen und Narzissen“ in seinem Boiler Room Set auflegt und fröhlich dazu vibed. Wahnsinn. Von seiner beeindruckenden Geschichte und seinem Anteil an der Subkultur in den 80er Jahren rund um „Fred vom Jupiter“ gar nicht erst anzufangen. Ihn aber nur darauf zu reduzieren wird seinem Werk ebenso nicht gerecht.
Kurz vor Schluss folgen noch die drei Smash Hits „Stoned faces don’t lie“, „Girls in love“ und „So ist das nun mal“ hintereinander, nach exakt einer Stunde endet dann das Set. Für die kurze Zugabe kommt erfreulicherweise Stefanie Schrank nochmals mit auf die Bühne, die nicht nur im Vorprogramm überzeugte, sondern auch bei ihren beiden Duett-Gesangseinsätzen Doraus Set bereicherte. Die gemeinsame Zugabe bekräftigt dieses gelungene Pairing – zusammen mit Stefanie Schrank singt Dorau nun eines ihrer Stücke, „Möbiusschleife“, mit gewohnt hypnotisierendem Flow, es ist der letzte Song des Abends.
schöne und sehr passender bericht zu einem wunderbaren abend. und die passage zu stefanie schrank so wunderbar eingewoben!
eine kleinigkeit, die mir nicht aus dem kopf geht, dass dorau mit einem halbleeren (halbvollen?) glas bereits um ein neues wasser bittet, das dann quasi sofort gebracht wurde (merlin=beste) und lange unberührt steht. ansonsten wartet dorau wohl länger auf getränke.
Super Text! Sehr schön auch die ganzen Zusatzinfos außenrum. Und (wie immer!) tolle Fotos von X-tof.