TEMPLE FANG, WEEDWAGON, 25.04.2024, Goldmark’s, Stuttgart

Wenn andernorts der Frühling nach Blumen riecht, riecht er in Stuttgart nach Urin. Aber es ist nicht die gute, urbane, räudige Punkerpisse, sondern der rotnackige, hinterwäldlerische Trachtlerbrunz mit Noro fragrance. Zufluchtsort der Wahl ist dieser Abend das Goldmark’s, wo ein sehr zahlreiches Publikum nach Stromgitarren lechzt.

Recht pünktlich gegen neun Uhr betritt das Stuttgarter Trio „Weedwagon“ die Bühne. Es ist brechend voll im Publikumsbereich als der kraftvolle Stoner-Rock mit harschen Vocals loslegt. Der gute Sound fällt gleich mal positiv auf. Er würde spielerische Schwächen offenlegen, aber da ist nichts zu finden. Die Band spielt präzise auf den Punkt. Ein gut pumpendes, einfach gehaltenes Gestonere mit sabbathy Riffderivaten (aber wer in dem Genre kann sich schon frei davon sprechen?) und ziemlich heftigen, fast schon hardcore artigen Vocals ist das Ergebnis. Die Leute gehen mit, die Band erntet viel Applaus.
Für mich ist aber schon recht schnell klar, dass es mich nicht packt. Zu vorhersehbar, überraschungsfrei und unbesonders kommen die Songs bei mir an. Da die Basics wie instrumentales Können und energievolles Zusammenspiel da sind, fühlt es sich für mich an, als müsste sich „nur“ etwas in Sachen Songwriting tun. So läuft man Gefahr, zu sehr Stoner-Rock by numbers zu spielen, was schade wäre. Zumal sie mit dem Gitarristen, zumindest ein optisches, monumentales Distinktionsmerkmal haben. Meines Wissens sind Weedwagon aber noch ganz frisch, insofern ist da ’ne Menge Entwicklung möglich.

Der Hauptact Temple Fang spielt Psychedelic-Rock, der sich viel Zeit nimmt. Das Quartett kommt aus Amsterdam, wozu mir folgende, völlig haltlose und faktenfreie These einfällt: Durch die Legalisierung des Lauterbach-Krauts werden in Deutschland in den nächsten Jahren Psychedelic- und Space-Rock Bands wie Psilocibynpilze auf gut gedüngten Wiesen aus dem Boden schießen. Die Bundesrepublik wird autark sein in dieser Musikrichtung und nicht mehr abhängig aus Psych-Rock Importen aus den drogigen Niederlanden. Sorgen bereitet mir allerdings, was man mit dem unerwünschten Nebeneffekt der ganzen, lästigen Reggaebands anfangen soll, die sich ebenfalls gründen werden.
Diese drolligen Gedanken entstehen in den ersten Minuten des Temple Fang Sets. Die Band geht ihre Songs meist betont ruhig an. Repetierende Bass-Motive, lockere Drum-Begleitung und flirrende Gitarren darüber kennzeichnen den minutenlangen Einstieg dieses, aber auch anderer Songs. Bei den Übergängen in andere Songparts, in diesem Fall den Gesangsteil, merkt man, dass hier nicht nur irgendwelchen verdrogten Hippies was zusammenjammen. Das ist bewusst arrangiert, wenn das Schlagzeug plötzlich mit einem Rhythmuswechsel einen Übergang einleitet, oder zweistimmige Gitarrenleads eindeutige, erkennbare Melodien von sich geben.

Der Gesang wird je nach Stück mal vom Bassisten, mal vom Gitarristen übernommen. Persönliche Präferenz: die Stimme des Bass-Hünen Dennis Duijnhouwer. Die Songs haben etwas pulsierendes, organisches an sich. Ein in sich stimmiges Auf- und Abebben. Die energetischen, lauten Momente gewinnen dadurch, dass es davor und danach leiser und ruhiger zugeht. Je nach Gemütslage, Hörgewohnheiten und evtl. aktuellem Rauschzustand kann man diese langen, schwebenden Ruheparts mit viel Gitarrengeflirre und Hall als hypnotisch anregend oder die Geduld strapazierend empfinden.
Für mich als Temple Fang Novizen sticht im Konzertverlauf kein Song als besonders hervorhebenswert heraus. Es gibt Stellen, die mir sehr gut gefallen, andere Stellen, die „nur“ ok sind. Auch TF erfinden das Rad nicht neu, lassen es aber zum Großteil schön bunt rollen. Gegen Ende des über 90 Minuten langen Sets gibt es sogar leicht motorische Beats zu hören, die mich sogar an die überlebensgroßen King Gizzard & The Lizard Wizard denken lassen. Dieses krautige Aroma dürfte die Band gerne noch öfter bespielen, imho.
Sei es wie es sei, die Band wird, frenetisch gefeiert, in die Nacht entlassen. Wir sind auch wieder auf Planet Erde gelandet. Und wie gut, die zurückliegenden Stunden waren, weiß man erst Recht zu schätzen, wenn man in die Stadtbahn mit lauter Frühlingsfest-Überbleibseln einsteigen muss.

Temple Fang
Weedwagon