NOUVELLE VAGUE, 08.05.2024, Scala, Ludwigsburg
Achja, das glamouröse Gigblogger-Leben. Da sitzt du in einer fancy Bar in einer angesagten Metropole, schlürfst einen leckeren Cocktail, erfreust dich am stilvollen Ambiente und den eleganten Menschen. Und im Hintergrund läuft, unaufdringlich dein Gehör umschmeichelnd, na was wohl? Natürlich: Nouvelle Vague. Und zwar immer. Und überall. Und das bereits seit zwanzig Jahren. Scheint irgendwie zur Grundausstattung jeder Cocktail-Lounge zu gehören. Aber es gibt wahrlich Schlimmeres. Stichwort „Café del Mar“.
Dass die Band jedoch mehr als ein clever konstruiertes Retorten-Produkt zur Bespaßung alternder Waver und Post-Punker ist, davon konnten wir uns bereits 2007 in den Wagenhallen überzeugen. Damals hat die Kapelle um Marc Collin live durchaus überzeugt. Und warum sollte sie das nicht ein zweites Mal tun? Das Scala ist jedenfalls recht gut gefüllt und die Berliner Indie-Folk-Popper Pano tun das, was man von einer guten Vorband erwartet: Sorgen für gute Stimmung, stehlen dem Main Act nicht die Show und schließen die große Lücke, die sich anfangs noch vor der Bühne auftut.
Und was bei Peter Hooks Nostalgie-Shows immer als letzter Song kommt, wird hier von Nouvelle Vague als Opener rausgehauen: „Love Will Tear Us Apart“. Kann man machen, wenn man weiß, dass man noch exakt zwanzig weitere Hits ähnlichen Kalibers auf der Setlist hat. Das Rezept ist wohlbekannt: Eine dezent aufspielende Bossa-Nova-Kombo, dazu eine zart hingehauchte Mädchenstimme (Mélanie Pain) und schon wird aus dem Überhit der Generation Post-Punk eine federleichte Easy-Listening-Süßigkeit. Das Publikum schwingt sich ein, die Cocktail-Party kann beginnen. (Das Allgäuer-Büble-Bier im Plastikbecher fühlt sich dabei definitiv falsch an.)
Es folgt „People Are People“ vom aktuellen Nouvelle-Vague-Album und als Sängerin stößt Phoebe Killdeer hinzu (Ja, genau, Phoebe Killdeer. Wir erinnern uns dunkel, die Australierin 2011 mit „The Short Straws“ im Zwölfzehn gesehen zu haben). Die beiden Stimmen ergänzen sich bestens. Sie gibt eher die Diva mit der souligen Stimme, während Pain den Lolita-Part übernimmt. In gewisser Weise stellt sich dann beim Song-Programm der Effekt ein, von dem alle Cover-Bands leben. Das „Ah“ beim Erkennen jedes neuen Songs, der spontane Vergleich mit dem Original und – angesichts des recht altershomogenen Publikums – wohl auch die ein oder andere wohlige Erinnerung an die Adoleszenz, wo exakt dieser Song den Soundtrack zu einem unvergesslichen Erlebnis war.
Doch Nouvelle Vague als schnöde Cover-Band zu bezeichnen, täte dem formidabel aufspielenden Sextett dann doch Unrecht. Zum einen haben sie ein weit größeres musikalisches Spektrum als nur Bossa Nova; und bloßes Nachspielen gibt es natürlich nie. „She’s in Parties“ von Bauhaus kommt zum Beispiel mit der Grandezza eines Bond-Songs, während Clash’s „Should I Stay Or Should I Go“ von einem latino-angehauchten Reggae in einen flotten Ska changiert. Andererseits beweisen sie wirklich große Klasse und Fachkunde bei der Auswahl der Songs. Einmal pickt sich Mélanie Pain einen verblüfften Zuschauer aus dem Publikum. Der folgende Song sei ausschließlich ihm gewidmet, um dann mit süffisantem Grinsen das sperrige „What I Like Most About You is Your Girlfriend“ von Special AKA zum Besten zu geben.
Absoluter Höhepunkt des Gigs ist „Too Drunk to Fuck“, das mit einem Riesen-Uptempo-Instrumental-Teil inklusive Doors’scher Schweineorgel und derbem Gitarreneinsatz den Laden ordentlich in Bewegung versetzt und das ganze musikalische Spektrum der Band präsentiert. Mit einer soliden Zugabe – ein Dreisprung von Yazoo über Morrissey zu Tuxedomoon – endet der Gig nach gut neunzig Minuten. Und wenn man sieht, welcher Andrang danach am Merch herrscht und auch zwanzig Jahre nach dem Debüt ein neues Album auf den Markt gekommen ist, das den anderen um nichts nachsteht und sich bestens verkauft, würde es nicht wundern, wenn Marc Collin in ein paar Jahren ein weiteres nachschiebt. Genug Preziosen im riesigen Fundus der Achtziger wird er sicher noch finden.
Setlist
Love Will Tear Us Apart
People Are People
Only You
Making Plans for Nigel
This is not a Love Song
Girls on Film
What I Like Most About You is Your Girlfriend
A Forest
Marian
Teenage Kicks
Should I Stay Or Should I Go?
Just Can’t Get Enough
She‘s in Parties
Guns of Brixton
Too Drunk to Fuck
Shout
Friday Night, Saturday Morning
I Melt With You
Don’t Go
This Charming Man
In a Manner of Speaking
Und wer steht mit den Sängerinnen auf der Bühne? Neben Marc Collin werden die Damen von drei weiteren Musikern unterstützt, die sichtlich Lust auf Ihre Instrumente haben. Doch wer sind die Herren an Bass, Gitarre und Schlagzeug? Ein intimes, ausverkauftes Konzert im Dresdner Beatpol hat jedenfalls ordentlich Spaß gemacht, auch ca. 15 Jahre nach meinem ersten Nouvelle Vague Konzert, in dem sich eine der Künstlerinnen noch in die Menge schmiss… Vielen Dank für den schönen Abend in Dresden!